Sprechverbot

Alles fing an mit einer harmlosen Erkältung. Eine wenig Schnupfen, ein wenig Husten, ein bisschen müde. Eigentlich nichts Besonderes zu dieser Jahreszeit. Zumal die halbe Stadt Berlin darunter leidet.



Sprechverbot

Die Erkältung ging nach wenigen Tagen auch wieder weg. Nur der Husten blieb und meine Stimme hörte sich auch nicht so gut an. Kein Problem. Dagegen gibt es ja eine Menge Hausmittel. Zwiebelsaft mit Zucker oder Honig. (schmeckt scheusslich), Halswickel mit Nature-Jogurt. Bonbons lutschen, damit alles schön feucht bleibt und dazu literweise Tee.

Nun braucht es ein paar Tage Geduld und schon ist alles wieder gut. Doch nichts da. Meine Stimme hörte sich nach einer Woche immer noch an wie eine stotternde Motorsäge. Das ist nicht gut, dachte ich mir. Stand ich doch kurz vor meiner ersten Hauslesung. 25 Personen in meinem Wohnzimmer, die mir zuhören wollten. Ich lutschte noch mehr Bonbons, schluckte noch mehr Zwiebelsaft mit Honig, (schmeckte immer noch scheusslich) und trank noch mehr Tee.

Irgendwie brachte ich diese Hauslesung über die Bühne. Doch tags darauf ging gar nichts mehr. Mein stimmliches Organ hatte sich in ein krächzendes Nichts verwandelt. Mist. Nun blieb mir nichts anderes übrig als einen Arzt aufzusuchen.

Der guckte mich an und sprach:

«Mein lieber Herr. Sie haben ab sofort Sprechverbot.» Toll. Das ist genau das, was ich jetzt brauchte. Ein Blick auf meinen Terminkalender verhiess nichts Gutes. Da eine Veranstaltung, auf der ich sprechen sollte, hier einen Termin, bei dem es sich gut machen würde, einige Worte zu verlieren und eine Menge Einladungen, auf denen man doch small talk betreiben sollte.

Doch das Schlimmste daran ist, wie soll ich mich mit meiner lieben Frau verständigen? Was tue ich, um ihr einen schönen Tag zu wünschen? Wie frage ich sie, was sie zu Mittagessen wünscht, und wie sage ich ihr, dass ich sie mag? Schwierige Zeiten scheinen anzubrechen. Doch ich habe auch schon eine Lösung gefunden. Ich mache mir viele kleine Zettelchen. Die trage ich immer bei mir. So muss ich nur den richtigen finden und hochhalten.

Da steht zum Beispiel:

«Guten Morgen, hast du gut geschlafen?»
«Danke, ich auch.»
«Heute gibt es Suppe mit Wienerli.»
«Magst du einen Kaffee?» usw.

Ja. So ein Sprechverbot hat es in sich. Vor allem, wenn Lesungen und diverse Veranstaltungen anstehen. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als alles abzusagen, um meine Stimme zu schonen.
Und zum Glück gibt es ja auch noch die schriftliche Kommunikation.
Vielleicht werde ich ja noch reich beschenkt.

Heisst es doch:

«Reden ist Silber, schweigen ist Gold.»

In diesem Sinne.
Martin C. Mächler