West und Ost an der 76. Musikwoche Braunwald

Die 76. Musikwoche im Hotel Bellevue in Braunwald steht, frei nach Goethe, unter dem Leitmotiv «West-östlicher Divan» und will versuchen, die Musikwelten in West und Ost einander gegenüberzustellen, Verbindendes und Trennendes aufzuzeigen.



West und Ost an der 76. Musikwoche Braunwald

Allerdings bleiben Darbietungen von orientalischer Musik so «dosiert», dass daneben genügend Raum für den unbeschwerten Genuss von «Vertrautem» bleibt. Die Offenheit des Publikums ist aber gefordert – schliesslich stellte bereits Goethe fest, dass «Orient und Okzident nicht mehr zu trennen» seien. Im Gegensatz meinte allerdings der Dichter Rudyard Kipling, dass Ost und West «nie zueinanderkommen» würden. Dieser Pessimismus soll in Braunwald im Kleinen Lügen gestraft werden!

Tradition seit 75 Jahren

Die Wahl interessanter Themen als «Leitmotiv» ist für die Musikwoche Braunwald seit ihrer Gründung wichtig. Dazu finden sich auch immer wieder kompetente Referenten. Mit den «Artists in residence» und dem mehrfachen Auftritt der gleichen Musiker während der Woche versucht man, den persönlichen Dialog mit dem Publikum zu fördern – keine leichte Aufgabe beim heutigen hektischen Musikbetrieb! Ein zentrales Anliegen bleibt, in Braunwald eine Plattform für junge, talentierte Musikerinnen und Musiker zu bieten. Dies erfolgt unter anderem durch wiederkehrende Engagements von Preisträgerinnen und Preisträgern des Internationalen Klavierwettbewerbs Géza Anda, Konzerten junger Kammermusik-Ensembles sowie Workshops mit Studierenden von Musikhochschulen. Damit bewegt sich die Musikwoche in einer eigenständigen Nische, denn beim «Starkult» der internationalen Musikwelt könnte sie kaum mithalten. Und die seit einigen Jahren eingeführten musikalischen «Schulreisen» an verschiedene Orte zwischen Tierfehd, Elm und Walensee sollen eine «Abkapselung auf dem Berg» verhindern und auch Einblick in die Schönheiten des «unbekannten» Glarnerlandes bieten. Die parallel dazu stattfindende Singwoche mit Abschlusskonzert gibt die Möglichkeit, Musik aktiv zu erleben. Schliesslich wird mit dem «Literarischen Vorspiel» versucht, das Angebot zu verbreitern und Synergien mit einer anderen Kunstform herzustellen.

Musikalische «Globalisierung»

Die sogenannte «Globalisierung» unserer Welt ist längst zum Gemeinplatz geworden, obschon die gegenseitige Begegnung zwischen sich fremden Kulturräumen oft nicht über oberflächliche geschäftliche oder folkloristisch-touristische Kontakte hinausreicht. In der Musikwelt hingegen fallen die vielen jungen asiatischen Gesichter in westlichen Sinfonieorchestern und unter Preisträgern internationaler Wettbewerbe auf. Japaner, Koreaner, Chinesen und andere beweisen nicht nur höchste technische Brillanz auf ihrem Instrument, sondern auch beeindruckendes, musikalisches Verständnis für abendländische Kompositionen. Wie aber steht es mit diesem Verständnis in umgekehrter Richtung? Sind auch wir, mit unserem doch eher eurozentrischen Kulturleben, manchmal beinahe Kulturdünkel, wirklich bereit und fähig, uns für vollkommen andere, oft als exotisch empfundene künstlerische Ausdrucksweisen zu öffnen? Während in der bildenden Kunst bereits ein gewisser Durchbruch stattfindet, scheint sich das Interesse an östlicher Musik beim breiten Publikum nach wie vor in eher engen Grenzen zu halten, der Zugang schwierig zu bleiben. Nun ergibt sich in Braunwald die seltene Gelegenheit, zur Annäherung an östliche Musikkultur.

«Literarisches Vorspiel»

Die 76. Musikwoche Braunwald 2011 beginnt bereits am Samstagmorgen, 2. Juli, mit einem diesmal eintägigen «Literarischen Vorspiel», veranstaltet in Zusammenarbeit mit dem Kulturellen Forum Gartenflügel: «Literatur zur östlichen Grenze Europas hin – Brücke zwischen West und Ost». Der Basler Osteuropakenner Cyrill Häring gibt einen Einblick in das postsowjetische kulturelle Umfeld und moderiert Lesungen (soweit nötig mit Übersetzung) und Gespräche mit zwei prominenten Autoren, Andrey Kurkow aus der Ukraine und Rati Amaglobeli aus Georgien. Die nahtlose Verbindung zum Beginn der Musikwoche sollte es erleichtern, an dieser literarischen Einstimmung ins Thema der Woche teilzunehmen und «das Beste beider Welten» zu geniessen.

Ein spannendes Programm

Beim Eröffnungskonzert am Samstagabend kommt der Meister des «West-öslichen Divans» selbst zu Wort – in Rezitationen mit Gisela Zoch-Westphal und in Vertonungen von Schubert bis Schoeck mit dem Bariton Samuel Zünd. Am Sonntagnachmittag führen dann zwei Komponisten in die Thematik ein: «West und Ost als musikalischer Kontrapunkt», eine Diskussion des musikalischen Leiters Peter Wettstein mit der aus Ungarn stammenden Iris Szehgy. Gleich darauf folgt wohl einer der Höhepunkte, das Klavierrezital «Ost-West» des prominenten, in Zürich lebenden, russischen Pianisten Konstantin Scherbakov, das Werke grosser Russen dem Westen gegenüberstellt. Durch die Musikwoche begleitet schliesslich als «Artist in residence» die Glarner Klarinettistin (Schülerin von Sabine Meyer) und Ärztin Sabrina Bäbler. Nebst konzertanten Auftritten berichtet sie auch über ihre Untersuchungen zu «Musikwahrnehmung und Hirnleistung». Ein Film gibt Einblicke in das Friedens-Projekt von Daniel Barenboim mit dem «West-Eastern Divan Orchestra» mit jungen Musikern aus Palästina und Israel: «Kann Musik einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten?» Am Dienstag führt das Abendkonzert in der Dorfkirche in zwei Welten der modalen Musik mit indischen Ragas und mittelalterlichen Gesängen. In zwei Matineen demonstrieren renommierte «Spezialisten» indischer und japanischer Musik für uns exotische Instrumente wie Sarod, Tabla und Shakuhachi. Schwerpunkt bleibt aber der Genuss hochstehender Kammermusik mit erstklassigen Ensembles wie dem Basler Streichquartett und dem Trio Rafale sowie hervorragenden Solisten wie dem in Braunwald längst bekannten Geiger Stefan Tönz. Der traditionelle Ausflug führt am Dienstag «nur» ins Berghaus Grotzenbühl zu einem Teil recht unkonventionellen Konzert mit Akkordeon und überraschendem, «Hang und Xang». Den Abschluss macht wie immer der Ad-hoc-Singwochenchor, diesmal mit der «Petite messe solennelle» von Rossini unter der Leitung von Peter Freitag.

2. bis 8. Juli 2011 im Hotel Bellevue Braunwald
Sekretariat: Telefon 055 645 30 10
www.musikwoche.ch