Ursi hält ihr Wort

Eine Weihnachtgeschichte hoch über dem Alltag – ein Weihnachtstheater der Braunwalder Spiellüüt.



Gulla und die jüngste Karlberg-Tochter besuchen den weisen Troll.
Gulla und die jüngste Karlberg-Tochter besuchen den weisen Troll.

Die zwölfjährige Gulla wächst ohne Eltern auf. Sie wird vom Waisenhaus zur Bauernfamilie Karlberg geschickt mit dem Auftrag, sich um Kinder, Haus und Hof zu kümmern. Ihr Alltag ist hart, der Arbeitgeber ein verbitterter brutaler Mann, der wenig Liebe zeigt für seine Kinder und keine Dankbarkeit gegenüber der Haushalthilfe. Nach dem Tod von Karlbergs Frau übernimmt Gulla auch noch deren Arbeit im Herrenhaus, dessen Besitzer vor vielen Jahren seine Tochter und ihren unerwünschten Liebhaber zum Teufel gejagt hat. Es zeigt sich schliesslich, dass das Mädchen das Kind der beiden ist, und der Gutsherr nimmt seine wiedergefundene Enkelin dankbar bei sich auf. Gulla aber hat der Bauernfrau versprochen, sich ihr Leben lang um ihre Kinder zu kümmern, und Gulla hält Wort.

Die Gulla-Reihe der schwedischen Autorin Martha Sandwall-Bergström (1913 bis 2000) geniesst in ihrem Heimatland bis heute grosses Ansehen. Ihre Kinderbücher sind nicht nur leicht lesbar, sie beschreiben den Alltag der Armen und die Kluft zwischen Wohlhabenden und Bedürftigen für die Zeit ihrer Erstehung auch bemerkenswert offen und sozialkritisch. Mit der Wahl der bei uns wenig bekannten Geschichte, ging Ursi Kessler, treibende Kraft und begabte Regisseurin der Bruuwalder Spiellüüt, ein nicht kleines Risiko ein, brachte das beliebte Weihnachtstheater in den vergangenen Jahren doch meist vertraute und beliebte Märchen auf die Bühne; Geschichten, die Jung und Alt wohlbekannt waren. Neue Wege beschritt sie auch mit der Wahl des Bühnenbildes: vor dem Publikum, das die vier ausverkauften Vorstellungen zwischen Weihnachten und Neujahr in der im gemütlichen Kleintheaterstil eingerichteten Tödihalle genoss, lebten die begabten Künstler ihre Rollen auf zwei nebeneinander fest installierten Schauplätzen: der Kate der verarmten Bauernfamilie und dem Herrenhaus, die in ihrer Einfachheit einen bezaubernden Kontrast zu den opulenten Kostümen bildeten.

Die Schauspieler zu loben, hiesse Wasser in den Rhein zu giessen (ein vielleicht wenig passendes Bild in diesem regenarmen Jahr …). Monika Müller in der Rolle der Haushälterin Frau Modig überzeugte wie jedes Jahr und riss die Zuschauer zu Lachsalven und Beifallstürmen hin. Aber auch Ueli Oester in der Doppelrolle als Gutsherr und Bauer Karlberg, Jenny Müller als Page oder Gabriela Heer als gierige Möchtegern-Erbin, Tobias Apolloni als mitleiderregender, doch hilfreicher Troll, Irina Kessler in der Rolle der engelsgleichen Gulla oder die grossartigen Kinder der Karlbergfamilie, die ihre Armut und Unschuld mit grösster Überzeugung, aber ohne jede übertriebene Heuchelei herzerweichend spielten, gereichten jedem Profi-Theater zur Ehre. Das Pünktchen auf dem i bildeten die drei Ahninnen des Gutes, meisterlich gespielt von Ruth Misteli, Tina Hinnen und Käthi Baumgartner, die vor ihren Porträts den Geschichtenverlauf sinnig kommentierten: «Es gibt nur eine Zeit, die zählt: Heute. Hier. Jetzt …!». Aber ich sollte keine Namen nennen: jedes einzelne Mitglied der engagierten Truppe im Alter zwischen 7 und 70 hätte eines jener kleinen goldenen Männchen verdient, die Hollywood alljährlich mit grossem Trara verleiht.

Auch 2018 war das Weihnachtstheater der Bruuwalder Spiellüüt ein Höhepunkt im Braunwalder Jahresgeschehen. Schon lange kein Geheimtipp mehr, sondern eine Institution, mit der Einheimische wie Gäste rechnen, auf die hin sie ihre Festtagsplanung ausrichten. Ein grosses Dankeschön an Ursi Kessler und ihre Truppe auf und hinter der Bühne, die solches möglich macht in diesem kleinen Dorf hoch über dem Alltag. Und ein grosser Dank allen von nah und fern, die diese einmaligen Aufführungen mit ihrem Besuch belohnen und die Spiellüüt in jedem Jahr zu neuen Höchstleistungen bringen. Glarus Süd wäre ein ganzes Stück ärmer ohne diesen aus Liebe und Leidenschaft und ohne jeglichen öffentlichen Zustupf erbrachten Beitrag zur Braunwalder Dorfkultur.