Weisse Rosen zum 100. Geburtstag der Nazi-Widerstandskämpferin Sophie Scholl

Was für eine schöne und berührende Matinee erlebten rund 50 Teilnehmerinnen und Teilnehmer am vergangenen Sonntagvormittag im Anna-Göldi-Museum in Ennenda. Der Anlass stand im Zeichen des 100. Geburtstages von Sophie Scholl, die sich gemeinsam mit ihrem Bruder Hans und Gleichgesinnten in der Widerstandsgruppe «Weisse Rose» mit subversiven Flugblättern gegen die Gräueltaten des Nazi-Regimes stemmte und dabei ihr Leben lassen musste. Im Zentrum des Gedenkanlasses standen Lyrik, Musik und Reflexion, eine Annäherung an die Geehrte auf verschiedenen Ebenen.



Weisse Rosen zum 100. Geburtstag der Nazi-Widerstandskämpferin Sophie Scholl

Just zum Muttertag durfte das Anna-Göldi-Museum in Glarus nach einer längeren Durststrecke wegen der Corona-Pandemie endlich wieder einmal einen Anlass unter strikter Berücksichtigung der Schutzmassnahmen durchführen. Einen speziellen Willkommensgruss entrichtete Museumsleiter Elmer an Peter Rudolf, auf dessen Initiative hin Glarus zu einem der 100 DenkOrte für Sophie Scholl geworden ist. Hocherfreut zeigte Elmer sich ebenfalls über die Anwesenheit von Prof. Dr. Mario Andreotti, welcher zum Widerstand im Deutschen Reich referierte. Für den musikalischen Part zeichnete Geigenvirtuose Ronny Spiegel, der mit hervorragend zum Thema passender, während der Naziherrschaft verbotener Musik die Anwesenden bereicherte. Herzliche Willkommensgrüsse gingen ebenfalls an Gemeinderätin Andrea Trummer und Gabi Ferndriger vom Baeschlin Verlag sowie an Gertrud Rudolf, Mitgründerin einer Glarner Amnesty-Sektion und Spenderin von weissen Rosen für die Matinee-Teilnehmer.

Zwei verschiedene Frauenschicksale

Museumsleiter Fridolin Elmer verglich die beiden Frauen Anna Göldi und Sophie Scholl mit träfen Worten. Es seien zwei unterschiedliche Frauenschicksale, die zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Orten sich zugetragen haben. Doch beides seien Unrechtsgeschichten, erklärte Elmer. «Die zwei Frauen verbindet die traurige Tatsache, dass sie beide durch die Obrigkeit, durch den Staat hingerichtet wurden. Scholl ging als Widerstandskämpferin in die Geschichte ein, Göldi als unschuldiges Opfer eines Justizmordes. Scholl gilt ganzen Generationen als mutige Heldin und Vorbild. Aus Göldi hingegen lässt sich keine Heldin machen». Ob Anna Göldi oder Sophie Scholl: Wichtig ist, die Geschichte und die Gegenwart, unser Denken und unser Handeln immer wieder infrage zu stellen», waren die Schlussworte von Fridolin Elmer.

Wir stehen am Anfang eines neuen Nationalismus

In einem ersten Teil zeichnete Prof. Dr. Mario Andreotti in einem hochinteressanten Referat unter dem Titel «Sophie Scholl – eine Frau, die Geschichte machte» ein Bild vom deutschen Widerstand während der Zeit des Nationalsozialismus. In seinem Referat führte Professor Andreotti zurück in die Zeiten des Kalten Krieges und an die Hoffnung der Menschen auf ein neues Zeitalter der Demokratie, des Friedens und die Einheit unter den Völkern. Wir wissen: Es kam alles anders. Der Golfkrieg 1991, das Attentat auf die Türme des Word Trade Centers und der 2. Golfkrieg im Jahr 2003 führten uns zurück in die Realität. Von der Vorstellung eines umfassenden Weltfriedens war nichts mehr zu sehen. Die Völkerverständigung verlor immer mehr an Bedeutung. An ihrer Stelle trat ein neuer Nationalismus, wie wir ihn vor Kurzem in den USA und heute in Russland, Ungarn der Türkei und am ausgeprägtesten in China erleben. Ein Nationalismus, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unseren Kontinent vergiftet und schliesslich zu zwei Weltkriegen und zum Holocaust mit unvorstellbaren Grausamkeiten und einer unvorstellbaren Zahl von Opfern geführt hat. Ein Nationalismus, in dem damals wie heute demokratische Gepflogenheiten kaum mehr beachtet und Menschenrechte zum Teil mit Füssen getreten werden.

