Tier auf der Fahrbahn, was tun?

Für «Normalsterbliche» wird es immer schwieriger, bei all den Artikeln und Paragrafen im Gesetzesdschungel den Durchblick zu behalten. Rechtsanwalt Oliver Streiff gibt auf glarus24 Tipps zu Problemen aus dem Alltag.



(Motivbild: jhuber)
(Motivbild: jhuber)

Unvermittelt rennt im Innerortsbereich bei flüssigem Verkehr ein ausgewachsener Hund auf meine Fahrbahn. Innert Sekundenbruchteilen muss ich entscheiden: Soll ich eine Vollbremsung einleiten und dem Tier eine Überlebenschance geben, aber dabei riskieren, dass das Fahrzeug hinter mir in mein Heck kracht? Oder soll ich weiterfahren und meiner Sicherheit den Vorzug geben? Im Fall der Vollbremsung: Werde ich für den Schaden an meinem und dem Fremdfahrzeug zur Kasse gebeten und überdies auch noch gebüsst?

Das Tier verdient in jedem Fall eine Chance, auch aus rechtlicher Sicht. Für den hinanfahrenden Fahrzeugführer gilt nämlich, dass er einen ausreichenden Abstand zu wahren hat, sodass er auch bei überraschendem Bremsen des voranfahrenden Fahrzeugs rechtzeitig halten kann. Für den Bremsenden gilt allerdings: Brüskes Bremsen und Halten sind nur gestattet, wenn kein Fahrzeug folgt oder im Notfall. Ein Notfall liegt gemäss Bundesgericht jedoch immer dann vor, wenn wegen eines plötzlich auftauchenden Hindernisses sofort gebremst werden muss. Aus Achtung des tierischen Lebens kann vom Fahrzeuglenker nicht erwartet werden, «dass er beim Auftauchen von Wirbeltieren einfach zufährt». In vorliegender Angelegenheit ist insgesamt davon auszugehen, dass eine abrupte Vollbremsung keine rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen würde, auch wenn es kracht. Die Entscheidung allerdings, welchem Rechtsgut der Vorzug gegeben wird, bleibt schlussendlich eine moralische Entscheidung, die jeder für sich fällt.