Tic Tac – Ferrucio Cainero in Näfels

Es war ein so gehaltvolles, vielschichtiges Begegnen im Hotel Schwert zu Näfels. Caineros Fabulierkunst, seine Gestik, das charmante Vermischen der Sprachen, die jeweilige Thematik, das blitzschnelle Wechseln zwischen Erdachtem, Realem, Hoffen, Zurückerinnern und Zukünftigem muss man gehört haben. Cainero, 1953 im italienischen Udine geboren, lebt und arbeitet seit zwei Jahrzehnten in der Schweiz. Bekannt ist er als erfahrener Theatermann, Regisseur, Autor und Schauspieler.



Ferrucio Cainero in Näfels (Bild: p.meier)
Ferrucio Cainero in Näfels (Bild: p.meier)

Es war ein Verwöhnen auf höchster Ebene. Ferrucio Caineros Kunst besteht aus Sprache und nochmals Sprache, ist punkto Inhalt einfach riesig gut. Was beispielsweise historisch korrekt oder bloss erdacht und witzig hinterfragt wird, muss den gebannt Hinhörenden überlassen bleiben. So beseelt, intelligent und kunstvollst verknüpft sind die jeweiligen Inhalte. Tic Tac ist ausgedeutscht, gedeiht zur jeweiligen Vollkommenheit, ist liebevoll, mit Herzblut, der gebührenden Portion an Respekt und zwischenmenschlichem Verständnis, dann wieder rotzfrech – wenn es denn sein muss.

Tief wird man zuerst in die Italianità geführt, bereitwillig und kenntnisreich hingetischt. Man vernimmt, dass Caineros Vater Uhrmacher war, nicht auszuwandern gedachte. Sich mit hohem Sachverstand um seine defekten, einhertickenden Gäste kümmerte. Fehlte etwas – und das kam aus verschiedensten Gründen vor – musste es behoben werden. Besagter Grossvater wusste sich mit Omega, Tissot, Longines und Co stets umgeben, hatte so Kontakte zum Nachbarland. Er war starker Raucher, sorgsam Betrachtender, Geniesser, Aufbegehrender. Tic und Tac waren nicht einfach Grundmasse der Mechanik, sie waren Seele und damit Leben. Wie er sich darin rumbewegte, zeigte Cainero auf. Es spielten da noch Besuche der Nonna, das Zusammenleben mit der Ehegattin, Kontakte zu Gott, Schicksalsblitze von oben und das Getue der Kinder mit rein. Gelebt und ausgelebt wurde in einer fordernden, reichhaltigen Welt. Einbezogen war fast alles, was dazugehört. Caneiro nahm sich des Kochens, der Tomaten, Gebete, Stürmen, Lebenszeichen der sich wechselvoll bemerkbar machenden Uhren und anderem an. Zwischen Tic und Tac – das wurde durch die Kunst dieses Erzählers hörbar – liegt eine ungeahnt grosse Fülle von möglichen Erlebnissen.

Othello und Desdemona, die Dreieinigkeit, das Gebären von Kindern (einäugig, hundertarmig), Chronos als Herr des Universums, der Olympus erwachten zum Leben auf Zeit. Chronos, so war zu vernehmen, sei einfach immer da. Die griechische Mythologie sei zeitlos faszinierend – Cainero wurde zum mehr oder weniger seriös Forschenden.
Weiter ging es dann mit Adam und Eva, Luther, den Druck der Bibel und das Zugänglichmachen von breitem Wissen – für jene, die dieser Sprache mächtig waren. Latein als Umgangssprache der katholischen Gemeinschaft, komplizierte Verbindungsstrukturen zwischen Himmel und Erde, das kirchliche Machtgebaren, die Armut von Jesus und seinen Jüngern, die nur Sandalen trugen und lange Gespräche führten, somit kaum arbeiteten, Bauernkrieg, Verhalten der Adligen – Cainero verwob blitzschnell, ohne Wenn und Aber, mit wohldosierter Theatralik. Er zeigte auf, wie Ost – lastig das weihnächtliche Geschehen in Bethlehem war, alle drei Könige kamen aus dem Osten!
Dann war es gedanklich kein weiter Weg mehr bis zum Bau der Arche, den stets stark arbeitenden Hugenotten, dem Unverstand des Adels gegenüber den Verarmten, Darbenden. Der französische Sonnenkönig samt seinen Launen, dessen Art zu regieren und reagieren waren ein weiterer Themenkreis in der Fülle an Kurzweil.
Flugs gings rüber zu zuweilen ausufernden Festivitäten mit tragischem Ausgang. Lady Diana kam da vor. Man wurde dann nach La Chaux-de-Fonds gebeten, ins Uhrenmuseum, zu den in regelmässigen Vierecken angeordneten Strassen. Cainero lobte diese Direktheit, schwärmte wieder von Markenuhren und befasste sich dann ausführlich mit der Nostalgie als erwiesenermassen schweizerischen Erfindung. Nicht selten seien Todkranke im Ausland nach ihrer Rückkehr zu Einheimischem genesen, hätten sich wieder frei und unbeschwert bewegen können. Natürlich gab es da unumstössliche Beispiele.

Er kam wieder auf seinen Vater zu reden, der seit seinem 14. Lebensjahr auch Kinooperateur gewesen sei und nach dem Niedergang der Filmbranche alle Apparaturen wegzuräumen und in stabilen Holzkisten zu lagern hatte. Da sei so viel von diesem Tic Tac einfach verschwunden – und trotzdem bleiben Nostalgie und Erinnern, Sehnen. Es ist endlos.
Die Zugabe war zugleich Einblick ins neue Programm mit Kolumbus, Genua als Handelsstadt, raffinierten Händlern, Seefahrern und richtige Geldanlage. Cainero – es war unüberhörbar – würde auch in weniger als fünf Jahren unser Gebirgsland wieder besuchen – er wäre – gestützt auf den riesig langen und herzlichen Applaus – herzlich willkommen.