Nicht alle Deutschen waren Nazis!

«Man vergisst gerne, dass längst nicht alle Deutschen Nazis waren. Es gab eine breite Front eines innerdeutschen Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und dessen Verbrechen. Und dieser Widerstand war grösser als man heute gemeinhin annimmt», waren die einleitenden Worte von Prof. Dr. Andreotti zum zweiten Teil seines Referats. Kernfrage ist, warum dieser Widerstand insgesamt so erfolglos war. Es gäbe dazu verschiedene Gründe, erklärte Andreotti. Erstens dürfen wir nicht vergessen: Wer sich in Deutschland auf Widerstand gegen das Hitler-Regime einliess, befand sich in einer schwierigen Lage. Inmitten eines totalitären Polizeistaates konnte er nicht auf das Nationalgefühl seiner Mitbürger und vor allem nicht auf ausländische Hilfe hoffen. Zweitens waren die sogenannten illegalen Widerstandsgruppen von den Nazis bereits in der Vorkriegszeit zerschlagen worden. Und trotzdem gab es ihn, den deutschen Widerstand. Und er war insgesamt grösser, als man lange Zeit gemeint hat. Zunächst waren es einmal Männer im Umkreis der Wehrmacht, die ja als Waffenträger einen Putsch ausführen konnten. Man denke da an den Höhepunkt des deutschen Widerstands, jenem berühmten 20. Juli 1944, an dem es dem Stabschef Claus Graf Schenk von Stauffenberg gelang, im Führerhauptquartier in Ostpreussen eine Aktentasche mit Sprengstoff in der Nähe Hitlers abzustellen und nach Berlin zurückzufliegen. Wie bekannt, hatte Hitler dieses Sprengstoffattentat zwar leicht verletzt, durch Zufall aber überlebt.

Sophie Scholl, eine Frau, die Geschichte machte

Zu den konfessionell und politisch weitverzweigten Widerstandsgruppen gehörte auch eine Münchner Gruppe von Hochschullehrern und Studierenden um die Geschwister Sophie und Hans Scholl und ihren gemeinsamen Freund Christoph Probst. Aufgewühlt vom Unrecht, das sie um sich beobachteten und das vor allem Hans Scholl als Soldat in Russland erlebt hatte, bildeten sie mit Gleichgesinnten einen Kreis, den sie «Weisse Rose» nannten. Sie fertigten Flugblätter an und legten sie in den deutschen Universitäten aus. Auf dem letzten Flugblatt der «Weissen Rose», das Hans und Sophie Scholl im Frühjahr 1943 in der Münchner Universität verbreiteten, sei der letzte Satz zitiert: «Im Namen der deutschen Jugend fordern wir vom Staat Adolf Hitlers die persönliche Freiheit, das kostbarste Gut der Deutschen, zurück, um das er uns in der erbärmlichsten Weis betrogen hat. Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, rächt und sühnt zugleich, ihre Peiniger zerschmettert und ein neues, geistiges Europa aufrichtet». Unerhörte, geradezu pathetische Worte. Und was war das Ergebnis? Am 18. Februar 1943 wurden Sophie und Hans Scholl bei ihrer letzten Flugblattaktion, als sie ihren Aufruf zum Widerstand von einem oberen Stockwerk in den Lichthof der Münchner Universität hinabsegeln liessen, vom Heimschlosser und einem Hörsaaldiener entdeckt und dem Rektorat übergeben, nachmehrstündigen Verhören wurden Hans und Sophie von der Gestapo festgenommen. Vier Tage später am 22. Februar 1943 wurden die Geschwister Scholl zusammen mit ihre Freund Christoph Probst im München vom Volksgerichtshof wegen landesverräterischen Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag durch das Fallbeil eine Guillotine enthauptet. Sophie Scholl, die Widerstandskämpferin der «Weissen Rose», wäre am vergangenen Sonntag 100 Jahre alt geworden. Sie war das Aushängeschild der «Weissen Rose», einer Studentenorganisation, die auf christliche und humanistische Werte setzte und gegen den Nationalsozialismus in Deutschland vorging. Prof. Dr. Andreotti schloss seinen Vortrag über den deutschen Widerstand mit einem Zitat von Sophie Scholl, das sie am Tag ihrer Hinrichtung am 22. Februar 1943 notiert hat: «Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich für mein Volk tun konnte: Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen, die mir aus meiner Handlungsweise erwachsen, auf mich nehmen.» Vor solch einet tapferen Gesinnung könne wir uns nur in Ehrfurcht verneigen.