«Teilwelten»-Lesung mit Melchior Werdenberg im «wortreich» Glarus

Ohne die Buchhandlung «wortreich» an der Abläschstrasse des kleinen, feinen Hauptortes wäre das kulturelle Geschehen ein starkes Stück geringer. Filme, seien sie nun für Kinder, Senioren und weitere Gäste, Kleintheater, Auftritte von musikalischen Formationen, Lesungen, Kennenlernen kulinarischer Kostbarkeiten, Hinführen zu eigen- und bodenständigem Leben, beispielsweise auf Alpen und anderes stehen auf der Angebotsseite – neben naturgemäss verschiedensten Büchern, Karten, DVDs und anderem.



Verlagsleiter. Christa Pellicciotta
Verlagsleiter. Christa Pellicciotta

Am vergangenen Sonntagmorgen konnte Christa Pellicciotta Hans Baumgartner, unter dem Pseudonym Melchior Werdenberg schreibend, und dessen Verleger, Bernd Zocher, Leiter des Elster Verlags, Zürich, herzlich willkommen heissen. Die gebannt Hinhörenden begegneten in Werdenbergs «Teilwelten» einer knappen Sprachgestaltung mit klaren, intensiven und spannenden Momenten. Sie sahen sich mit mannigfaltigen Gefühlen, Vermutungen, Suchen, Deuten, Hinterfragen, Betroffenheit konfrontiert. Geschildert werden Erlebnisse und Befindlichkeiten von Heranwachsenden, oft als Momentaufnahmen, dann wieder weit fassend und das Geschehen zusammenführend. Unwillkürlich taucht man in die eigene Kindheit ein, weckt längst Vergangenes. Mit glarnerisch Vertrautem finden sich in einigen Erzählungen ganz schnell Bezüge zu Brauchtum und örtlichen Gegebenheiten.

Klug war das Lesen gegliedert. Zwischen drei kurzen Geschichten standen Gespräche, die einen den Verfasser und die geschilderten Inhalte näher brachten. «Bigger» erduldete schmerzhafte, quälende und verletzende Schläge und Verunglimpfungen. Er war in der Opferrolle, litt still, nahm so vieles auf sich, was anderen galt. Das schmerzte die Hinhörenden, machte durch das starke Strukturieren, den direkten, klaren Schreibstil enorm betroffen und führte zu einem ersten Gespräch.

So wurde klar, weshalb Hans Baumgartner, mit Sernftaler Wurzeln und dem Glarnerland freundschaftlich verbunden, nach der Fusion seiner engsten Umgebung etwas entrissen, unter einem Pseudonym schreibt. Er führt in Zürich eine Anwaltskanzlei und amtete einst als Richter. Unter dem Pseudonym lasse sich freier, unabhängiger – von Hauptberuflichem gelöst – schreiben. Baumgartner hat sich in vielen Teilen Friedrich Glausers Schreibkunst zum Vorbild gemacht, dessen Gestalten aber nicht einfach kopiert. Er hat erkannt, dass die knappe Sprache dicht, direkt, leidenschaftlich und klar ist.

Als zweite Geschichte war «Das Schweigen» in all seinen Facetten angeboten. Das Geschehen betraf Krieg, Mord, Geschichte des Ersten und Zweiten Weltkrieges, gestellte, aber eigentlich verbotenes Fragen am familiären Mittagstisch, das stumme Auseinandersetzen mit Grossvaters Schnauz, dessen Form jenem eines Wahnsinnigen im ehemaligen Grossdeutschland stark glich. Im Knaben tauchen Bilder mit berührendem Abwägen, Mut zum Fragen und zahllose Erinnerungen auf. Die Antwort auf eine Frage war, dass die Geschichte nicht real sei, dass sie sich an Realität stark anlehne. Baumgartner kam auf Friedrich Glauser zu reden. Und schliesslich wurde klar, weshalb Bernd Zocher Baumgartner zum Schreiben drängte. Schreiben, so Baumgartner, sei wohl eine Alterserscheinung. «Das Gefühl» war Titel der dritten und letzten Geschichte. Es ist ein Monolog zu Stichwörtern wie Wetter, Schuhe, Drehtür, Gäste im Speisesaal, Warten, Beobachten, Philosophieren.

Es wächst ein unterhaltsames Geschehen. Verweilen war bei einem feinen Apéro angesagt. Es wuchsen Fragen, intensive Gespräche und willkommener Gedankenaustausch.