Samuel Giger, oder wieder ein Berner, oder?

An diesem Wochenende 27./28. August wird in Pratteln ein neuer Schwingerkönig erkoren. Der Gejagte ist der beste Schwinger der letzten zwei Jahre, der Thurgauer Samuel Giger. Teammässig sind jedoch die Berner am stärksten einzustufen.



Christian Pianta (vorne gegen Schwingerkönig Arnold Forrer) ist im NOSV-Team dabei, jedoch als Ersatzmann. (Bild: zvg)
Christian Pianta (vorne gegen Schwingerkönig Arnold Forrer) ist im NOSV-Team dabei, jedoch als Ersatzmann. (Bild: zvg)

Vor drei Jahren gehörte Giger auch schon zum Favoritenkreis, doch schon am Samstagnachmittag, nach der zweiten Niederlage gegen René Suppiger war der Festsieg für den Thurgauer ausser Reichweite. Am Ende jubelten wie schon 2010 (Kilian Wenger), 2013 (Matthias Sempach) und 2016 (Matthias Glarner) die Berner – im Alter von 34 Jahren krönte sich Christian Stucki doch noch zum Schwingerkönig. Seither ist einiges gegangen auf den Schwingplätzen. Die Saison 2020 fiel wegen Corona komplett aus, die Jahre 2021 und 2022 wurden von Samuel Giger bestimmt. Der Thurgauer, ist, selbst wenn es in Pratteln erneut nicht klappen sollte, der derzeit kompletteste Schwinger des Landes. Nachdem er in der Saison 2021 sieben Kranzfeste sowie den Kilchberger Schwinget gewann, waren es in der laufenden Saison fünf Kranzfestsiege. Nur einmal, auf dem Brünig gegen Matthias Aeschbacher, bezog der 24-Jährige eine Niederlage.

Königstitel im Visier

Neben Giger haben die Ostschweizer weitere Trümpfe, die versuchen werden, erstmals seit 15 Jahren (Aarau 2007 Jörg Abderhalden) den Königstitel für den NOS zu ergattern. Dazu gehören Armon Orlik, der das Glarner-Bündner auf souveräne Art gewann, ansonsten aber im Schatten vor Giger stand. Doch Orlik hat den Vorteil, dass er nicht derart im Fokus steht wie Giger. Seine schwingerische Klasse ist unbestritten. Ebenso der blutjunge Toggenburger Werner Schlegel, der mit Siegen am St. Galler und als Gast am NWS-Teilverbandsfest aufhorchen liess. Der noch nicht 20-Jährige strebt aber in erster Linie den ersten ESAF-Kranz an. Ebenfalls müssen Damian Ott, einem weiteren Toggenburger, Chancen eingeräumt werden. Der Kilchberger Co-Sieger 2021 verfehlte wegen einer Fussverletzung jedoch einen Grossteil der Saison 2022. Mit Domenic Schneider, Samir Leuppi, Michael Bless, Martin Herrsche und dem Glarner Roger Rychen kommt bei den Nordostschweizer viel Routine dazu, die für intakte Chancen für den Königstitel und ein gutes Teamresultat sprechen.

Berner mit breiter Spitze

Teammässig, und dies sollte nicht unterschätzt werden, treten die Berner mit dem breitesten Kader an. Da sind mit Christian Stucki sowie Kilian Wenger zwei Schwingerkönige an vorderster Front, die jedoch im bisherigen Saisonverlauf ebenfalls mit Verletzungen zu kämpfen hatten, aber beide starten. Stucki als Titelverteidiger in der gleichen Position wie 2019 in Zug, wo er zuvor ebenfalls mit Verletzungen zu tun hatte. Doch mindestens so stark einzustufen und als Königsanwärter gelten der Mittelländer Fabian Staudenmann (heuer sieben Mal Zweiter), der Emmentaler Matthias Aeschbacher, der seine beste Saison zeigte sowie Adrian Walther, der sich in einer ähnlichen Rolle befindet, wie Kilian Wenger 20210. Der Mittelländer siegte am Berner Kantonalen und auf dem Brünig, ohne zuvor ein Gauverbandsfest gewonnen zu haben. Doch damit nicht genug, der kaum bezwingbare Kilian von Weissenfluh, Michael Wiget, Remo Käser, Schwarzseesieger Florian Gnägi, die jungen Severin Schwander, Michael Ledermann, Matthieu Burger und mit Curdin Orlik, Bernhard Kämpf, Simon Anderegg oder Thomas Sempach sehr viel Routine, die Mutzen besitzen ein schier nicht enden wollendes Kontingent. Sie werden bei der Vergabe des Königstitel auch den einen oder anderen Athleten «opfern», der fürs Team ein Unentschieden herausholen muss und somit den Gegner bremst, wenn es die Situation erfordert. Dominate Auftritte wie auf dem Stoos und Weissenstein zeigten, die Berner können mit ihren weiteren vielen starken Mittelschwingern ein Fest nach Belieben dominieren, auch wenn ganz an der Spitze gemäss Jahrespunkteliste ein Thurgauer thront. 15 bis 20 Kränze sind für die Mutzen in Pratteln möglich.

