Stets in Truure – bewegende Vielfalt in Hätzingen

Was hundert Jahre Kulturgesellschaft Glarus und das unter anderem mit Historischem, auch stark Zwischenmenschlichem verbundene Lied «Stets in Truure …» miteinander zu tun haben, ist schnell erklärt. Die Kulturverantwortlichen sahen sich in der beneidenswerten Lage, im eigenen Fundus rumzukramen und Theaterbegeisterte für ein ganz besonderes Projekt zu verpflichten. Es sollte ein Stück heranreifen, das zum Glarnerland und über dessen Grenzen hinaus Bezug hat. Es sollten Fakten aus verschiedenen Epochen thematisiert und gespielt werden.



Stets in Truure – bewegende Vielfalt in Hätzingen

Und diese Vorstellungen fügten sich auf glückhafte, für die Besuchenden und Theaterleute bewegende Art; in einer Gesamtheit, die nicht eben einfach zu erfassen und verarbeiten ist.

Es war riesig entgegenkommend, dass Caroline und Stefan Trümpi-Althaus das flächenmässig grosse Areal der ehemaligen Tuchfabrik Hefti in Hätzingen als Ort der Aufführung ohne irgendwelche Einschränkungen zur Verfügung stellten und willkommenes, grosszügiges Gastrecht gewährten. Es waren Beni und Christian Hunziker, Glarner Compagnie Bruderboot, die sich mit unglaublichem Engagement, spürbarer Behutsamkeit und hoher Kreativität ans Umsetzen von zuerst mal Angedachtem machten, eine Unmenge von Stunden investierten und einen gut gefüllten Korb mit einen überbordenden Menge von Ideen an sich nahmen, darin behutsam aber zielorientiert rumkramten und alles so ordneten, wie es nach wohl unzähligen Proben und Änderungen an mehreren Schauplätzen mit viel Engagement gespielt wurde.

Und es waren Laienschauspielerinnen und -schauspieler – einige mit reichlich Bühnenerfahrung – aus verschiedensten Teilen des Glarnerlandes, die bereit waren, sich mit Forderndem so zu befassen, dass anlässlich der verschiedenen Aufführungen Lampenfieber kaum aufkam, Dialoge und das Bewegen auf der Bühne publikumsgerecht umgesetzt wurden. Dann war es der von Vreni Lins dirigierte Männerchor Hätzingen-Luchsingen, dessen Mitglieder sich von «Stets in Truure …» nachhaltig inspirieren liessen und Schlüsselmomente musikalisch zu vertiefen wussten.

Alles begann mit dem Jahr 1863. In der Tuchfabrik arbeiteten damals – in der Blütezeit der Textilunternehmen – gegen 500 Leute, unter miserablen, menschenunwürdigen Bedingungen, mit einem beschämend tiefen Lohn und während 15 Stunden pro Tag. Verständliche Protest wurden da laut.
In der Tuchfabrik wurde ein Betriebsausflug vorbesprochen. Der diktierende Herr Direktor gab ebenso theaterwirksam Vollgas wie seine Sekretärin. Vier Personen zeigten auf, was sie sich wünschten, was sie erlebten, welche Fortschritte dringend notwendig wären, um die Arbeiterschaft zufriedenzustellen. Das Ehepaar Frau und Herr Schamauch (Esther Capell und Christian Hunziker) führten durchs enorm vielschichtige, viele Lebenssituationen einschliessende Geschehen in den verschiedenen Jahren. Unter anderem führten sie das Publikum an neue Schauplätze; sagten, wann es Zeit zum jeweiligen Weitergehen war.

Man verliess den ersten Raum, durchwanderte leere, grossflächige Räume, hielt aussen inne und folgte den kurzen Gesprächen, die von Fenster zu Fenster aufkamen.

Es ging weiter, zum zentralen Platz. Man befand sich in anderen zeitlichen Epochen mit weiterführenden Geschehnissen, erlebte mit, wie es jenem 850-Jährigen erging, dem nach fast 40 Jahren Mitarbeit gekündigt worden war. Man sah, wie es demjenigen erging, der aus lauter Angst, etwas falsch zu machen, ganz gemein ausgeschimpft und niedergeschlagen wurde. Man erfreute sich an aufkeimender zarter Liebe.

