Stickstoff in der Glarner Landwirtschaft soll im Kreislauf sein

Der globale Stickstoffkreislauf ist essentiell für das Leben. Zu viel Stickstoff belastet die Umwelt. Ein grosser Teil des Überschusses stammt aus der Landwirtschaft. Auch im Kanton Glarus werden Lösungen gesucht.



Die Fauna und Flora von Hochmooren wie hier dem Boggenmoor ob Näfels sind auf nährstoffarme, saure Bedingungen angewiesen. Die Stickstoff-Düngung aus der Luft setzt sie unter Druck. (Foto © Barbara Zweifel-Schielly)
Die Fauna und Flora von Hochmooren wie hier dem Boggenmoor ob Näfels sind auf nährstoffarme, saure Bedingungen angewiesen. Die Stickstoff-Düngung aus der Luft setzt sie unter Druck. (Foto © Barbara Zweifel-Schielly)

«Im Glarnerland soll der Stickstoffkreislauf so weit wie möglich geschlossen werden», erklärt Marco Baltensweiler, Leiter der kantonalen Abteilung Landwirtschaft. «Mit der neuen regionalen landwirtschaftlichen Strategie (RLS) und mithilfe des Forums GlarnerLandWirtSchaft, bestehend aus verschiedenen Interessengruppen, erarbeitet der Kanton Lösungen.» Um zu verstehen, wie dieser globale Kreislauf funktioniert, weshalb er nicht mehr im Gleichgewicht ist und warum das wichtig wäre, braucht es einen Blick hundert Jahre zurück und in die Natur.  

Stickstoff ist Nahrung

Stickstoff kommt seit Jahrtausenden in der Luft und im Boden vor. Pflanzen und Tiere benötigen ihn, um zu wachsen. Wenn sie sterben oder durch tierische Ausscheidungen gelangt der Stickstoff wieder in den Boden. In einem ewigen Kreislauf steht er den Lebewesen so wieder zur Verfügung. Mithilfe von Bakterien können Pflanzen Stickstoff zudem aus der Luft holen und zwar so viel, wie die Mikroben verarbeiten können. Obwohl die Luft zu 78% aus Stickstoff besteht, wird nur ein kleiner Teil von den Pflanzen gebunden. Bis vor gut 100 Jahren waren damit dem Pflanzenwachstum und -anbau in der Landwirtschaft enge Grenzen gesetzt. Der Stickstoffkreislauf war in einem natürlichen Gleichgewicht.

Haber und Bosch brachten Veränderung

Vor gut 100 Jahren erfanden die beiden deutschen Chemiker Fritz Haber und Carl Bosch ein Verfahren, das Stickstoff aus der Luft in Form von Ammoniak bindet. Seither wird Ammoniak synthetisch hergestellt und als Kunstdünger im Acker- und Futterbau verwendet. Als Hofdünger werden die Ausscheidungen der Nutztiere, also stickstoffhaltige Gülle und Mist, im Landwirtschaftsland ausgebracht. Heute erwirtschaften die Bauern damit Erträge, die weit über die natürlicherweise mögliche Ernte unserer Böden und Felder hinausgehen. Die Weltbevölkerung konnte im Laufe der Jahre um ein Vielfaches anwachsen.

Überschuss vorhanden

Die Erfindung von Haber und Bosch war revolutionär, zeigt heute jedoch ihre Kehrseiten. Die grossen Mengen an Stickstoff, die in die Umwelt gebracht werden, nehmen die Pflanzen nur teilweise auf. Der Überschuss bleibt im Boden, gelangt ins Grundwasser, in Oberflächengewässer oder in die Luft. Seit der industriellen Revolution wird die Luft zudem mit weiterem Stickstoff in Form von Stickoxiden durch Industrie und Verkehr belastet. Der Stickstoffkreislauf ist heute nicht mehr im natürlichen Gleichgewicht. Marco Baltensweiler dazu: «Das gilt auch fürs Glarnerland. Die gemessene Ammoniak-Menge in der Luft überschreitet vor allem im Talbereich deutlich die Grenzwerte. Die Emissionen stammen vorwiegend und generell, also global, aus der Viehzucht und somit auch von Glarner Landwirtschaftsbetrieben, die entweder Futter oder Kunstdünger von ausserhalb ihres Betriebes einführen.»

