Und plötzlich waren sie eingemauert

Es war am 13. August 1961. Um Mitternacht. Die Kampftruppen der DDR riegelten die Zonengrenze ab und begannen mit dem Bau der Berliner Mauer. Heute, 50 Jahre danach, gedenkt man diesem Tag.



Und plötzlich waren sie eingemauert

Meine Wohnung liegt unweit der ehemaligen Mauer im Osten der Stadt. Eine Doppelreihe Pflastersteine markiert den Verlauf. Fast täglich überquere ich sie. Und jedes Mal denke ich mir, wie war es möglich, ein ganzes Volk einzumauern. Für uns Schweizer ist das kaum vorstellbar. Doch für die Menschen in der DDR war es die bittere Realität.

Ich mache mich an diesem Tag auf den Weg Richtung Check Point Charly. Dem wohl bekanntesten Grenzübergang in der Friedrichsstrasse. In nur 20 Minuten Fussmarsch bin ich da. Zuvor mache ich noch einen Abstecher in die Niederkirchenstrasse. Da steht noch ein 100 Meter langes Stück der Original-Mauer. Ich bin zuvor schon oft mit dem Fahrrad an diesem Ort vorbeigefahren, doch heute lasse ich mir etwas Zeit. Ich schlendere an der Ostseite der Mauer entlang und versuche mir vorzustellen, wie es für die Menschen war, für die diese Mauer ein unüberwindbares Hindernis in die Freiheit war. Wie schon erwähnt, es ist für uns kaum vorstellbar. Und doch überkommt mich ein beklemmendes Gefühl.

Weiter geht es nun Richtung Check Point Charly. Es sind nur wenige Hundert Meter. Viele Hundert Touristen tummeln sich an diesem denkwürdigen Ort. Doch auch viele Berliner. Ich schaue mir ihre Gesichter an. Man spürt bei einigen, dass heute ein spezieller Tag ist. Jeder, der den Bau der Mauer hautnah miterlebte, hat eine Geschichte zu erzählen. Ein einzelnes, ganz persönliches Schicksal. Viele Familien wurden getrennt, Freunde, Verwandte.

Um 12.00 Uhr mittags ist eine Schweigeminute angesagt, die Glocken läuten, U- und S-Bahnen stehen still, um all der Opfer der Mauer zu gedenken. Auf der Grossleinwand werden Filme gezeigt. Szenen, die erschüttern. Menschen, die aus Fenstern springen. Sie nutzen die letzte Gelegenheit, um in die Freiheit zu gelangen. Sie springen über den Stacheldraht, lassen alle und alles hinter sich. Weinende Kinder, die ihre Eltern zum letzten Mal sehen.

Ich steh einfach nur da. Meine Gedanken sind bei all denen, die den Weg in die Freiheit mit dem Leben bezahlen mussten. Bei all denen, die viel Leid ertragen mussten.

Das ist nun schon 50 Jahre her. Und doch geht es einem nahe. Oft nutze ich die Gelegenheit, mit Menschen, die dies erlebt haben, zu sprechen. Und jedes Mal muss ich sagen, wie gut es uns doch ging und immer noch geht. Damit meine ich uns Schweizer. In all den Jahren, in denen ich schon im Ausland lebe, ist mir eines sehr bewusst geworden. Die Schweiz ist ein wunderbares Land. Wir sollten zufrieden sein und Sorge dazu tragen.