Tschernobyl – seit dem 26. April 1986 gehen die Uhren anders

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hatte nicht nur Auswirkungen in der Ukraine und in Weissrussland. Die Strahlen waren Tage nach der Explosion und dem Brand im Reaktor 4 auf der ganzen Welt zu messen. Eine Ausstellung im Foyer der Kantonsschule in Glarus, sowie eine Buch von Swetlana Alexijewitsch erinnern in diesen Tagen an dieses Ereignis, auf das Tschernobyl nicht vergessen werde.



Vladimir Korolev
Vladimir Korolev

Der von Glarus weltoffen, Dialog Nord-Süd Glarus, Freunde von Kobrin und der Partnerschaft Aargau-Belarus Anlass war zweigeteilt. Zuerst wurde in der Kantonsschule die Ausstellung „20 Jahre nach Tschernobyl“ eröffnet. Anschliessend hatte die Glarner Bevölkerung die Möglichkeit an der Lesung des Buches „Tschernobyl – eine Chronik der Zukunft“ teilzunehmen.

Ausstellung in der Kantonsschule

Eröffnet wurde die Ausstellung durch Heinrich Aebli, ehemaliger Gemeindepräsident von Glarus, mit einer kurzen Vorstellung von Weissrussland, ebenfalls bekannt unter dem Namen Belarus. Das Land ist flächemässig zehn Mal so gross wie die Schweiz, zählt aber nur wenig mehr Einwohner als die Schweiz, nämlich gegen 10 Millionen. Belarus ist wie die Schweiz ein Transitland und zwar von Ost nach West. Nach der Explosion im Reaktor 4 in Tschernobyl hat Belarus mit seinen liebenswerten Menschen am meisten unter dieser Katastrophe zu leiden. 25% des Landes, welches selbst über kein Atomkraftwerk verfügt, sind verstrahlt. In Kobrin ist heute jeder sechste Einwohner ein Flüchtling aus dem verstrahlten Gebiet. „Unsere Ausstellung und die anschliessende Lesung mögen ein ganz klein wenig zum Verständnis der Situation in Belarus beitragen. Ich danke der Botschaft von Belarus und dem Kanton Aargau, dass sie uns das ermöglichen.“ Nach diesen Worten übergab Aebli das Mikrofon an Vladimir Korolev, Botschafter von Weissrussland.

Folgen von Tschernobyl

Der Botschafter bedankte sich zu Beginn seiner in russisch gesprochenen Rede – übersetzt durch Konsul Alexander Ganjewich – für die Möglichkeit, diese Ausstellung in Glarus zu präsentieren. Die eindrücklichen Bilder auf den verschiedenen Plakaten wurden sämtliche von Kindern in der Gegend von Tschernobyl aufgenommen. Unterstützt von einem Starfotografen aus Italien und unter dem Patronat von UNICEF. Die Ausstellung kann während den nächsten zwei Wochen besichtigt werden, bevor sie anschliessend in Moskau zu sehen sein wird. In eindrücklichen Worten weist er darauf hin, dass nebst dem verseuchten Boden auch über 1.5 Mio Menschen, darunter gut 217.000 Kinder heute noch unter den Folgen des Reaktorunfalls zu leiden haben. Bis heute wurden über 13 Milliarden Euro aufgewendet für Rehabilitation aber auch zur Behebung von Schäden aufgewendet. Belarus erhält international grosse Unterstützung aus 60 Ländern der Welt. Im vergangenen Jahr wurden über 75 Mio Dollar gespendet, davon immerhin 12 % aus der Schweiz. Jährlich können 100 Kinder zur Rehabilitation in die Schweiz reisen. Für diese Hilfen dankt er der Schweizer, im besonderen aber der Glarner Bevölkerung.

Bilder von Viktor Tikhonov

Parallel zur UNICEF Ausstellung sind Bilder vom weissrussischen Maler Viktor Tikhonov zu besichtigen. Der Künstler ist 1955 in Pukschino-Vitebsk – der Geburtsstadt von Marc Chagal – geboren. Seine meisterhafte Umsetzung der Landschaft, in dem ihm eigenen Stil des „groben Pointilismus“, zeichnet in aus. Aus der Distanz betrachtet erscheinen seine Bilder fast fotorealistisch, aus der Nähe aber äusserst abstrakt. Eindrücklich sind seine neusten Bilder aus dem Zyklus „Trauer der verlassenen Dörfer“. Darunter ein einprägendes Bild einer verlassenen Buchhandlung aus der näheren Umgebung von Tschernobyl.

Lesung von Swetlana Alexijewitsch

Moderiert wurde die Lesung in der Landesbibliothek in Glarus von Helen Stehli, bekannt aus der Sendung DOK von Radio DRS und Kennerin der weissrussischen Szene. Sie war selbst mehrmals in Tschernobyl und der Umgebung, konnte somit den aufmerksamen Zuhörerinnen und Zuhörern die Situation im nach wie vor verseuchten Gebiet schildern. Der Reaktorunfall in Tschernobyl hat vieles verändert und war der grösste Unfall aller Zeiten einer zivilen Kernkraftanlage. Immer wieder wurde auch die Autorin des Buches in das Gespräch mit einbezogen. Diese erzählt, dass Weissrussland 70% der Strahlen die Ukraine als Betreiber der Anlage dagegen nur 30 % der gefährlichen Strahlen abbekommen hat. Noch heute wird über die Nahrung Radioaktivität aufgenommen. Die ist vor allem für die Kinder sehr schlimm. Die Autorin schreibt dieses Buch in erster Linie gegen das Vergessen. Erstmals erschien dieses Buch 1997 und wurde 2000 neu aufgelegt. Das Buch ist in Weissrussland nach wie vor noch verboten. Die Autorin ist 1948 in einem ukrainischen Dorf geboren und gilt als eine wichtige Zeitzeugin der postsowjetischen Gesellschaft. Zwischen den Dialogen der Moderatorin und der Autorin las Almut Neumann, Pfarrerin in Mitlödi, ergreifende Geschichten – Monologe – aus dem erwähnten Buch. Auch sie wurde beim Lesen des Textes immer wieder leicht „übermannt“, so tragisch und ergreifend waren diese Monologe von betroffenen Menschen aus der Gegend von Tschernobyl. Den Anwesenden wurde an diesem Abend viel Tragisches aber auch viel Unverständliches und vor allem Unbegreifliches geschildert. Diese Lesung bleibt sicher für alle Zuhörerinnen und Zuhörer sehr „Nachhaltig“, um ein heute sehr gebräuchliches „Schlagwort“ zu verwenden.

Die Ausstellung wie auch das Buch gibt einen ergreifenden Eindruck in die Geschehnisse vom 26. April 1986 um ein Uhr dreiundzwanzig in Tschernobyl. Ein tragisches Ereignis, welches nicht nur in Weissrussland vieles verändert hat.