Vonwegen – Christina Ragettli zu Fuss von Triest nach Monaco

Wenn man Christina Ragettli zuhört und sich mit ihrem ehrlichen Schildern befasst, wächst unweigerlich ganz viel Hochachtung. Was sich diese Frau vorgenommen und realisiert hat, gehört zu einer Form des Aussergewöhnlichen, der man so wohl noch nie begegnet ist.



Vonwegen – Christina Ragettli zu Fuss von Triest nach Monaco

Auf der beinahe letzten der Buchseite fasst sie zusammen, was geblieben ist. Sie erwähnt: «Leere macht sich breit in meinem Herz. Ich fühle nichts mehr, dabei habe ich nun alles erreicht, was ich mir vorgenommen hatte. 2363 Kilometer bin ich dem Alpenbogen gefolgt, sechs Länder habe ich dabei besucht, 17-mal in Bergseen oder Flüssen geduscht, bin an 100 Tagen gewandert und habe zig Pässe gemeistert. Aber in Monaco angekommen, ist mir nicht nach Feiern.»

In dieser mehr als knappen Zusammenfassung ist nicht enthalten, was sie durchlitten, vorgeplant und erlebt hat. Es ist nichts von dem aufgeführt, was zwischen Mai bis August, später bis Oktober passierte. Dazu braucht es den Buchinhalt, das Schildern, der Flimserin mit Jahrgang 1992. Man ist ins Geschehen zuweilen ganz direkt eingebunden und vermag das Aufkommen ihrer Freude, das Bewältigen hoher Verzweiflung, körperliche Unpässlichkeiten, die mannigfaltigen Kontakte mit weiteren Weitwegwanderern, ihr zuweilen starkes Heimweh, die hohe Achtung gegenüber der Natur, ihr einfühlendes Mitvollziehen aller Begegnungen mit Steinböcken und Gämsen, das oft mühsame und unglaublich fordernde Bewältigen vieler Etappen, das Verweilen in irgendwelchen zumeist sehr gastlichen Unterkünften, das Einschalten von Pausen, das Erfragen von Hilfen, das medienwirksame Aufzeichnen zahlloser Momente mitzuvollziehen.
Ihre unglaubliche mentale Stärke, die gesunde Neugierde, der oft lange und leidenschaftliche Gedankenaustausch, die innere Kraft und der riesige Wille, Unbekanntes anzupacken und zu meistern sind so etwas wie Eckpunkte dieses Realisierens.

Die Buchautorin ist in den Bereichen Marketing und Kommunikation im Tourismus tätig. Ausserdem hat sie eine Teilzeitarbeit als Skilehrerin. Sie entschied sich irgendwann einmal, den Alpenbogen auf der sehr fordernden roten Via Alpina zu durchwandern. Sie gab sich vier Monate um dieses, für «Normalsterbliche» absolut verrückte Vorhaben umzusetzen. Mit ihren Brüdern Gian und Andri (übrigens Weltmeister im Freeski Slopestyle) gings ans Planen und Umsetzen – im Wissen, dass das machbar ist. Und dann ging es im Juni 2020 los, mal allein, dann wieder in Begleitung, mal mit herbeigesehnten, dann wieder notwendigen Ruhetagen. Grosse Beachtung galt der gesamten Ausrüstung, samt Zelt, Schuhen, Nahrungsbedarf, elektronischen Hilfsmitteln, Festhalten von Erreichtem in einem Blog.

Christina Ragettli hatte sich mittels Lektüre auf Fernwanderungen eingestimmt. Erwähnt sind die Wüste Gobi, der Pacific Crest Trail mit 4000 Kilometern von der mexikanischen Grenze im Süden der USA bis zur nördlichen kanadischen Grenze. Dann wurde sie von einem ganz besonderen Virus gepackt – er hatte mit endlosem, riesig forderndem Wandern zu tun, mit Pässen, abgelegenen Hütten, Wanderwegen aller Art, Natur und wechselvollen Landschaften, Unwettern der übleren Art. Alles ist in packender Art in den vielen Aufzeichnungen festgehalten. Die Autorin berichtet freimütig, in willkommen offener Art. Sie verschweigt ihre sehr belastenden Momente ebenso wenig wie ungemein Schönes. Sie erwähnt die wertvollen Hilfen, die sie vonseiten ihrer Mutter, ihres Bruders und ihres Freundes erfahren durfte, sie kommt im Buch aufs Begleiten von vielen tollen Freunden und die ehrlichen, teilweise bleibenden Kontakte zurück.
Die Titel der einzelnen Kapitel gewähren kurze Einblicke in alles, was jeweils anschliesst. Das heisst dann beispielsweise: Weitwanderung: Ja, Pacific Crest Trail: Nein; Blödes Coronavirus: Fällt der Traum ins Wasser; Start mit Hindernissen; Hoffentlich wache ich morgen nochmals auf; Regenwoche im Wallis; Bekanntschaften du grosse Zufälle; Giftschlangen und Hitze im Tessin; Graubünden – Schweiz durchwandert; Wie weit geht es noch?; Drama fürs Schweizer Fernsehen; Direkter Weg in die Dolomiten; Menschenmassen in den Dolomiten; Neue Freunde auf dem Karnischen Höhenweg; Die schönste Woche und mein traurigster Tag; Liebeskummer vor der Grenze; Motivationskrise in Slowenien; Triest – Ankunft am Meer; August bis Oktober 2020: Schweiz–Monaco; Grenzübertritt nach Frankreich kurz vor Winteranbruch; Nationalpark Vanoise; Die Nacht auf über 3000 Metern; Ein letztes Mal einkaufen; Sturm du Horrorbiwak; Über die letzten Pässe; Unheimliches Waldwandern; Ich will ankommen, ich will nicht ankommen.

Es waren in der stadtglarnerischen Kulturbuchhandlung Wortreich fast alle Stühle besetzt, als Christina Ragettli, von Christa Pellicciotta herzlich begrüsst, auf viel Wissenswertes zu reden kam, sich in bescheidener, gut nachvollziehbarer Art, zu vielen Details äusserte – aus dem Buch, dessen zweite Auflage praktisch vergriffen ist.
Sie sprach unter anderem über ihre ständig wachsende Zahl an Followern, die vieles wissen wollten, mit ihr in virtuellem Kontakt waren. Bereichert wurde das Schildern durch die projizierten Fotos, die unmittelbare Einblicke gewährten. Im Buch sind zudem kurz gefasste Erkenntnisse enthalten, die für Ragettlis weiteren Lebensweg grosse Bedeutung haben.
Die etwas mehr als anderthalb Stunden waren im Nu vorbei. Es blieb Zeit für Fragen und freundschaftliche Gespräche.