Vera Bauer und Christoph Greuter zu Gast bei der Gemeindestube

«Heute Hui, morgen Pfui» war Titel eines Begegnens mit vorerst Unbekanntem. Was schon sollen Worte des Wiener Hofpredigers Abraham a Sancta Clara (1644–1709) in unserer Zeit noch bedeuten? Weshalb soll sich die geneigte Zuhörerschar mit wechselreichen Handlungen, Derbem, Scharfzüngigem, übertriebener Dramatik, Lügen, Halb- und Ganzwahrheiten antikem Charmegefüge, Liebeleien, Verunglimpfungen überhaupt befassen? Lohnt es sich, in diese Zeiten einzutauchen?



(Bilder: pmeier)
(Bilder: pmeier)

Man kann diese und weitere Fragen nur positiv beantworten. Zum einen, weil die von der Gemeindestube Schwanden eingeladenen Vera Bauer und Christoph Greuter so leidenschaftlich, kunstvoll, beseelt, charmant und immenser gegenseitiger Abgestimmtheit agierten; zum andern, weil viele Geschehnisse ohne nennenswerte Probleme in unsere heutige, nicht immer gleichermassen ab- und aufgeklärte Zeit übertragen werden können. So waren Hinhören und Mitverfolgen eine gar vergnügliche Angelegenheit. Vera Bauer, in Stuttgart aufgewachsen, Cellostudium, Sprecherin und Rezitatorin, agierte so kunstreich, mit den Texten spielend, Leidenschaften heraufbeschwörend, spürbar mitfühlend, wenn es das Schicksal mit den dargestellten Figuren gar schlecht meinte, über Tölpelhaftes lachend, Unbeholfenheiten maliziös aufzeigend – ihr Schildern gedieh zum Genuss.

Christoph Greuters Spielkunst war von stiller Leidenschaft, hoher inhaltlicher Reife, Tanz, Verharren. Lautmalerischem geprägt. Er drückte gar vieles enorm stimmungsvoll aus, passend zum textlichen Sturm und Drang. Man freute sich über die launigen Inhalte, genoss mit, schmunzelte, lachte. Es wuchs die Neugierde, wie denn alles weitergehe.

Abraham a Sancta Clara sei ein berühmter, wohl auch leicht gefürchteter Prediger der Barockzeit gewesen. Er amtete an der Wiener Hofburg, durfte auf ein treues Publikum zählen. Die Kanzel wurde zuweilen Teil der Weltbühne. Die zeitlosen Fragen nach Sinn und Wert der irdischen Existenz, das Auseinandersetzen mit Liebe, Tod, Göttlichem bleiben aktuell. Zu Vera Bauers gestenreichem Deklamieren kam die Musik. Christoph Greuter weiss sich mit seinen vielen Gitarren, der Maulorgel, den Halszithern aus dem Emmental und dem Toggenburg in vielen Stilrichtungen heimisch.

So war denn Erstaunliches zu erfahren. Die Welt wurde als Meer, Narrengewölbe, Ort vieler Gifteleien, Launen, Stätte von Gewalt, Intrigen, Leichtfertigkeit, Missgunst und anderem dargestellt. «O Mensch, lass dies gesagt und geklagt sein ...», war zusammenfassender Teil des Begegnens. Die modernen Erziehungsmethoden aus der Zeit um 1700 erregten Aufsehen. Kaum sei man geboren, werde man auf Kurs getrimmt, gesalbt und geschmiert, ins gesellschaftliche Korsett eingezwängt. Tanzmeister, Sprachpädagogen und andere melden sich unablässig und stehen den Eltern zur Seite, die in ihren Kindern zuweilen Halbgötter sehen. Dass sich – in einer weiteren Sequenz des enorm vielschichtigen, munteren Begegnens – das Leeren eines Nachttopfs aus dem Schlafzimmerfenster ins Freie gar nicht positiv auswirkt, erfuhr der Frevelnde, den Schlaf eigentlich Suchende, bald einmal. Dieser Volltreffer sass!

Eigentlich ist die Nacht den Menschen zur Ruhe gegeben, wären da nicht Musiken, Liebende, Spaziergänge und anderes. Gar übel erging es einigen Gästen, die an schrecklicher Stätte Verpflegung und Ruhe wollten. Gepredigt wurde sodann über den sorgsamen Umgang mit Wein, der eigentlich eine Medizin ist, aber bei übermässigem Konsum bekannte Folgen nach sich zieht.

Völlerei ist schlecht – das erfuhr der dürre Fuchs, der in eine Speisekammer eindrang und nach masslosem Fressen die Stätte des Genusses nicht mehr verlassen konnte – am königlichen Hof habe es Fuchsbraten gegeben. Flankierend wurde die Frage gestellt, wie es jenen ergehe, die sich übermässigen kulinarischen Genüssen hingäben und nach ihrem Ableben durch die schmale Himmelspforte schreiten möchten. Und was der Marktschreier unter Zuhilfenahme vieler Trommelwirbel an Verjüngungsprozessen bei rat- und hilfesuchenden älteren Damen ausrichtete, muss man gehört haben. Das kunstreiche Agieren jener Witwe, die grad drei Liebhaber zu Narren machte, zeugt von Kreativität, gepaart mit List, Schmeicheleien und anderem. Und flugs wurde zum Joch des Ehestandes, dem Schönheitswahn weiblicher Zeitgeister und anderem gewechselt.

Es war eine unerwartet grandiose Vielfalt, die allen angeboten war, die sich im Gemeindezentrum Schwanden Zeit für vergnügliches, unterhaltsames Begegnen eingeräumt hatten.