Vogelumschwirrter Franziskus

Augusto Giacometti gilt als erster Schweizer Künstler, der ins Reich der Ungegenständlichkeit oder Abstraktion vordrang. 1913 schuf er ein topmodernes Materialbild aus Bruchstücken, das Mosaik «Heiliger Franziskus», das sich heute in der Hauskapelle des Altersheims Städtli in Uznach befindet.



Mosaik «Heiliger Franziskus».
Mosaik «Heiliger Franziskus».

Augusto Giacometti (1877-1947) gehört zur vielleicht bekanntesten Künstlerfamilie der Schweiz. Glasmalereien von ihm sind heute leicht in Kirchen in Chur, Zürich, Winterthur, Adelboden, Klosters, Küblis oder Stampa zu finden. Doch wer würde in unserer Gegend ein Werk des Bergeller Künstlers vermuten?

«Augusto Giacometti, erster abstrakter Maler der Schweiz: Das Mosaik ‚Heiliger Franziskus‘ (1913) in Uznach oder der Aufbruch in die Abstraktion» – so lautet der Titel des Vortrags vom Samstag, 11. Dezember. Besammlung ist um 09.30 Uhr in der Hauskapelle des Altersheims Städtli in Uznach. Der Anlass steht unter der Leitung von Stefan Paradowski, Kunst- und Regionalhistoriker, Glarus, und ist die fünfte und letzte Veranstaltung der Exkursionsreihe «Linth-Geschichte – eine kulturhistorische Spurensuche in der Region».

Radikaler Verzicht auf Abbildfunktion

Augusto Giacometti war der Cousin von Giovanni Giacometti (1868 -1933), dem Vater von Alberto Giacometti (1901-1966). Letzterer, der weltberühmte Bildhauer, geniesst heute sicher die grösste Aufmerksamkeit der Giacomettis. Augusto Giacometti jedoch gilt als der erste Schweizer, der ins Reich der Ungegenständlichkeit vorgestossen ist. Die farbenprächtige Abstraktion «Fantasia coloristica» (1913) beispielsweise verzichtet radikal auf jegliche Abbildungsfunktion. Augusto Giacometti darf Wassily Kandinsky (1866-1944) und Piet Mondrian (1872-1944), die etwa zwei Jahre früher das Tor zur abstrakten Malerei geöffnet haben, zur Seite gestellt werden.

Auftrag nach Besuch

Im März 1913 waren der Psychiater Franz Riklin (1878-1938) aus Küsnacht ZH und seine Frau für einige Tage in Florenz. Dort führte Augusto Giacometti ein Atelier und erfüllte einen Lehrauftrag für figürliches Zeichnen an einer privaten Akademie. Kaum waren sie in die Schweiz zurückgefahren, erhielt Augusto Giacometti von ihnen den Auftrag, für die Halle ihres Privathauses das Mosaik «Heiliger Franziskus» zu gestalten. Darzustellen war der Namenspatron des Auftraggebers.

Entstanden in Florenz

In Stampa, seinem Geburtsort, verfertigte Augusto Giacometti erste Entwürfe. Er liess im Dorf kleine Steine sammeln, die er im Herbst 1913 nach Florenz mitnahm. In Venedig erstand er goldverzierte Teilchen und Smalti. Das sind künstlich hergestellte Mosaiksteinchen aus Glas, die etwa ein Kubikzentimeter klein waren. Wieder zurück in Florenz, zerschlug er Töpfe, Vasen und Teller. Nun standen ihm reichlich Materialien als Ausgangsprodukte für das Mosaik zur Verfügung. Bei der Ausführung goss er abschnittweise Zementmörtel in eine Umrandung. Danach pflanzte er jeweils jedes Steinchen, jede Scherbe einzeln ein. So entstand der vogelumschwirrte Franziskus.

Franz Riklin starb 1938. Er liegt, wie seine Frau und ein Sohn, in Uznach begraben. 1969 schenkten seine beiden Söhne und seine Tochter das im Familienbesitz befindliche Mosaik der politischen Gemeinde Uznach. Es konnte in der restaurierten Friedhofskapelle bei der Heilig-Kreuz-Kirche platziert werden. Nachteilig war aber, dass es dort nur zu Beerdigungszeiten öffentlich zugänglich war. Mit Zustimmung der Donatorenfamilie konnte das Mosaik 2001 in die Hauskapelle des neuen Altersheims Städtli verlegt werden.

Besammlung: Samstag, 11. Dezember 2010, 09.30 Uhr, Hauskapelle Altersheim Städtli, Uznach.