«Soul Kitchen» – Beiz mit grosser Vitalität

Wer sich in schummerigen Kneipen samt zuweilen riesigen Schicksalen, bestehend aus Liebe, Finanzierung des Alltags, kulinarischem Angebot, Intrigen, handfesten Auseinandersetzungen, überbordender Lebensfreude, Tanz, Musik, hin und wieder deftiger Unterhaltung, schwärmerischer Zuneigung und schroffer Ablehnung nicht auskennt, kam beim Besuch von Soul Kitchen, vom Ensemble des Landestheaters Tübingen riesig temporeich und intensiv gespielt, ganz auf seine Rechnung. Zu wenig Besucher machten von diesem lebenskundlichen Weiterbildungsangebot in der Aula der Kantonsschule Gebrauch.



Impressionen von der Aufführung «Soul Kitchen». (Bilder: p.meier)
Impressionen von der Aufführung «Soul Kitchen». (Bilder: p.meier)

Das Geschehen orientiert sich am Film von Fatih Akin. Beim Betreten der Aula fiel der riesige Ghettoblaster auf der Bühne auf. Er war Dreh- und Angelpunkt des wirbligen, lebhaften und vielen Gefühlsschwankungen unterworfenen Spiels. Er diente als Bar, Küche, Vorplatz, zweigeschossige Spielfläche, Musikraum, Tanzdiele, Verpflegungsstätte, liess einen an ärztlichen Behandlungen, hin und wieder recht deftigen Therapieformen beiwohnen, war Stätte zahlloser Leidenschaften, hitziger und versöhnlicher Gespräche, Auftrittsort einer gar resoluten Steuerbeamtin und eines Immobilienhais, der alles in seiner Tasche zu haben glaubte. Es litten, stritten, liebten, planten, tanzten, weinten, sangen und musizierten zehn Schauspieler, die mit mitreissender Intensität agierten, bewunderungswürdig wandlungsfähig waren, die Hinschauenden auf eine Reise mitnahmen, die bewegter nicht hätte sein können, sich über mehr als hundertfünfzig, stets knapp angesagte und ausgespielte Szenen dahinzogen. Zuweilen wurde das eine oder andere weggelassen, ohne dass sich ein Riss im Geschehen ergeben hätte.

Vorbehaltlos positiv zu würdigen ist die Leistung des gesamten Ensembles. Alle vermochten sich mit intensivem und innigem Darstellen in die jeweilige Rolle zu versetzen, Stimmungen wiederzugeben, die bei den Zuschauenden eine immense Palette an Gefühlen zu wecken vermochten. Alle agierten gleichermassen virtuos in der jeweiligen Rolle, fügten damit ein Geschehen, wie es in wohl mancher Bar ablaufen kann.

Da ist Zinos Kazantsakis, der zuweilen arg leidende Besitzer der Bar, der mit den Vielfalt an Launen seiner Gäste umzugehen hat, von Geldsorgen geplagt und arg verliebt ist, einen Bruder – Illias – hat, der gar launenhaft und wankelmütig einherkommt, aber im tiefsten Innern ein riesig lieber Kerl sein mag, listig, mit vielen Wassern gewaschen ist. Es kommt der grossmaulige Immobilienhai angeradelt; er ist fest überzeugt, alles mit grossspurigen Auftritten zu seinen Gunsten lösen zu können. Es spielt ein Koch mit, der nach dem Studium der Menükarte total desillusioniert weggehen und die Stelle gar nicht erst antreten will.Eine anfänglich gar herrisch agierende Steuerbeamtin verfällt – wie andere auch – dem in Schälchen noch vorhandenen Venusschaum. Flugs ist sie in einer luftig-heiteren Welt, in der alles so unbeschwert einherkommt. Physiotherapeutin, Bardame, Freundin von Zinos, der leicht verquerte Arzt, der kauzig – liebenswürdige Ansager der jweiligen Szene, zumeist an der Bar hockend - alle trugen sie zu einem hohen Mass an Genuss und Spannung bei. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, irgendwie auch sinnlos, aus der überquellenden Fülle von Ereignissen etwas besonders Auffälliges hervorzuheben. Es war so pfiffig, leidenschaftlich, szenengerecht lebensnah, aktuell, originell, nicht bloss derb und oberflächlich lustig in einem Meer von platten Blödeleien – so um der Originalität willen. Trauer, Verzweiflung, Resignation und Schmerz hatten ebenfalls einen berechtigten, sinngebenden Platz.. Man bewunderte die körperliche Eleganz, die Gesangs- und Tanzeinlagen, den klug eingesetzten Wortreichtum, die Wandlungsfähigkeit und Spielfreude.Den Verantwortlichen der Kulturgesellschaft Glarus sei für die Einladung des Landestheaters Tübingen mit Anerkennung gedankt – auch für die Bereitschaft, mit dieser Verpflichtung ein gewisses Wagnis einzugehen. Diesen Weg der Verschiedenartigkeit von kulturellen Angeboten gilt es weiterhin zu beschreiten. Gedankt sei auch dem Ensemble des Landestheaters – es war einfach riesig erlebnisreich, auf so attraktive, willkommene Weise wechselvoll.