Viel Spektakel, wenig Werktreue

Am Freitagabend gastierte das Landestheater Tübingen mit „Faust II“ von Johann Wolfgang von Goethe in der Aula der Kantonsschule Glarus. Die Dramaturginnen Anna Haas und Christiane Neudeck hatten aus dem überlangen Stück eine 3-stündige Fassung geschaffen. Die Inszenierung des jungen Zürchers Gustav Rueb war, vor allem in den ersten beiden Stunden, zu effekthascherisch und wurde der Tiefe dieses Werks nicht gerecht.



Ein starker Faust für vier Mephistos – und der «Luchsäugige» auf der Discokugel. (Bild: mst)
Ein starker Faust für vier Mephistos – und der «Luchsäugige» auf der Discokugel. (Bild: mst)

Das Ensemble des Landestheaters Tübingen ist bei der Glarner Konzert- und Theatergesellschaft jährlich mindestens einmal, oft sogar zweimal zu Gast. Es zeigt bei diesen Auftritten gerade auch die Klassiker, die ja sonst auf den einheimischen Bühnen eher fehlen. So steht bereits im nächsten Mai „Leonce und Lena“ von Georg Büchner auf dem Programm. Am Freitagabend jedoch gelangte „Faust II“ zur Aufführung, ein Stoff, an dem der grösste Dichter der deutschen Klassik fast während seines ganzen Lebens arbeitete. Im Saal waren erfreulich viele junge Gesichter zu sehen, die gespannt erwarteten, was ihnen die Literatur zu bieten hat.

Wer jedoch eine werkgetreue Aufführung erwartete, wurde am Freitag enttäuscht. Ja man war sogar geneigt, den Leuten im Saal zu sagen, dass das jetzt wirklich nicht „Faust II“ ist. Zwar kann man der Regie nicht vorwerfen, sie sei vom Text allzu sehr abgewichen oder habe ihn neu geschrieben. Aber vieles von dem, was Goethe einst schrieb, war nicht zu hören. Das hing nicht nur mit den sicher nötigen Strichen zusammen, sondern auch mit den oft etwas gar schnell herunter gebeteten Versen. In erster Linie aber war daran der grosse Klamauk schuld, den uns die Inszenierung des jungen Zürchers Gustav Rueb antat.

Auch das Bühnenbild – ein grosser Computer – war gewöhnungsbedürftig. Man musste schon viel Phantasie haben, um überhaupt zu erkennen, wo das Stück gerade spielt, und anstelle des sehr schönen Goethe-Textes standen manchmal witzige, oft aber wenig verständliche Regieeinfälle im Vordergrund. Die Figur Faust wurde von Gunnar Kaub dafür meisterhaft gespielt. Er zeigte die Unruhe, die den Universalwissenschaftler umtreibt und nie zur Ruhe kommen lässt. Auch die schöne Helena (Ina Fritsche) überzeugte als Wirklichkeit gewordenes Traumbild. Was aber die insgesamt vier Mephistophelesse auf der Bühne sollten, warum der Schluss abgeändert wurde, was das unflätige Getue von Fausts und Helenas Sohn Euphorion (Martin Schultz-Coulon) mit dem Schwan und mit der eigenen Mutter sollte – man weiss es nicht. Am Schluss ging auch noch die Rettung des «Unsterblichen» an Faust unter, dafür sang ein Gretchen (Edit Faludi) eine schöne Arie, die an dieser Stelle gar nicht vorgesehen ist. Aber da während der ganzen Aufführung links und rechts ein Fernseher mit unmotivierten Videoszenen lief, darf man das alles vielleicht doch unter dem – zugegeben – etwas tendenziösen Begriff «Regietheater» ad acta legen.