Thomas Meyer mit «Wolkenbruch» im Richisau

Hin und wieder ist die Rede von jener Person, die eine Reise tat und etwas erlebte. Thomas Meyer entführte im Richisau – im erhabenen (beinahe) autofreien Teil des Klöntals auf eine derartige Reise. Es sei vorweggenommen; er verfügt über einen Reichtum an Wörtern und die beneidenswerte Kunst des höchst eleganten Schilderns sowie die profunden Kenntnisse der jüdischen Gemeinschaft in Zürich, die ein ungemein vergnügliches Zuhören und Reinlesen geradezu provoziert. Sein Debütroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» wurde vor wenigen Jahren verfilmt.



Thomas Meyer mit «Wolkenbruch» im Richisau

Der 1974 in Zürich geborene Autor ist Sohn einer jüdischen Mutter und eines christlichen Vaters. Neben dem literarischen Schaffen ist er auch Drehbuchautor, Texter und Aktionskünstler. Sein Jus-Studium an der Uni Zürich brach er ab. Verdiente Beachtung erlangte er ab 1998, als er unter dem Pseudonym Hans-Schmerz-Kolumnen veröffentlichte. 2007 machte er sich als Auto und Texter selbstständig.

Thomas Meyer ist ein subtiler Betrachter, ein liebenswürdig beschreibender Kenner der vielen jüdischen Gepflogenheiten, die er so locker und deutlich rüberbringt, nie verletzend oder verurteilend. Er weiss sehr genau, wie es in den jüdischen Familien zu- und hergeht, welche Traditionen gepflegt und gelebt werden, wie stark der Zusammenhalt in der Gemeinschaft ist, was orthodoxe Juden strikt ablehnen, wie sie sich mit leicht Ausgeflipptem, und Unerwartetem tun, wie sie sich gegen die Lockerungen der uralten Regeln und Gewohnheiten stemmen. Thomas Meyer vermengt Altes und Neues, Jüdisches und Fremdes so kunstvoll, mit riesiger Eleganz. Mit beneidenswerter Kurzweil führt er in seine Familie und deren Umfeld ein. Die Verflechtung des Deutschen mit vielen jiddischen Ausdrücken ist richtiggehend charmant.

Da wären also – ohne nachvollziehbaren Anspruch auf Vollständigkeit – der junge orthodoxe Jude Mordechai Wolkenbruch, kurz Motti genannt. Er hat zwei Brüder, die bereits eine Familie ihr Eigen nennen. Motti steht im Zentrum des ungemein wechselvollen Geschehens. Er ist ein Wanderer zwischen verschiedenen Welten. Ihn begleitet, verfolgt, bemuttert, überfährt, seine mame. Sie ist unablässig auf der Suche einer Heiratskandidatin für ihren Motti, den sie dringendst vermählt sehen möchte. Das ist ihr Lebensinhalt, sie als wandelnde Heiratsagentur, trickreich, nicht eben elegant, dafür umso deutlicher agierend, wortreich, korpulent, überschäumend herzlich, gradlinig urteilend. Motti wird schier erdrückt, wehrt er sich mal deutlich, ist das gar nicht im Sinne des mütterlichen Strebens. Und was bei derartigen Treffen so resultiert, ist echt vergnüglich. Es kommt der tate, der Vater dazu. Er ist Versicherungsfachmann, Inhaber eines Büros, in dem Motti tageweise arbeitet. Er gibt sich eher wortkarg. Dazu kommt Laura, die Schickse, die nichtjüdische Frau, die ungemein attraktiv ist, ebenfalls studiert und auf die der Motti mehr als ein Auge wirft – sehr zum Ärger der Mutter.

Und das ganze Geschehen fügt sich so kunstreich. Thomas Meyer führt einen gar geschickt in die jeweils gültige Szenerie ein, deren gibt es viele. Das Geschehen plätschert nicht einfach dahin. Es holpert, rumpelt, hüpft, verharrt. Zum wechselreichen Mitgeniessen ist man herzlich eingeladen.