Folgen für Mensch und Natur

Ein Teil des überschüssigen Stickstoffs entweicht als Lachgas aus den Böden, ein Treibhausgas, das die Ozonschicht angreift. Ammoniak wird von Bakterien teils in Nitrat umgewandelt und so in Gewässer ausgewaschen. Ammoniak gelangt über den Luftweg auch in sensible Natur-Lebensräume wie Moore, Magerwiesen oder Wälder. Dies führt zur Überdüngung dieser ökologisch wertvollen Lebensräume und verändert die Lebevielfalt. Stickstoffliebende Pflanzen nehmen überhand, die standorttypische Artenvielfalt leidet. Auch der Herstellungsprozess des Kunstdüngers Ammoniak beeinträchtigt die Umwelt. Die beim Haber-Bosch-Verfahren erforderten hohen Druck- und Temperaturverhältnisse benötigen ein Prozent der gesamten weltweit erzeugten Energie. Der zusätzlich benötigte Wasserstoff stammt hauptsächlich aus fossilen Energieträgern. 450 Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlenstoffdioxid setzt der Prozess jährlich weltweit frei.

Schritte zum Ziel

Schon lange sucht man Lösungen für das Problem. Angepasste Umweltgesetze, technische Neuerungen und Katalysatoren senkten den Stickstoff-Ausstoss durch Industrie und Verkehr in den letzten Jahrzehnten massgeblich. Auch die Landwirtschaft konnte ihre Ammoniak-Emissionen in den Neunzigerjahren dank Direktzahlungsanreizen reduzieren. Seit der Jahrtausendwende stagnieren die Werte aber auf zu hohem Niveau. Der Bund möchte den Stickstoff-Ausstoss bis 2030 mit Direktzahlungsprogrammen und freiwilligen Massnahmen schweizweit um 15% senken. Die Bemühungen unterstützt auch der Kanton Glarus. Marco Baltensweiler erläutert: «Zu den Massnahmen gehören beispielsweise, die Abluftreinigung in den grösseren Ställen zu verbessern, die technische Entmistung zu optimieren sowie Hof- und Recyclingdünger anstelle von Kunstdünger zu fördern. Mit der Einhaltung des Schleppschlauch-Obligatoriums wird ein wichtiger Beitrag für die ganze Umwelt geleistet. Zweinutzungsrassen für eine kombinierte Fleisch- und Milchproduktion sowie die Förderung einer langen Nutzungsdauer sind weitere Massnahmen. Auch die Beratung der Landwirte soll weiter vertieft werden, praxisorientiert und direkt auf den Betrieben. Ein Pilotprojekt prüft zudem den Einsatz von Pflanzenkohle, die Stickstoff bindet, von der Fütterung über das Einstreuen auf den Laufflächen im Stall bis zur Aufbereitung der Hofdünger. Bereits mehr als ein Dutzend Glarner Landwirte interessieren sich für diese Massnahme. »

Auch Bevölkerung in der Pflicht

Das Ziel ist ambitiös: «Bis 2028 wollen wir im Kanton Glarus wieder möglichst geschlossene Nährstoffkreisläufe. Bis 2030 sollen die Ammoniak-Emissionen in den empfindlichen Natur-Lebensräumen unter den kritischen Werten liegen und die Stickstoffeinträge in die Glarner Gewässer um 50% tiefer sein gegenüber denjenigen der Achtzigerjahre», so Baltensweiler. Und abschliessend: «Die Massnahmen vonseiten Landwirtschaft sind wichtig. Für die Lösung muss aber die ganze Bevölkerung mitziehen und mit den Ressourcen sorgsam umgehen. Alle können mit ihrem Konsumverhalten beitragen, Food-Waste zu verhindern sowie regional angepasste, nachhaltige Produkte zu stärken.»

Weitere Infos zum Stickstoffkreislauf in der Landwirtschaft gibt momentan eine Themenwand mit Kurzfilm im Naturzentrum Glarnerland im Bahnhofsgebäude Glarus. An der Glarner Herbstviehschau vom 12. Oktober 2024 wird zudem anhand von Postern über das Thema Schleppschlauch-Obligatorium informiert.