Verstaubte Erinnerungen

Wo hab ich den nur wieder diesen Garantieschein vom Natel meines Sohnes hineingestopft? Im dem Ordner, in welchem er sich korrekterweise befinden sollte,

find ich alles, nur nicht was ich suche.


Vielleicht in der Schublade?
Müsste mal ausgemistet werden.
Dabei fällt mein Blick unnötigerweise horizontal über die Tablare oberhalb der Schublade.

Dieser Staub. Also, Swiffer her und kurz über alles drüber. Geht ja gleich in einem. Die Reinigungstechnik der berufstätigen Mütter, die ihren häuslichen Pflichten immer irgendwie hinterherhinken.

Zwischen den Büchern, Lexiken, alten Geldnoten aus längst vergangenen Ferien, einem Umschlag mit aktuellen und weniger aktuellen ,dafür umso grässlicheren Passfotos, stosse ich auf eine Mappe aus Karton mit farbigen Comicfiguren drauf.
Was hab ich denn da noch drin?

Briefe. Genauer: Liebesbriefe. 20 Jahre alte Jugenderinnerungen.
Neugierig fange ich an darin zu stöbern. Und so wird aus einer kurzfristig angelegten Putzorgie eine Reise zurück in jene Zeit, als mein Leben noch frei von Verpflichtungen war. Als ich nur für mich selbst verantwortlich war. Die ganze Welt lag noch vor mir.

Erinnerungen an meine erste grosse Liebe. Aus der eine Freundschaft wurde. Für ein paar Jahre. Jetzt haben wir uns aus den Augen verloren.

Ich sehe mich als junges Mädchen, das sich als hässlich und unzulänglich empfand.
Die beste Freundin ging mit diesem Jungen. Er war sooo schön. Perfekt. Braune Locken. Blaue Augen. Keinen Ton war mehr von mir zu hören, wenn er daher kam in seinen weissen Big Star Hosen mit weissen Shirt und schwarzem Netzleibchen (heute ist der blosse Gedanke daran ein Greuel).

Und wie das so ist unter Teenie’s wenn es ein Problem gab mit dem Lover, wurde die Vertraute geschickt um nachzufragen was den los sei. Heute würde man das troubleshooting nennen. Darin war ich immer gut. Ich war der Problemlöser der zuhörte, vermittelte, unter meinen Freunden, weiblichen wie männlichen. War nicht immer ganz einfach. Und Gott sei dank, war es nicht mehr gebräuchlich, dass man den Überbringer schlechter Nachrichten tötete!

Und während so eines heiklen Unterfangens hat er es mir dann gestanden. Dass er ja eigentlich mich mag. Atemstillstand. Ohrensausen. Das sind die Momente, die man bis an sein Lebensende in Erinnerung behält. Diese unerwarteten, erstaunlichen, ungeplanten, freudigen Momente. Es braucht nur ein Blatt Papier aus vergangener Zeit und man ist wieder dorthin zurückversetzt. Wird wieder zu derselben Person, die man war. Man erinnert sich an jedes Wort, jede Geste. Was man an diesem Tag getragen hat. Die Farbe der Tischdecke im Restaurant, das Bild auf dem Zuckerbeutel, der eigentümliche Geruch des Lokals. Alles taucht wieder auf vor unserem inneren Auge.

Ein paar Monate waren wir zusammen. Händchenhalten und so. Mehr gab es damals noch nicht. Aber das schönste war eigentlich, die Zeit danach. Wir waren die besten Freunde. Haben uns alle unsere Probleme, hauptsächlich Liebesnöte (war ja damals etwas vom Wichtigsten im Leben) erzählt. Er war mein grosser Bruder, den ich nie hatte. Zwei, drei Jahre später haben wir unsere Liebe doch noch eine Nacht gelebt. Es war in der Zeit als wir uns schon nicht mehr so oft sahen. Jeder begann seine eigenen Wege zu gehen. Heute denke ich, war dies der Abschluss unserer gemeinsamen Jugend. Beide an der Schwelle zum Erwachsensein. Nie wieder würden wir in den Tag hineinleben können, wie damals. Das mussten wir tief in uns drin schon gefühlt haben, nur wahrhaben wollten wir es noch nicht.

Und jetzt sitze ich hier am Boden. Lächle dämlich vor mich hin, lese alte Briefe, versunken in meinen Erinnerungen und das Putzen ist gar nicht mehr so wichtig.