«Spitzeltango» – eine musikalische Lesung

Auf gar geschickte, wechselreiche Art machen die Verantwortlichen des Kulturbuchhandlung Wortreich regelmässig auf ihr breit gefächertes Angebot aufmerksam: «Äes isch für alli öppis drbii», kreativ und einfallsreich vorbereitet – einem reichhaltigen Menü nicht unähnlich.



«Spitzeltango» – eine musikalische Lesung

Bevor der Schriftsteller Emil Zopfi und DJ Daniela Mitidieri ihren Auftritt am vergangenen Sonntagvormittag hatten, wies Christa Pellicciotta auf Kommendes, die Neugierde auf jeden Fall weckend, hin. So liegt das Programm des Seniorenkinos für Januar bis Juni vor. Am 20. Januar, dem ersten Anlass, wird der Schauspieler und mit dem diesjährigen kantonalen Kulturpreis ausgezeichnete Herbert Leiser eine Einführung zur Tragikkomödie «Das gefrorene Herz» des Regisseurs Xavier Koller übernehmen. Es liegt auch das Programm der Samstagabend-Filme vor. Zudem seien Filmanlässe für Jugendliche in Planung – so die initiative Geschäftsinhaberin. Hingehen, Rumstöbern, Einkaufen und Gedankenaustausch sind in derartigen Fällen beinahe Verpflichtung.

Einführung, Musik und Lesung


Christa Pellicciotta begrüsste Emil Zopfi, den es mit seiner Familie nach 24 Jahren Glarnerland wieder nach Zürich, genauer nach Schwamendingen, buchstäblich zurückgezogen hat. Obwohl er begeisterter Berggänger und passionierter Sportkletterer ist, hat es ihn an einen Ort verschlagen, der gewiss nicht wegen hoher Berge bekannt ist – obwohl am Uetliberg jemand ausrutschte und tödlich verunfallte. Zopfi erhielt für sein literarisches Schaffen und sein nachhaltiges Engagement in alpinen Fragen verschiedene bedeutsame Auszeichnungen, unter anderem den SAC-Kulturpreis und jenen des Kantons Glarus. Er ist zudem Organisator des Projekts «Bergfahrt», einem Kulturanlass in und um Amden. Bald soll zudem ein literarisches Wanderbuch mit Begegnungen in der Südostschweiz entstehen. Daniela Mitidieri ist DJ, Event-Managerin und mit ihrem Projekt desʼ` «Begehbaren Buches» recht bekannt geworden. Zudem legt sie als vielerorts begehrte DJ, alias DJʼette Diva D, auf – ab International bis sehr regional, so Christa Pellicciotta.

Daniela Mitidieri hatte die Musik absolut werktreu, also «Tango fast total», klug und eingänglich ausgewählt. Und Emil Zopfi stellte Hauptinhalte, aber ohne letzte Auflösungen des zuweilen fast chaotischen, mörderischen Geschehens und der Verdachtsmomente vor. Er tat das bewusst, durchaus verständlich, wenn man an Verkaufserfolge denkt. Er las lebhaft, führte zu einem durchaus spannenden, packenden Geschehen, das mit eigenen Erinnerungen und dem Nachzeichnen von Ereignissen der damals turbulenten 68er-Bewegung und dem Heute seiner drei Hauptfiguren zu tun hat. Das Schildern gedeiht zu historisch gewiss Interessierendem, zum damaligen und heutigen politischen Geschehen. Zopfis Sprache ist bildhaft stark, sein Schildern in jedem Falle prägnant, schonungslos aufzeigend, schwungvoll, dann auch besinnlich, zuweilen sehr milieuorientiert, Trauer und Anteilnahme weckend. Im «Spitzeltango» treffen sich drei ehemalige 68er, einstige Revoluzzer, heute ergraute Häupter, die immer noch auf der Suche nach Gerechtigkeit sind und Rachegefühle gegenüber jenen hegen, die sie verraten und abgeurteilt haben. Sie wollen sich für die nach ihrer Ansicht unabdingbare Gerechtigkeit einsetzen, wenn notwendig auch mit Gewalt. Zopfi verhehlte nicht, dass die Charakterköpfe durchaus Bezüge zu seinen eigenen Erlebnissen und Erfahrungen haben. Einer der drei Akteure ist Professor in Iowa City, er lehrt ohne anerkannten Titel und begibt sich wegen einer Lesung über Max Frisch nach Zürich. Das krempelt sein Leben total um. Er kommt mit seinen vielfältigen Erfahrungen, vielleicht auch Erwartungen in Zürich wohlbehalten an, allerdings ohne Reisegepäck und Vorlesungsunterlagen. Er ist im Besitze beider Staatsbürgerschaften. Er gerät in den Einflussbereich einer jungen Alternativen, die auf vieles einen riesigen Groll hegt und dabei zahlreiche Empfindungen in Robert Brown, einst Robert Brönimann, weckt. Er gesellt sich zu seinen früheren Gesinnungsgenossen Pippo, Bauernbub aus dem Wägital und jahrelang als Mitarbeiter in einer italienischen, vom Staat wegen der herrschenden Jugendarbeitslosigkeit geförderten landwirtschaftlichen Kooperative lebt und nach seiner Rückkehr in Zürich als Trämler und Schrebergartenbesitzer tätig ist. Auch er war in den 68ern an vorderster Front der zuweilen gewalttätigen Jugendbewegung. Der Dritte im Bunde ist Hermann. Besitzer und Bewohner eines heruntergekommenen Hauses, dessen EG einer chronisch mittellosen Bordellbetreiberin vermietet ist. Hermann ist begeisterter Tangotänzer, er trieb sich in der Berliner Kulturszene rum, will um jeden Preis Filme drehen, scheitert aber immer wieder wegen der fehlenden Finanzen und geeigneten Darstellern. Der gemeinsame Gesinnungsgenosse landete besoffen, auf dem Rad unterwegs, in der Limmat. Er ertrank. Nicht alle glauben an die Unfallversion. Die drei Hauptgestalten vermuten ihren Exgenossen Anton Tscharner als Täter. Nun nehmen die Geschehnisse eine ungeahnte Dynamik an. Es kommt zu Hochdramatischem, zu Gewalt, Information der Öffentlichkeit. Wie das ausgeht bleibt Geheimnis des spannenden, zeitkritischen Buches. Auflösung ist nur nach dessen Kauf und Lektüre möglich.

Verweilen, sich verpflegen und «gschprächle» konnte man im Abläsch noch weit über Mittag hinaus, in gar gemütlicher und sympathisch kulturlastiger Umgebung.