Motti grenzt sich vom orthodox dominierten Leben langsam ab, beispielsweise dann, wenn er bei einem nichtjüdischen Optiker eine total gestylte Brille kauft, von der Weissagerin so vieles bestätigt sieht, was sich im bisherigen Leben schon ereignet hat, er seine Zuneigung der Schickse (Bezeichnung von Nichtjuden) zuwendet. Er will das verhindern, was irgendwo steht: «Der Jude wandelt sein ganzes Leben auf einem scharf gezogenen Pfad – so ist der ewig gleiche Fahrplan».

Das dauernde Hin und Her zwischen Tradition, Gewohntem und die Suche nach Neuem sind bewegend, sind Vermischung von Munterkeiten, Fragen, Aufbegehren, Planen, Resignation, Neugierde und anderem. Seine Zuneigung zur Mitkommilitonin Laura, eine Nichtjüdin, beginnt zu wachsen, führt zu stürmischsten Höhepunkten. Das ist die Liebe, die ihm bisher verwehrt geblieben war. Er verkannt, dass Laura ihn und andere gleichermassen liebt, wertschätzt, innigste Zuneigungen zu zeigen vermag. Für Motti endet das bitter, unerwartet schmerzlich. Er, der sich im Laura-Liebhaber-Verein aufgenommen weiss, wird von seiner überenergischen mame vor die Haustüre gesetzt. Er kann nicht mehr rein, packt die für ihn schon gepackte Reisetasche, findet kurzfristig bei Horst Aufnahme, wird brutal rausgeschmissen und landet im elften Stock eines Hotels. Er sieht auf die Limmat und die fliesse – so der Teil des allerletzten Satzes «nach irgendwo».

«Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse» ist Thomas Meyers Erstling. Es habe sich, so Gaby Ferndriger bei ihrer kurzen, herzlichen Begrüssung, das Buch 166 000-mal verkauft – was nun auch den Autor in Staunen versetzte. Meyer, nunmehr weiterführend, gab an, 280-mal gelesen zu haben. Im «Richisau» – diesmal neblig, vom Regen stark heimgesucht – sei dies letztmals der Fall. Bald, in einigen wenigen Monaten, werde die Weiterführung des Wolkenbruch `schen Schicksals erscheinen. Er berichtete über seinen Werdegang, den er einst in neun Stadien gegliedert habe. Er sprach zu einem dieser Kapitel; darüber wie reizvoll eigentlich Buchstaben seien, wie man als Kleiner «ch» oder «sch» so genussvoll aussprechen, darauf fast rumkauen könne. Es sei toll, wie sich diese kleinen Dinger zu Wörtern, Sätzen, Ansichten fügen. Sie provozieren dann Reaktionen aller Art. Er klärte über die Bedeutung jüdischer Nachnamen auf, die man im 19. Jahrhundert bei Missfallen gegen Bezahlung ändern konnte.
Am Anfang jedes Buches stehe der Gedanke, entwickle sich zu einem Geschehen. Und im ersten Teil des Buches werden die Rahmenbedingungen in einer jüdischen Familie vorgestellt. Es wird die damit zusammenhängende Heiratsvermittlung erwähnt. Sie nimmt in Weiterführendem breiten Raum ein. Die mame ist nicht grad eine Vertreterin der «gmögigen» Art. Mit der Lesung lernte man den Opa im Altersheim, den Toyota als Familienauto, die Einkaufsgewohnheiten bei ausschliesslich jüdischen Geschäftsführenden, Mottis Ausbrechen aus diesem Gefüge, den von Elternseite verordneten Trip nach Israel samt Aufenthalt bei orthodoxen Hippies und anderes kennen – kurzweilig, spassig, verschmitzt kam das rüber.

Um Fragen aus dem Publikum vorwegzunehmen, brachte Thomas Meyer das vor, was am häufigsten an ihn herangetragen werde. Erstens schildere er ausschliesslich Wahrheiten. Zweitens sei das keine Autobiografie, oder vielleicht doch ein klein wenig. Und drittens sei ein frommer Jude für streng Orthodoxe zu wenig fromm.

Charmant war der Abschluss, der Applaus mehr als verdient. Noch konnte man sich am Büchertisch bedienen, mit Thomas Meyer ein klein wenig plaudern und bei sorgsam Zubereiteten verweilen – bevor es dann im immer noch heftigen Regen nach Hause ging.