Von der Wüstenoper zur Sumpfoper

Die Gemeindestube Schwanden rief für einmal nicht zu einem kulturellen Anlass ins Glarner Hinterland, sondern offerierte im Rahmen des nagelneuen Programms Nr. 88 (Saison 2010/11) den Besuch der Bregenzer Festspiele bzw. des diesjährigen Spiels auf dem See.



Nicht Sand und Pyramiden
Nicht Sand und Pyramiden

Ohne die Werbetrommeln gross wirbeln zu müssen, waren die von der Gemeindestube Schwanden organisierten 61 Plätze innert kürzester Zeit ausverkauft. Bregenz, Seebühne und Oper scheinen nach wie vor beim Publikum einen grossen Anklang zu finden, speziell wenn man mit zwei 5-Sterne-Cars (organisiert durch Rösli-Carreisen), verbunden mit einem tollen Nachtessen, zur Kunstform Oper jenseits von üblichen Klischees des «In-die-Oper-Gehens» hingeführt wird. Jedenfalls war das am vergangenen Freitagabend so der Fall. Das dürfte auch ganz im Sinne des «Aida-Regisseurs» Graham Vick gewesen sein, der sich bekanntlich wünscht, dass die Menschen nicht einfach nur die Opernhäuser dieser Welt besuchen, sondern vielmehr die Oper als eine spezielle musikalische Kunstform lieben und schätzen lernen. Für ihn ist Bregenz und die damit verbundene Atmosphäre dafür perfekt geschaffen, liebt er doch den Überraschungsmoment des Wetters, die Stimmung am See, die spezielle Festspielarena, die Reisebusse und gegebenenfalls – wenn das Wetter nicht ganz mitspielt – auch die Plastikregenmäntelchen der rund 7000 Zuschauer pro Aufführung (und deren sind es immerhin 26). Nun, was «Graham» in Bregenz mit der Verdi-Oper Aida buchstäblich als Spektakel ins Wasser setzte, darf man ruhig als Augenweide und Hörgenuss erster Güte beschreiben. Echte «Aida-Fans» mögen aber mit Schauder zur Kenntnis genommen haben, dass man in Bregenz aus der ursprünglichen «Pyramiden- und Wüstenoper» eine sprichwörtliche «Sumpfoper» mit Schrottplatzcharakter inszeniert hat. Frei nach dem Motto: Der See und all das was darin liegt ist unsere Bühne!

Zeitlich überall und im Nirgendwo

Die Oper bzw. deren Handlung spielt – zumindest so wie sie von Giuseppe Verdi musikalisch komponiert und textlich (Libretto) von Antonio Ghislanzoni geschrieben und im Jahr 1871 in Kairo uraufgeführt worden ist – in Memphis und Theben zur Zeit der Pharaonen. Die derzeitige Bregenzer Version agiert allerdings in der Vergangenheit und Zukunft zugleich, denn irgendwie spürt man zwar ein kleinwenig das damalige Ägypten aus dem Stück heraus, fühlt sich aber dennoch mehr auf einem Schrottplatz des Standortes der Freiheitsstatue im Hafen von New York zu Hause. Für diesen Umstand zeichnen Bühnenbild und Kostüme verantwortlich, welche von Paul Brown gestaltet worden sind. Zwei überdimensionierte Füsse und nicht etwa Pyramiden dominieren die Bühne. Der Rest baut sich im Laufe des Stücks fast zu einem ganzen Bild auf und lässt schliesslich unschwer erkennen, dass es sich bei den Füssen um ein Übrigbleibsel der Freiheitsstatue handelt. Die Oper Aida bleibt sich trotz der etwas gewagten Interpretation Graham Vicks selber treu, geht es doch inhaltlich um das, was es bei der Menschheitsgeschichte immer gegangen ist: Liebe, Macht, Freiheit und haufenweise «Normalsterbliche», welche letztlich das Tun ihrer zum Teil selbst gewählten Tribuns als Zeche zu bezahlen haben. Nun, in Bregenz findet der Feldherr Radames nicht den Verrätertod, eingemauert unter dem Tempel des Phtà, sondern geht, wiederum ganz nach dem Motto, wonach der See die Bühne ist, schlicht und ergreifend ins Wasser. Aida folgt ihm kurz darauf, allerdings nicht ganz so theatralisch im Wasser versinkend. Gemeinsam entschwinden sie auf einem Boot, welches vom See abhebend fliegend in der Ferne des Nachthimmels in eine friedlichere Welt entschwindet.

Stimmgewaltige Protagonisten und Top-Orchester

Die diesjährige Aufführung auf der Bregenzer Seebühne wirkt alleine schon durch die agierenden Sängerinnen und Sänger absolut stimmgewaltig. Sie werden musikalisch durch die Wiener Symphoniker unterstützt, wobei der hervorragende Klangkörper nicht etwa im Orchestergraben, sondern im unmittelbar daneben befindlichen Festspielhaus unter optimalen Akustikbedingungen live spielt und via die perfekte Beschallungsanlage, optimal mit dem Gesang auf der Seebühne abgemischt, gleichzeitig übertragen wird. Allerdings muss das mit der Bühne ein bisschen relativiert werden, denn die Stars, Tänzer, Stunt Performers und Akteure stehen und liegen oftmals im Wasser. Das Wetterglück war ihnen jedoch am vergangenen Freitagabend mehr als nur hold, wurden sie doch nur vom Bodenseewasser und nicht etwa auch noch durch einen von oben herunterprasselnden Regen durchnässt. Selbst wenn die Teilnehmer am Anlass der Gemeindestube Schwanden einen perfekten Opernabend bei herrlichem Wetter im Freien erleben durften, musste man teils freudig, teils aber auch kritisch zur Kenntnis nehmen, dass man in Bregenz aus einer «Wüstenoper» eine «Sumpfoper» gemacht hat. Na ja, der Hauptfluss Ägyptens – gemeint ist damit der Nil – hat bekanntlich auch seine Sümpfe, und aus dieser Optik betrachtet, dürfte die Welt der Oper Aida wieder in Ordnung sein. Ein Besuch lohnt sich allemal, alleine der Musik und des gebotenen Spektakels wegen!