Sonne im Martinsloch

Bald ist es wieder so weit: Ende Monat kündigt sich hoch über dem Bergdorf Elm auf 2642 m ü.M. das faszinierende Naturschauspiel rund um das sagenumworbene Martinsloch an. Zweimal im Jahr, jeweils im Frühling und Herbst, scheint der Lichtstrahl der aufgehenden Sonne genau eine Minute lang durch das natürliche Felsenfenster und erleuchtet den Kirchturm von Elm. An drei Tagen erhalten Sie Ende Monat die Gelegenheit, dieses mystische Erlebnis von Licht und Schatten vor Ort mitzuerleben: Reservieren Sie sich entweder den Samstag, 29. September, den Sonntag, 30. September, oder den Montag, 1. Oktober, und mit ein bisschen Wetterglück strahlt die Sonne exakt um 09.32 Uhr durch das Martinsloch und lässt Sie den Atem für ein paar Momente anhalten.



Bald scheint die Sonne wieder durch das Elmer Martinsloch. (Bild: zvg)
Bald scheint die Sonne wieder durch das Elmer Martinsloch. (Bild: zvg)

Es ist wirklich ein magisches Schauspiel, wenn die Sonne ihre Strahlen kurz vor dem eigentlichen Sonnenaufgang durch das Martinsloch auf den Turm der einzigen spätgotischen Kirche im Glarnerland wirft. Der Lichtkreis weist einen Durchmesser von 50 m auf und das Ereignis dauert nur etwa eine Minute, dann verschwindet die Sonne, um kurz darauf endgültig über den Tschingelhörnern aufzugehen. Den genauen Standort kündet jeweils der lautlos zu Tal gleitende Sonnenfleck an, der am Gegenhang verfolgt werden kann. Der Beobachter kann auf der Dorfstrasse bei der Kirche das einmalige Sonnenschauspiel direkt miterleben. Damit alle Besucher einen optimalen Standort haben, wird eine Fachperson ab 09.15 Uhr vor Ort sein und das Schauspiel kommentieren. Anschliessend an das Ereignis findet in der Schiefertafelfabrik eine spannende Führung statt.

Das Martinsloch oberhalb Elm ist ein 18 m hohes und 21 m breites Felsenfenster im grossen Tschingelhorn. Entstanden ist das Martinsloch aufgrund der Kreuzung von zwei Schwächezonen. Ein erosionsanfälliges, dunkles Band aus Flysch-Gesteinen und eine Kluft im Kalkgestein, bedingt durch die späte Alpenhebung, treffen aufeinander. Dadurch konnte das Gestein in diesem Bereich schneller abgetragen werden und es entstand das Martinsloch.

Die Gebirgslandschaft zwischen Vorderrheintal, Sernftal und Walensee ist weltweit einzigartig, weil dort die Gebirgsbildungsprozesse besonders gut sichtbar sind. Hier wurden 250 bis 300 Millionen Jahre alte grünliche bis rötliche Verrucanogesteine auf 35 bis 50 Millionen Jahre alte bräunlichgraue, meist schiefrige Flyschgesteine geschoben. Somit liegen alte Gesteine auf fast 200 Millionen Jahre jüngeren. An einigen Stellen, z.B. beim Martinsloch, liegen mehrere Dutzend mächtige Kalkpakete von 150 Millionen Jahren direkt unter der Hauptüberschiebung. Aufgrund dieser Einmaligkeit hat das UNESCO-Welterbe-Komitee im Juli 2008 das über 300 Quadratkilometer grosse Gebiet um den Piz Sardona auf die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen.

Sage

Es ist nicht verwunderlich, dass um das einmalige Phänomen «Martinsloch» unzählige Sagen entstanden sind. Eine hat sich jedoch durchgesetzt: Sie erzählt von einem Schafhirten Martin, der auf der Elmer Seite seine Tiere hütete. Eines Tages kam ein Riese von Flims her und wollte Sankt Martins Schafe stehlen. Dieser verteidigte aber seine Tiere tapfer und warf dem Riesen seinen Stock nach. Anstatt den Riesen traf der spitze Stock die Felswand. Mächtiges Donnern und Grollen ertönte und Steine rollten zu Tal. Als sich die Lage wieder beruhigte, war im Fels ein dreieckförmiges Loch zu sehen – das Martinsloch.

Enthüllung des Verrucanosteines

Am Sonntag, 30. September 2012, kann im Rahmen des Sonnenereignisses ein weiterer Höhepunkt gefeiert werden. Der mindestens 35 Millionen Jahre alte Verrucanostein, der im Frühling aus dem Sernf geborgen wurde und sein Dasein bei der Lochsite fristete, wurde nach Elm transportiert. Er wird feierlich enthüllt und findet bei der Kirche seinen endgültigen Platz als Symbol des UNESCO-Welterbe Tektonikarena Sardona.