Innerschweizer Duo

Was für die Innerschweizer spricht, sie könnten als lachende Dritte erben, wenn sich an der Spitze die Berner und Nordostschweizer gegenseitig das Leben schwer machen. Insgesamt erlebten sie aber eine mässige Saison. Mit Joel Wicki und Pirmin Reichmuth besitzen sie nur zwei Königs-Anwärter. Zieht Wicki seinen «Atomkurz», wie es der «Blick» nennt, wieder wie in Zug 2019 durch, spielt der Teamgedanke aber eine untergeordnete Rolle, dann nämlich ist dem Entlebucher sprichwörtlich alles zuzutrauen. Reichmuth kommt wieder zurück von einer Knieverletzung, zuletzt auf dem Brünig plagte ihn auch noch der Bizeps, der Modellathlet ist in bester Verfassung ebenfalls Königsanwärter. Doch sind Fragezeichen um seinen Gesundheitszustand berechtigt. Mit den Routiniers Marcel Bieri, Benji von Ah, Mike Müllestein, Christian Schuler, Reto Nötzli, Sven Schurtenberger, Erich und Marco Fankhauser und den jungen Joel Ambühl, Ronny Schöfer, Noe van Messel, Marc Lustenberger und Lukas Bissig haben sie Aussenseiterpotenzial, gelten aber im Gegensatz zu den Vorgeher-ESAFs nicht als Mitfavoriten.

Die «Kleinen»

Die Südwestschweizer haben mit Lario Kramer und Benjamin Gapany auch zwei Schwinger, die ganz oben mittun können. Kramer gewann das Urner Kantonale, Gapany gleich drei Kranzfeste im SWS-Verbandsgebiet. Mit Romain Collaud, Johann Borcard und Steven Moser kommen weitere Eidgenossen-Anwärter dazu. Bei den Gastgebern sind Nick Alpiger, Patrick Räbmatter und Joel Strebel am stärksten einzustufen. Vor allen Alpiger ist immer wieder zu Grosstaten bereit, wie sein Sieg am Innerschweizerischen 2018 in Flüelen beweist. Mit Lars Voggensperger und Adrian Odermatt drücken auch junge Namen nach. Eine Schlussgangeinzug eines Süd- oder Nordwestschweizers wäre aber eine Überraschung.

Ein Glarner Quintett

Für den Glarner Schwingerverband ist es ein kleines Kader, das in Pratteln antritt. Mit Roger Rychen ein einziger Aktiver. Drei Jahre vor dem Heim-Eidgenössischen in Mollis ist der Boom zumindest im Sägemehl noch nicht spürbar. Roger Rychen ist nach 2013, unfallbedingt ausgefallen, 2016 und 2019, beide Male mit Kranz, zum vierten Mal dabei. Der Kranz scheint realistisch, auch wenn der Glarner 2022 mit Hochs und Tiefs zu kämpfen hatte. Dazu kamen noch Rückenschmerzen, die zwischenzeitlich sein Training beeinträchtigen. Starke Auftritte wie auf der Rigi und der Schwägalp stimmen aber zuversichtlich, dass der Molliser nach dem ersten Kranzfestsieg in diesem Jahr auch den dritten eidgenössischen Kranz einheimischen kann. Etwas, was es auch Glarner Sicht 80 Jahre lang nicht mehr gab. Im Anschwingen wartet wie schon am Berner Kantonalen, der Berner Seeländer Florian Gnägi auf den Molliser.

Beglinger in wichtiger Position

Christian Pianta war ursprünglich dritter Ersatz, nun nach dem Ausfallen von Arnold Forrer und Thomas Koch ist er erster Ersatz. Er würde als erster Schwinger nachrücken, sollte bis am Samstagmorgen noch etwas vorfallen. Pianta war schon in Zug Ersatzmann. Franz Freuler ist als Betreuer des kleinen Glarner Teams vor Ort und der gebürtige Molliser Martin Leuzinger (zugleich Technischer Leiter des Glarner Verbandes) amtet als Kampfrichter in einer ebenfalls wichtigen Funktion. Eine noch höhere Position hat Fridolin Beglinger inne. Der Molliser amtet als Technischer Leiter des NOS-Verbandes in oberster Funktion im Einteilungsbüro, welches von Stefan Strebel präsidiert wird, mit. Diese Position hatte auf eidgenössischer Ebene als letzter Glarner Karl Piatti (40/50er-Jahre) inne.