Man wurde zum Weitergehen aufgefordert, sich in Situationen reinzubegeben, die schon fast zum Heute gehören. Frau Schamauch schwärmte von Fischzucht, See, Gestüt, Neuem. Es komme halt immer auf jene Perspektive an, wie man es sehe. Und diese eigentlich banale Tatsache war übers gesamte Spiel hinweg mit gar Wechselvollem verbunden, führte in neue Situationen, unter anderem mit Reichtum, Langeweile unter Betuchten, leidenschaftlichen Gesprächen, Streitigkeiten und Abwendung vom Alltag mit oft ausgelebtem Frustpotenzial.

Das wurde nachhaltigst vorgelebt, als es ums Verweilen bei den Wohnmobilen, inmitten von Prunk und Reichtum ging, als es zu wahrlich Irrwitzigem kam. Es wurde lauthals protestiert, als es um deplatzierte Geschenke ging, die es so eigentlich gar nicht waren. Man erinnerte sich sofort an die einzusetzende Perspektive in all diesem zelebrierten Wohlstand, der recht klotzig einherkam, vielleicht etwas überzeichnet war.

Der Weg führte zurück, zum Hauptplatz, damit zu Fakten, deren Fülle in neuen Dimensionen einherkamen: Herr Schamauch kollabiert, ärztliche Hilfe tut not. Es ist der Fensterputzer, ein Asylsuchender, der sein Schicksal bewegend schildert, angibt wie er – als ausgebildeter Arzt – einst im eigenen Land einem Freund half, der politisch gar nicht ins System passte, wie er mit seiner Familie verfolgt wurde, flüchten musste und in neuer Umgebung als Fensterputzer und Hilfskraft eine bescheidene Einkommen fand.

Die Darstellenden trennten sich, fanden sich wieder zusammen, drückten das Alleinsein in verständlich resignierter Weise aus.

Irgendwie und irgendwann wird sich hoffentlich vieles zum Guten wenden, sodass die leidenschaftlich mitverfolgenden Besucherinnen und Besucher und die in ganz verschiedenen Rollen agierenden Personen nicht mehr «In Truure» leben müssen.
Der Männerchor drückte das mit einem aufbauenden Lied mit dem Titel «Mein Dörflein», einem von M. Walker komponierten Heimatlied aus. Die mit hoher Präsenden singenden Chorleute richteten sich mit dem versöhnlichen Schluss an die in verschiedenen Rollen agierenden Jürg Vögeli, Mathilde Wyss, Freddy Menzi, Gudrun Teuscher (alles sogenannte Erinnerer); Christoph Zürrer (Thomas);, Brigitte Felber (Sarah); Rahel Opprecht (Petra); Ernst Baumgartner (Max); Roan Leuzinger (Köbi); June Sporle (Gritli); Nora Schönenberger (Elisabeth); André Schönenberger (Heinrich); Murat Yildirim (Arbeiter); Sherine Hussein, Tanz, Esther Capell und Christian Hunziker (Ehepaar Schamauch) und an die Theaterbesucherinnen und -besucher.

Der Liedtext lautet:

«Stets in Truure muess i läbe
Säg, mit was han i `s verschuldt?
Wül min Schatz isch untreu worde
Muess i `s lide mit Geduld.

Bisch mir zwar us mine Ouge
Aber nid us minem Sinn
Hättisch mir wohl dörfe gloube
Dass i treu gewesen bin.

Rächti Liebi chunnt vo Härze
Rächti Liebi, die brönnet heiss
O wie wohl isch `s einem Mönsche
Wo nid weiss, was Liebi heisst.

Spielet uf, ihr Musikante
Spielet uf das Saitemspiel
Minem Schätzli zu Gefalle
Mögs`s verdriesse, wänne s will.

Bis die Bärge tüe …»