Der Event, bei dem sonst manche Klassenzimmer und Hörsäle von Besuchern überquellen, fand dieses Jahr – wie fast alles – hinter verschlossenen Türen statt. Doch obwohl den Kammerspielen kaum Zuschauende beiwohnten, gab es glarnerische Highlights. Eines davon waren Jessica Föhns Gespräche mit Zeitzeugen der Familie Zwicky, die damals im 2. Weltkrieg aus Schabo – in der heutigen Ukraine – zurück nach Obstalden fliehen musste. Ihr Urgrossvater Heinrich Zwicky war einst als Söldner auf Geheiss Zar Alexander I. im Osten angesiedelt worden, auf der Krim, in einem Weinbaugebiet. Migration – heute vor allem verstanden als jene Flüchtlinge, die aus Afrika oder dem Nahen Osten in die Schweiz kommen – gab es schon seit je und oft ging sie in die Gegenrichtung. Oder die Arbeit von Ann Kathrin Singelmann, welche aufzeigen will, wie Glarus mit seinem Brand den dörflichen Charakter ablegte und zu einer – wenn auch kleinen – Stadt wurde.
Faszinierend
Manche Themen – wie etwa jenes von Nicole Müller – tönen zwar im Titel eher etwas trocken: «Die Sonderrolle der jurassischen Patois». Sie sei während der Fête des Vignerons auf das Thema gekommen, als sie den ranz des vaches – in Freiburger Patois – hörte. Eine Sprache, die aus der Provence in die Schweiz kam. Doch wer hätte gedacht, dass die jurassischen Patois – im Gegensatz zu den anderen Patois der Romandie nicht vom Franko-Provenzalischen herkommen, sondern von den nordfranzösischen langues d'oïl? Müller erklärte den schweren Stand, den der Dialekt im Jura auch heute noch hat – von 300 Schülern sprechen noch 3 Dialekt – und sie servierte, als Apéro, gleich noch eine Toétché, also einen jurassischen St. Martins-Kuchen. Oft hatten sich die Maturandinnen auch an Beobachtungsaufgaben gemacht, so etwa Selina Acker, welche 20 Hunde auf wölfische Instinkte hin beobachtete. Befragt nach den Unterschieden von Wolf und Hund nannte Acker den «Hundeblick», für welchen der Hund einen eigenen Muskel entwickelt habe und den der Wolf so gar nicht beherrscht. Da die Gruppen, die sie beobachtete, durch die Hundeschule vorgegeben waren, musste sie einige Daten als «zufällig» ausscheiden. Ihr Fazit aber überzeugt, beim nächsten Mal würde sie «länger und häufiger beobachten».
Persönlich
Besonders spannend wurde es dort, wo persönliche Erfahrungen oder Fähigkeiten in die Arbeiten hineinspielten. Etwa bei Tabea Fäs, welche die Scheidung aus Sicht des Kindes untersuchte. Ein Fazit aus ihrer Arbeit: Die grundlegenden Probleme liegen nicht in der Scheidung an sich, sondern darin, wie die Scheidung von den Beteiligten ausgelebt wird. Von ihren eigenen Verlustängsten kam Fäs – als Scheidungskind – auf die unbedingte Art, wie das Kind Liebe empfindet. Wenn die Eltern ihm plötzlich sagen, dass sie sich nicht mehr lieben, ist das ein Schock. Genauso persönlich – aber für die meisten völlig unzugänglich – ist die Erfahrung der Synästhesie. Menschen mit Synästhesien erleben neben der normalen Wahrnehmung zusätzliche Empfindungen, wenn ein Sinnesreiz ausgelöst wird. Sie «sehen» Töne als Farben – so wie Jennifer-Sarah van Vliet es tut. Die Maturandin präsentierte ihre eigenen Werke, die anhand von Freddie Mercurys «Mister Bad Guy» oder der «Zauberflöte» von W.A. Mozart entstanden und verglich diese mit Werken von Melissa McCracken, David Hockney oder Jack Coulter.
Kunstvoll
Den Schilt von Nidfurn aus – im Stil von Paul Cézanne – gemalt, präsentierte Julia Niederberger. So wie einst Cézanne sich stunden-, tage-, monatelang mit der südfranzösischen Montagne Saint Victoire beschäftigt hatte, hatte sie dessen «Pinselstriche und Farbflächen», «Räumlichkeit» und «Farbe» analysiert und selber erprobt. Das Resultat dieser Annäherung ist eindrücklich und vollzieht die Öffnung der Malerei nach. Ebenso kunstvoll war der «Nahfeldmonitor» (also ein Tonstudiolautsprecher), den Marc Gregor gebaut hatte. Denn zum Aufbau von Lautsprechern gibt es – so Gregor – wenig Literatur, die zudem oft weit über 20 Jahre alt ist. Die grösste Herausforderung sei die fehlende Erfahrung mit Messtechnik gewesen. Mit digitaler Technologie und langem Tüfteln und Messen gelangt es Gregor, einen «modernen» Monitor zu bauen. Praktischer dürfte die Anwendung eines Fogponicsystems sein, wie es Linus Marti gebaut hatte. Es wird in Hors-sol-Kulturen verwendet, um Pflanzen mit weniger Wasser und weniger Dünger grösser und ertragreicher werden zu lassen. Zwar brauche es, so Marti, dazu etwa doppelt so viel Strom wie bei anderen Hors-sol-Systemen, doch dafür können in diesem Kreislaufsystem, welches einfach zu transportieren ist, bis zu 85% Dünger und 95% Wasser gespart werden. Ideal, wenn man in der Wüste Salat anbauen will. Mentale Stärke im Sport, Placeboeffekte, die Entwicklung des aufrechten Gangs, Schädelanalyse, Künstliche Intelligenz, Hochwasserverhalten im Kanton Glarus und die Wirkungsweise von Oberflächendesinfektion im Halbstundentakt wurden 57 faszinierende Arbeiten vorgestellt, welche das ganze Spektrum von Wissenschaft und Forschung abbilden. Sie waren unterschiedlich, aber alle mit grosser Leidenschaft und Fleiss entstanden – ein Abbild der Reife, welche die Maturandinnen und Maturanden im Maturajahr trotz Coronapandemie erlangt haben.