Victors letzte Fahrt – Autorenlesung mit Emil Zopfi

Im Rahmen des Glarner Literatursommers – stets von baeschlin littéraire veranstaltet – las Emil Zopfi aus seinem neuesten Roman auf der Piazza der Landesbibliothek Glarus. In spürbar fordernder Kleinstarbeit, damit dem Studium und chronologischen Zusammentragen zahlreicher Unterlagen, hat sich der Autor mit dem Leben von Victor de Beauclair (1874–1929) befasst. Ein eigentlich Unbekannter und dessen riesig bewegendes Leben ist wieder zum Erwachen gebracht worden. Victor de Beauclair war Ballonfahrer der beinahe ersten Stunde, leidenschaftlicher, erfolgreicher und waghalsiger Bergsteiger, Skitourengänger und Weitgereister.



Autorenlesung mit Emil Zopfi (Bilder: peter meier)
Autorenlesung mit Emil Zopfi (Bilder: peter meier)

Emil Zopfi hat sich mit der Recherche zu de Beauclairs Leben hohe Ziele gesetzt, ging es doch ums lückenlose Erfassen vieler Stationen eines besonderen Mannes, der sich in damals ungewohnter Weise mit sehr Forderndem befasst und vieles in zäher Kleinstarbeit umgesetzt hat. Fasziniert war de Beauclair von der Bergwelt, vom Erklimmen hoher Gipfel, dem Eröffnen neuer Routen, dem Unterwegssein auf Skiern, in unwegsamster, eigentlich beinahe feindlicher Umgebung. Er war zumeist mit Gleichgesinnten unterwegs, galt als waghalsiger, kenntnisreicher Alpinist, dem vieles vertraut war. Kenntnisse an andere weitergab. Ihn faszinierten zudem Ballonfahrten in ganz neuen Dimensionen, ging es doch ums Überqueren der Alpen, etwas, das noch niemandem gelungen war. De Beauclair war riesig zäh, ausdauernd. Er war gewillt, seine Ziele um jeden Preis zu erreichen.

Er kam 1874 im brasilianischen Cantagalo zur Welt. Fünf Jahre später übersiedelte die Familie nach Frankfurt. 1887 erfolgte die Rückkehr nach Brasilien. De Beauclair schrieb sich 1892 an der Universität Zürich fürs Medizinstudium ein und wechselte dann nach Freiburg i. Br. Es gab ein Hin und Her, was das Studium samt Aufenthalten betraf. Er wandte sich von den Universitäten ab und widmete sich mit Gleichgesinnten, zu erwähnen sind Wilhelm Paulcke, Peter Steinweg und Erwin Baur, Skibesteigungen und Durchquerungen von sehr fordernden Regionen (Berner Alpen, Walliser Bergwelt). Unter anderem trat er 1899 dem Akademischen Alpen-Club Zürich bei, leitete Skikurse für Bergführer von Zermatt und war im Jahre 1904 Mitbegründer des Schweizer Skiverbandes und verliess 1906 ohne universitären Abschluss die Limmatstadt. Es schloss – und damit begann ein völlig neues Kapitel in de Beauclairs Leben – die erste Ballonfahrt von Strassburg zum Atlantik an. Er beteiligte sich unter anderem am Gordon–Bennet-Wettfliegen und erreichte 1909 den 7. Rang, legte in 22 Stunden 750 Kilometer zurück.

Emil Zopfi listet auf, was alles geplant, gemeistert und realisiert wurde. Es sind beinahe zahllose Erstbesteigungen, Ballonfahrten und das Mittun in verschiedenen Organisationen (Internationale Ruderregatta, Obmann des Ostschweizerischen Vereins für Lufschifffahrt, Sportkommissär des Aero-Clubs der Schweiz). Der Tod ereilt ihn im August 1929, als er mit Irmgard Schiess am Matterhorn abstürzt. Zopfi zeigt mit der umfangreichen Zusammenfassung am Schluss des Buches auf, wie unstet das Leben de Beauclairs zuweilen war und in welchen Archiven er sich aufhielt, um Unterlagen zu sichten.

