Von alten Ansichten bis Zeltbau: Kanti Glarus bewegt sich «out of the box»

Alle sechs Jahre führt die Kanti Glarus einen Gesamtschulanlass durch: Lernende und Lehrpersonen der Kanti verlassen ihre angestammten Rollen und Klassen und erkunden in klassengemischten Gruppen und als Gesamtschule Neues. «Out of the box» war das Thema am Freitag, 23.8.2024: Raus aus der Schule, raus aus dem Gewohnten, raus aus der Komfortzone hin zu einem Feuertag, Eisbaden im Gebirge, einer Nachtwanderung und weiteren 30 Projekten.



«Den Klöntalersee schwimmend überqueren – für alle Fälle mit Kajak! (Fotos Kantonsschule Glarus)
«Den Klöntalersee schwimmend überqueren – für alle Fälle mit Kajak! (Fotos Kantonsschule Glarus)

«Prüfen, Rufen, Drücken», die Lernenden hören gebannt den Ausführungen der Samariterin zu. Die Gruppe von zehn Lernenden hat sich im idyllischen Merciergarten neben der Kanti getroffen, um sich während des Tages intensiv mit dem Thema «Notfall» zu beschäftigen. Auf dem Rasen liegt die Versuchspuppe, an der die Herz-Lungen-Massage geübt wird. Am Nachmittag steht noch ein Besuch im Kantonsspital an.

Den Schulalltag hinter sich lassen – das ist das Ziel des Gesamtschulanlasses. Jede Schülergeneration soll einmal in ihrer Schulkarriere diesen Grossanlass miterleben. 2012 wurde Geld für ein Hilfsprojekt in Afrika gesammelt und 2018 «ergrünte» der Kanti-Pausenplatz durch zahlreiche Hochbeete, die gebaut und bepflanzt wurden.

Über die Kulturgrenzen hinweg

Neuland betreten auch die Teilnehmenden des Projekts «Asylsuchenden begegnen». Sie treffen zehn junge Männer aus Afghanistan. Gemeinsam wird in der Mensaküche Fladenbrot gebacken. Die Verständigung ist teils schwierig. Aber: «Kochen ist verbindend», stellt eine Sechstklässlerin fest. Kritisch merkt sie an, dass die jungen Männer es in ihrem Kulturkreis wohl nicht gewohnt seien, in der Küche zu stehen. Diese sind grösstenteils erst seit einem Jahr in der Schweiz und besuchen in Mühlehorn die Integrationsklasse. Für manche ist es der erste Schulbesuch ihres Lebens. Auch darum freut sich ihr Lehrer, Josua Hefti, über den Austausch mit den Jugendlichen der Kanti, die in einer ganz anderen Ausbildungssituation stehen. Gemeinsam wird geknetet und über die verklebten Finger gelacht. Die Stimmung ist entspannt und fröhlich.

Nicht nur für die Lernenden, auch für die Lehrpersonen stellt dieser Tag eine Herausforderung dar. Auch sie müssen ihre «Komfortzone» verlassen, sei es beim Flossbau, der Seeüberquerung oder der Sonnenaufgangswanderung. In der Vorbereitung durfte jede Lehrperson eigene Projektideen eingeben. Zudem wurden die Lernenden nach ihren Projektwünschen befragt. Aus einer Liste von 200 Projekten wurden schliesslich 33 umgesetzt.

Begegnung zwischen Jung und Alt

Für das Projekt «Lebenskiste» haben sich 21 Schülerinnen und ein Schüler angemeldet. Schon von Weitem hört man die Gitarre, begleitet von leisem Gesang. Im Innenhof des Altersheims Bergli teilen sich ältere Damen und ein paar wenige ältere Herren gemütlich die Tische mit Schüler/-innen im Alter von 14 bis 19 Jahren und singen. Die Jungen haben die kräftigeren Stimmen, kennen aber oft die Lieder nicht. Zwischen den Liedern wird angeregt geplaudert. «Sie fragen fleissig», meint eine der Bewohnerinnen des Bergli. Neben dem Singen wird gebastelt, bspw. werden Fotos von Bergen und Seen auf alte Glarner Schulkarten geklebt, dabei werden Erinnerungen geweckt und weitergegeben. «Ältere Menschen haben viel erlebt, haben eine gut gefüllte Lebenskiste; es ist spannend, wenn sie davon erzählen», meint eine der Schülerinnen. So ergeben sich Einblicke in eine andere, vergangene Lebenswelt – «out of the box» eben.

Goldrausch im Glarnerland

Auch für den Biologielehrer Hans-Jakob Zopfi ist das Projekt «Goldwaschen» Neuland: «Ich bin hier der Schüler». Grosse Reichtümer sind aus der Linth bei Ennenda nicht herauszuwaschen, aber trotzdem werden mit grossem Eifer die Goldwasch-Schüsseln mit Schlamm befüllt und schwungvoll durchs Wasser gedreht. Im extra aufgestellten Kinderpool kann jeder bei einem Wettbewerb mitmachen und echte, vorher abgezählte Goldflitter auswaschen. Der Rekord liegt bei 1min 47s. Neben Geschicklichkeit braucht es auch Bereitschaft, dreckig zu werden. Für manche Mädchen fast zu viel «out oft he box». In diesem Projekt engagieren sich sowohl Gymi-, FMS-Lernende als auch Lernende der Sportschule.

Gestern und Heute

Im Projekt «Alte Ansichten» bewegen sich die Lernenden zwischen Gestern und Heute: Konzentriert nimmt ein Schüler vom Bürgli aus die Stadtkirche und den Glärnisch mit seinem Handy in den Fokus, drückt ab und vergleicht das Resultat mit dem Stich von ca. 1840, der vom gleichen Standort aus Glarus darstellt. Ein weiteres Bild von Glarus kurz vor dem Brand 1861 wird betrachtet: Von welchem Standort aus hat der Künstler damals dieses Bild wohl gezeichnet? Gelingt es, genau diesen Ort zu finden und aus der gleichen Perspektive Glarus heute in ein Bild zu fassen? Gruppenweise werden Schüler/-innen im Laufe des Tages über 30 alte Ansichten von Glarus und Ennenda genau betrachten und «Verwandlungen» suchen. «Die Natur hat sich sehr verändert», so das Urteil einer Schülerin. «Vor allem die Berge sind in den alten Ansichten grau-weiss, man sieht nur Fels; heute sind sie begrünt und bewaldet.»

Aus angeblich Altem wird Neues

Veränderungen sind auch das Thema beim Projekt «Foodsave-Bar» in der Mensaküche, in der es angenehm süsslich duftet. Am Vortag «gerettete» Lebensmittel wie abgelaufenes Mehl oder Früchte mit Dellen und Flecken, die nicht mehr verkauft werden können, werden zu Speisen für die Schlussveranstaltung des GSA verarbeitet: Apfelküchlein, Bruschetti oder Fruchtsalat.  

Mit dem «Bazar» klingt der gelungene Tag aus. Alle treffen sich auf dem Pausenplatz, wo die Projekte präsentiert werden. Ermattet und zufrieden wird aufgeräumt. Nächste Woche kehren alle wieder in die gewohnte «Box» zurück.