Romulus, Hühner und siegreiche Germanen

Die Schüler der Oberstufe Sernftal wagten sich mit der bühnengerechten Umsetzung von «Romulus der Grosse» – der von Friedrich Dürrenmatt geschriebenen und 1949 uraufgeführten Komödie – an ganz grosses Theater. Sie spielten, das sei vorweggenommen, mit beeindruckender Reife, enormem Einfühlungsvermögen und riesiger Eleganz.



Impressionen von der erfolgreichen Aufführung der Obertufe Sernftal. (Bilder: p.meier)
Impressionen von der erfolgreichen Aufführung der Obertufe Sernftal. (Bilder: p.meier)

Da wurde gewirbelt, pathetisch einhergeredet, intrigiert, gedroht, ein klein wenig gekämpft, über eierlegende Hühner aus adeliger Provenienz und mit ebensolchen Namen gefachsimpelt und geseufzt, nach Niederlagen auf den Schlachtfeldern und den Landeroberungen der übermächtigen Germanen resigniert, eine verheerende Menschenleben kostende Flucht ab Villa des Kaisers Romulus in Kampanien nach Sizilien vom obersten Gebieter fast schulterzuckend zur Kenntnis genommen – dies meistens beim Morgenessen, natürlich mit Eiern jener Hühner, die legefreudig waren.

Was Lehrkräfte und etwas mehr als 20 Jugendliche der Oberstufe, Real und Sek ab Übungsbeginn im Frühling miteinander angepackt und so erfrischend bühnenwirksam umgesetzt haben – inklusive Bühnenaufbau, Beleuchtung, Plakatgestaltung und in Zwischenauftritten grad noch mitreissend musizierend – ist Grund für ein riesiges Lob an ein Kollektiv, das über lange und gewiss fordernde Wochen aufs gleiche Ziel hingearbeitet hat, um in der Mehrzweckhalle Matt zwei Aufführungen hinzulegen, die es in sich hatten. Gewiss auch dank Dürrenmatt, der mit dieser Komödie Tatsachen aufgegriffen hat, die heute noch Gültigkeit haben und – würden sie so beherzigt und gelöst wie es Romulus und Odoaker vorgeben – viele Kriege auf wahrlich elegante Art enden liessen.

Das mit erfrischendem Engagement und gar geschickt ausgespielte Geschehen in der kaiserlichen Villa umfasst den weltgeschichtlich gewiss unbedeutenden Zeitraum von genau 24 Stunden, beginnend am Morgen des 15. März 476. Romulus hat sich vom Regieren abgewendet, obwohl des Geschehen immerhin den Untergang seines römischen Reiches im fünften Jahrhundert nach Christus betrifft. Dürrenmatt geht mit geschichtlichen Tatsachen gar grosszügig um, die dichterische Freiheit bewundernswert klug nutzend. So lernt man einen Kaiser kennen, der lieber beim Essen verharrt, als begeisterter Hühnerzüchter auch wissen will, wie legefreudig sein Federvieh ist und die gemeldeten Niederlagen seiner sehr dezimierten Armee und den Siegeszug der übermächtigen Germanen mit einer Unbekümmertheit zur Kenntnis nimmt, die seine Diener und Vertrauten samt Ehefrau und Tochter in tiefste Verzweiflung stürzt. Dass die Staatskasse leer ist und der Schatzmeister mit der schönen Truhe ohne Inhalt geflüchtet ist, die letzten Lorbeerblätter des Kranzes auf dem mit zuweilen «kurrligen» Gedanken erfüllten Kopf als Zahlungsmittel zu dienen haben, lässt den Kaiser ebenso unberührt, wie die Hiobsbotschaften des atemlosen, erschöpft aufkreuzenden und sichtbar verwundeten Boten. Weil der Lohn nicht mehr aus dem kaiserlichen Fundus bezahlt werden kann, werden die beiden Kammerdiener Achilles und Pyramus in die Freiheit entlassen. Der trickreiche, listige, stark aufs eigene Wohl bedachte Kunsthändler Apollyon wird die vorhandenen Gipsbüsten auf dem Markt verkaufen. Rea, die Tochter des Romulus, möchte den römischen Patrizier und General Ämilian ehelichen, aber das sieht der Vater ganz anders. Er will sie Cäsar Rupf, dem gewandt argumentierenden schwerreichen Industriellen zuschanzen. Der würde – nicht ohne Hintergedanken – eine namhafte Summe locker machen, um das Römische Reich zu retten. Zudem ist er von einer Idee wahrlich besessen. Er möchte sein Label – nämlich lange Hosen für alle Männer – einführen. Das würde viel Geld in seine Kasse spülen. Ämilian gibt ja nach der dreijährigen brutalen Gefangenschaft bei den Germanen ein wirklich erbärmliches Bild ab. Mit ihm muss man Erbarmen haben.

So trinkt Romulus seinen Spargelwein, schlägt alle Warnungen der noch verbliebenen Getreuen in den Wind, hält seiner fluchtwilligen Gemahlin Julia noch vor, weshalb es überhaupt zur Heirat vor zwei Jahrzehnten kam – und sieht sich plötzlich den vom Kriegstreiben erschöpften Germanen mit ihrem Fürsten Odoaker gegenüber. Die tragen übrigens Beinkleider und benötigen Hosenträger, was Romulus nun doch reichlich fremd vorkommt. Und nun kommt es zu einer Wendung, die sich aktuell und zukünftig Regierende, Kriegstreibende, Machthungrige, viele Formen von Ungerechtigkeiten und Erniedrigungen Fördernde ganz dick ins Merkbuch eintragen sollten. Romulus und Odoaker sind einfach kriegsmüde, keiner macht dem andern etwas vor, keiner ist stärker als der andere. Man schliesst – ohne weitere Verhandlungsrunden an irgend einem Runden Tisch (wobei der Frühstückstisch des Romulus viereckig war) – einfach Frieden – auf dass man sich vielleicht zu zweit der Hühnerzucht hingeben kann.

Es war ja schon ein riesig vielschichtiges Geschehen, das in der Matter Mehrzweckhalle während mehr als zwei Stunden ausgespielt worden war, dies mit gleichbleibend grosser Intensität, Eifer, sprachlichem Geschick und bewunderungswürdiger Reife. Auf die Nennung von Namen wird bewusst verzichtet, es sind alle gleichermassen stark zu loben.

Und die richtigen Insider wissen jetzt schon, dass es in spätestens drei Jahren wieder so weit sein wird, welchem Stück wird man sich wohl dereinst widmen?