In oft kurzen Kapiteln wird auf das wechselvolle Leben eingegangen, beginnend mit dem Besuch des Friedhofs in Zermatt, wo Irmgard Schiess aus Freiburg i. B. (1903–1929) und Victor de Beauclair bestattet sind. Emil Zopfi schreibt mit spürbarer Hingabe und Sachkenntnis – ihm sind Berge und fordernde Besteigungen keineswegs fremd. Er fühlt sich in de Beauclairs Leben und seiner Entourage mit grosser Hingabe und der Liebe zu zahlreichen Details ein. Bergfreundschaften, leiblicher Genuss, Auseinandersetzen mit dem nie abgeschlossenen Studium, Gefahren und Forderungen am Berg, Ballonfahrten, Finanzierung des eigenen Ballons, Vorträge, Hüttenleben, Gespräche mit Gleichgesinnten, Verweilen, Planen, Stationen einer Besteigung, Rastloses, sorgsames Auseinandersetzen mit Neuem, zu Bewältigendem. Bedrohliches – in buntem Wechsel reiht sich Ereignis an Ereignis. Bei diesem Unterwegssein ist ein durchaus faszinierendes Begleiten möglich.

Über 240 Seiten hinweg zeichnet Emil Zopfi nach, was sich zwischen Victor de Beauclair und seinem riesigen Bekannten- und Freundschaftskreis wohl alles ereignet hat.
Dazu gehören fiktive Gespräche, zahllose Ergebnisse nach dem Aktenstudium, damals gültige Fakten, Politisches, Geschehnisse in verschiedenen Ländern, Liebschaften, Aufbau und Funktionieren von Netzwerken, Publizität, Fotografisches. Man stösst auf Unerwartetes, Unbekanntes, wähnt sich zuweilen mittendrin in wirbligsten Geschehnissen, ist bei der Alpenüberquerung dabei, bekommt mit, dass darüber in der Presse kaum berichtet wurde – da dominierte der Zeppelin. Man vollzieht mit, wie dramatisch Ballonfahrten zuweilen verliefen, wieviel Helfer eingespannt waren, was das Füllen eines Ballons an beachtlichen Kosten verursachte, geschrieben wird von 6000 Franken für eine Füllung. Es wird genauesten beschrieben, wie aufwendig die Herstellung einer Ballonhülle war. 1906 war die Jungfernfahrt des Cognac de Beauclairs eigenem Ballon. Es schlossen viele Fahrten an. Man erfährt beispielsweise vom Aufbau und Betrieb einer schweizerischen Ballonkompanie in politisch heiklen Zeiten. Geht es um Bergsteigerisches spürt man Zopfis enorme Kenntnisse – er selber ist begeisterter Kletterer, der Forderndem nicht aus dem Wege geht.

Begrüssung, Berggänger, Lesefreuden

Gabi Ferndriger begrüsste vor «vollbesetzten Rängen», sie wies auf die mögliche Weiterführung der sommerlichen Literaturtage im Klöntal hin, es sei einiges in Vorbereitung. Emil Zopfi konnte sich wie bei einem Heimspiel fühlen – man kannte sich, tauschte Altes und Neues aus, grüsste Bekannte, verweilte in freundschaftlichem Gespräch. Emil Zopfi führte dann ein, las zu verschiedensten Stationen dieses bewegenden, faszinierenden Lebens.
Das Begegnen begann mit dem Besuch auf dem Bergsteigerfriedhof in Zermatt, nach dem tragischen Tod von Victor de Beauclair und Irmgard Schiess beim Abstieg vom Matterhorn.
Aus der Vielfalt an Geschehnissen hatte Zopfi sorgsam ausgewählt. Es waren nicht selten Fotos angefügt, die Aussagen verdeutlichten.
Reges Kommen und Gehen herrschten anschliessend am Büchertisch und bei Emil Zopfi, der viele Bücher zu signieren hatte.
Die Winterabende eignen sich bestens zum Lesen, zum Auseinandersetzen mit Victor de Beauclairs Leben.