Über Kettenstich und andere Stickereien

An der Fabrikstrasse Ennenda befindet sich im Obergeschoss der «Baumwollblüte» ein wahres Juwel aus der bewegten Zeit der Textilindustrie. Und es ist das Verdienst von Ruth Kobelt-Jenny und ihren Familien, dass die Geschichte der einst dominierenden Textilindustrie im Bewusstsein der interessierten Nachwelt erhalten bleibt.



Über Kettenstich und andere Stickereien

Ist doch mit diesen Jahrzehnten eine interessante, das damalige Leben der glarnerischen Bevölkerung prägende Zeitspanne verbunden – mit sozialem Elend, der handwerklichen Hochblüte, Kinderarbeit, unmenschlich langen Arbeitstagen, Willkür und – als Folge – Gesetzen, die eine markante Verbesserung für die Beschäftigten brachten. Das Comptoir ist ein markanter Zeitzeuge, eine Stätte des sorgsamen Aufarbeitens und Präsentierens.

Edition «Comptoir-Blätter»

Die Edition der «Comptoir-Blätter» umfasst bereits sieben Bände und ist ein Fundus für jene, die an der textilen Geschichte Freude haben und bereit sind, sich in sorgsam und umfassend Erarbeitetes zu vertiefen. Herausgeber der «Comptoir-Blätter» sind Reto Daniel Jenny und Ruth Kobelt-Jenny. Sie setzen sich damit für die thematische Aufarbeitung und Aufbereitung von wertvollen, zum Teil ungeordneten Sammelbeständen nachhaltig ein. Für den siebten Band mit dem Titel «Kettenstich und andere Stickereien» – eine Sammlung von Stickereibeispielen, die Fritz Iklé in den Jahren 1931–1933 für Adolf Jenny-Trümpy zusammenstellte, konnte Anne Wanner – JeanRichard als versierte Referentin gewonnen werden. Die Kunsthistorikerin hat die Unterlagen gesichtet und zu einem gar ansprechenden Ganzen gefügt. Sie studierte Kunstgeschichte und promovierte an der Universität Zürich mit einer Arbeit über Kattundrucke in der Schweiz im 18. Jahrhundert. Nach einem Aufenthalt in Kanada und den USA nahm sie die Arbeit als Kuratorin im Textilmuseum der Stadt St. Gallen auf.

Intensiver Austausch zweier Textilfachleute


Grundlage dieser Edition ist der intensive Austausch zweier Textilfachleute. Nachzulesen ist vieles in den Briefen zwischen Fritz Iklé (1877–1946) und Adolf Jenny-Trümpy (1855–1941). Begonnen hat alles mit einer Anfrage, die Adolf Jenny an Leopold Iklé gerichtet hatte. Antwort erhielt er im August 1923 von dessen Sohn. Der Vater war verstorben. Iklé erwähnte seine im Entstehen begriffene Sammlung von Druckstoffen und wollte mehr über Druck, Technik, Herkunft und Alter dieser Stoffe erfahren. Es setzte ein offenbar reger, fruchtbarer Gedankenaustausch samt Zusendung von Stoffmustern ein. Intensiv diskutierten Iklé und Jenny gemusterte Garne und entsprechende Gewebe. Iklé äusserte sich auch zur Ikat-Technik in Japan. Mit Bezug auf diese geflammten Garne stellten sich die beiden die Frage nach dem Ursprung der Stickereiindustrie. Es waren zum Teil nur ganz wenige Muster vorhanden. Iklé suchte leidenschaftlich und sah sich im Mai 1933 in der Lage, dem Ennendaner Jenny eine Zusammenstellung zum Kettenstich zukommen zu lassen. Später befasste er sich mit Erfolg mit der Entwicklung der Blattstickerei bis hin zur industriellen Fertigung. Im Oktober 1933 befasste sich Iklé mit der Handstickerei. Er sandte Jenny zwölf Bogen mit Mustern zu und befasste sich in der praktisch gleichen Zeit mit der Technik des Kettenstichs. Von Hand wurde mit einer Nadel oder einem Häklein auf einem gespannten Stoff gearbeitet. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelangte die manuell bediente Kettenstichmaschine zum Einsatz. Iklé rapportierte detailliert über die Kurbelstickmaschine, deren Einsatzgebiete und die sogenannte Soutache-Technik. Von Interesse waren die Ausführungen zur Entwicklung der Kettenstichmaschine, die in diesen Prozess involvierten Familien und patentrechtliche Angelegenheiten.

Anne Wanner äusserte sich weiterführend zur Stickereisammlung, die Fritz Iklé zusammengestellt hatte. Frühe Beispiele betrafen Muster aus einem ägyptischen Grab und einen feinen Blumenstrauss, der um 1700 in Indien entstand. In der Schweiz entstand diese Stickereiform um 1400. Iklé widmete sich Stickereibeispielen aus der Zeit zwischen 1770–1830. Er fand ungemein schöne damalige Zeitzeugen.

Die Qualität der Stickereien war unterschiedlich. Der Export erfolgte hauptsächlich von St. Gallen aus. Iklé befasste sich zudem mit der Handstickmaschine. Er fand beispielsweise heraus, dass mithilfe der Äztechnik viele Arten von Nadel- und Klöppelspitzen nachgeahmt werden konnten.

Anlässlich der Vernissage zur Ausstellung im Comptoir – in Vitrinen sind viele Beispiele und Beschreibungen präsentiert – zitierte Anne Wanner aus der umfangreichen Korrespondenz. Wen wundert`s, dass bei grosszügiger und liebenswürdiger Bewirtung viele bei regem Gedankenaustausch zusammenblieben und oft zur Erkenntnis gelangten, dass man auch als Laie Einblicke in eine faszinierende, verflossene Kunstwelt erhielt.