Über die „Anverwandlungen“ in der Kunst

Was am Donnerstag mit dem zweitägigen „Literarischen Vorspiel“ begann, fand am Samstagabend einen nahezu nahtlosen Übergang vom Wort zur Musik. In anspruchsvoller, oftmals äusserst kreativer Weise versuchten die Musizierenden dem Thema „Musik über Musik“ durch ihre Programmgestaltung gerecht zu werden. Bisher gelang dies allen in begeisternder und überraschender Weise hervorragend.



Ursina Braun (Cello) und Timm Bartal am Klavier gaben ein überzeugendes Konzert von ihren schon in jungen Jahren erlangten Fertigkeit wie ebenso Flurin Schwerzmann auf der Trompete (nicht auf Foto) (Bilder: rzw) Marc und Anne-Laure Pantillon begeisterten das Publikum mit von Webers „Freischütz Ouverture“ und dessen Adaptionen Michael Eidenbenz wagte den schwierigen Versuch
Ursina Braun (Cello) und Timm Bartal am Klavier gaben ein überzeugendes Konzert von ihren schon in jungen Jahren erlangten Fertigkeit wie ebenso Flurin Schwerzmann auf der Trompete (nicht auf Foto) (Bilder: rzw) Marc und Anne-Laure Pantillon begeisterten das Publikum mit von Webers „Freischütz Ouverture“ und dessen Adaptionen Michael Eidenbenz wagte den schwierigen Versuch

Am Donnerstag zu Beginn des „Literaschen Vorspiels“ prägte Klara Obermüller den so neu geschaffenen Begriff „Anverwandlung“ anhand der Erläuterung, dass ein bildender Künstler seit alters her sein Handwerk dadurch erlernte, indem er durch Kopieren alter Meister über einen unterschiedlich langen Zeitraum hinweg zu seinem eigenen Ausdruck fand.

So eignete sich beispielsweise – dies führte wieder zurück zur Literatur – Hermann Burgener in jahrelangen „Schreibübungen“ die ganz unterschiedlichen Schreibstile von Kafka, Joyce und Proust an, in der Hoffnung dadurch seine unverkennbar persönliche Schreibeweise zu finden. Was für die bildende und schreibende Kunst gilt, trifft auch auf die Musik zu.

Aneignen und Verwandeln

In der doch eher philosophischen Annäherung durch Michael Eidenbenz in seinem sonntäglichen Einführungsreferat zum diesjährigen Thema ging es über Aneignung einzelner Werkvorgaben oder Themen zwecks kompositorischer Verwandlung weit hinaus. Somit weitete Michael Eidenbenz – in Unkenntnis des durch Klara Obermüller geprägten Wortes der „Anverwandlung“ – diesen Begriff noch dahingehend aus, dass er akustisch und wortreich belegte, wie Ludwig van Beethoven in seiner genialen Originalität im finalen Satz der 5. Symphonie die traditionelle Weise der Klassik durchbricht und seine 5. Symphonie in c-moll in pathetisch jubelnder C-Dur-Tonfolge ausklingen lässt. Was Beeethoven aus sich selbst heraus schuf, eigneten sich mehrere Komponisten in der darauf folgenden Romantik bis zur Moderne an, indem beispielsweise Charles Ives mit dem Finalsatz seiner 2.Symphonie und Dmitri Schostakowitsch in der 5. Symphonie Beethovens „Jubel“ folgten, doch bei Ives alles in der Schlusskadenz in witziger Weise schief geht und Schostakowitsch’ Jubelschluss mit den markanten, kräftigen Paukenhieben von der Komintern falsch gedeutet wurde.

Am Montag führte Peter Eidenbenz ganz im Sinne seines Sohnes Michael die Spurensuche nach Anverwandlungen in der Musikgeschichte fort, jedoch für ihn war die Frage nach dem „Warum macht frau/man(n) das?“ referierend führend. Am eindrücklichen wie auch verzerrenden Beispiel, wie James Last die „Best of Classic“ up dated, wurde klar, wie klassische Musik Zugang in der heutigen Zeit zu jederfrau/jedermann gefunden hat. In süsslichem, nahe dem Kitsch anheim fallendem Gesang, stellt ein Chor Beethovens-Melodienfolge des Albumblattes „Für Elise“ ins Zentrum, untermalt im James Last’ typischen Stil. Eidenbenz ist der Meinung, dass auch dies ernst zu nehmen sei, denn Last „weiss“, was das Massenpublikum hören und kaufen will und sogleich auch die Gewissheit erhält: „Jetzt kennen wir klassische Musik“. Somit birgt diese Art von kitschiger Anverwandlung auch eine Chance in sich, den nach wie vor kleinen Kreis klassischer Musik zugewandter Interessierter zu erweitern und – wie Eidenbenz dies in der Folge seines Vortrages noch eindrücklich präsentierte - auch für anspruchsvollere Musik bis hin zur Moderne zu öffnen.

Musikalische Annäherungen

Alle Musizierenden setzten das diesjährige Wochenthema bisher in vielfältiger, überraschender Weise treffend um, sodass das zahlreiche Publikum immer wieder begeisternde Momente erleben konnte. Am intensivsten näherten sich Vater und Tochter Pantillon dem Thema an. Der erste Konzertteil war ganz dem Thema von Webers „Freischütz- Ouverture“ gewidmet, die durch Paul Taffanels und Mel Bonis’ Verwandlung zu völlig neuen Hörerlebnissen führte. Dies auch Dank der hoch stehenden Wiedergabe durch die Flötistin Anne-Laure und Vater Marc am Piano, die in stupender Harmonie auch noch die schwierigsten Passagen genial meisterten. J.S. Bach und Heinz Holliger – können diese im Wechsel aufgeführten so unterschiedlichen Komponisten das Wochenthema illustrieren? Ja, sie konnten es, doch auch nur wieder dank der genialen Ausführung von Holligers Komposition durch die Flötistin Anne-Laure Pantillon, die sich und ihrem Instrument alles abverlangte – von Trompetentönen, dem Double spielend hauchen mit unterlegter Singstimme bis hin zum schmerzhaft erlebbaren tiefst möglichen Basston.

Noch bis Freitagabend haben Sie Gelegenheit, der Spurensuche ganz persönlich zusammen mit den Musizierenden zu folgen, um am Freitagabend dann das schon zur schönen Tradition gewordene Schlusskonzert unter der Leitung des Glarner Dirigenten und Musikers Peter Freitag auch in gesanglicher Ausführung das Wochenthema hörend zu erleben.