«Wetsch au ä chlä Maiächäfer-Suppe?»

In loser Folge veröffentlicht glarus24 in nächster Zeit verschiedene Anekdoten aus dem Leben von Hans Speck. Heute eine neue Geschichte aus seiner Jugendzeit.



Geschichte aus der Jugendzeit von Hans Speck (zvg)
Geschichte aus der Jugendzeit von Hans Speck (zvg)

Im Normalfall haben die Maikäfer einen dreijährigen Entwicklungszyklus. Je nach klimatischen Verhältnissen kann der Zyklus aber auch vier Jahre dauern. Die Käfer in einer Region sind so aufeinander abgestimmt, dass der grösste Teil im selben Jahr fliegt. Das Flugjahr ist je nach Region unterschiedlich. Der Maikäfer verbringt ein Grossteil seines Lebens als Larve in der Erde. Engerlinge nennt man die dicken, weissen Würmer, die sich von Wurzeln ernähren. Nach vier Jahren sind sie ungefähr fünf bis sechs Zentimeter lang. Im August verpuppen sie sich und nach vier bis acht Wochen schlüpfen die niedlichen kleinen «Monster», die den Winter dann noch in der Erde verbringen und erst im Frühling des fünften Jahres herauskommen. Dann kann der Maikäfer zu einer richtigen Landplage werden. Noch in den späten 50er-Jahren wurde er von uns Kindern von Bäumen und Sträuchern geschüttelt. Wir konnten uns damit ein kleines Taschengeld verdienen. Bauern führten sogar einen regelrechten Krieg gegen diesen Schädling.

Maikäfer-Suppen-Kaspar

Hier in Netstal war es in den 50er-Jahren so, dass bei einem Flugjahr die Gemeindebehörde in der Nähe des heutigen Fussballplatzes, ungefähr dort, wo heute der Spielplatz steht, jeweils eine Hütte aufstellen liess. Irgendwie sah die aus wie eine kleine Alphütte: In der Mitte brannte ein Feuer, an einer speziellen Tragvorrichtung hing ein altes «Sennechessi», gefüllt mit heissem Wasser, in welches die eingesammelten Maikäfer hineingeschüttet wurden. Ganz in der Nähe, mitten in der Wiese, gab es ein Loch von etwa drei Meter Tiefe. Wir nannten dieses das «Chäferloch». In dieses Loch hinein wurden die gesottenen Käfer später entsorgt. Es stank fürchterlich aus diesem Loch und dieser penetrante Geruch war je nach Windrichtung sogar im Dorf noch zu riechen. Während den offiziellen Betriebszeiten waren die beiden legendären Netstaler Originale «Chäpp und Chäpp» die Obersieder und Chefs der ganzen Maikäfer-Suppen-Küche. Der eine der Protagonisten hiess Schmuckli und war nebenbei mein Götti, der andere hiess Weber und wohnte in der Nähe des Netstaler Schützenstandes. Die beiden Protagonisten waren ein eingespieltes Team und zu keiner Zeit verlegen, den Maikäfersammlern aus dem Dorf einen Bären aufzubinden. «Wetsch au ä chlä vu dener feine Maiächäfer-Suppä probierä», frotzelte mein Götti. Allein schon der Gestank dieser Maikäfer-Brühe im «Chessi» war alles andere als einladend, geschweige denn geniessbar!

Furchtlos auf die Bäume geklettert

Das Maikäfersammeln erforderte ein geschicktes Vorgehen. Man könnte sagen, es war ein Zeremoniell. Erst wurden Tücher rund um einen Baum gelegt, gerade so, dass ja kein Maikäfer beim Herunterfallen danebenfiel. Dann umschlangen die kräftigsten der Knaben die Baumstämme, schüttelten diese mit aller Kraft oder kletterten furchtlos sogar bis in die obersten Baumwipfel, damit der Schütteleffekt noch effizienter war. Für das Bodenpersonal waren meistens die Mädchen zuständig, welche die heruntergefallenen Maikäfer flugs einsammelten, damit diese nach ihrem jähen Erwachen nicht einfach davonflogen. Einmal in den Behältern gelegt, gab es für die Nimmersatts kein Entrinnen mehr.

50 Rappen pro Liter

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Ich war mit meiner Schwester Käthi und ihrem gleichalterigen Schulkamerad Ernst schon frühmorgens um halbsechs Uhr unterwegs in den Buchwald. Um diese Zeit hingen die Maikäfer noch schlaftrunken und festgekrallt auf Blättern und Zweigen und ahnten nichts vom Schicksal, welches sie in den nächsten Stunden ereilte. Mit Tüchern, Botanisierbüchsen und Milchkesseln bewaffnet ging es schnurstracks in den Wald. Schon von Weitem sah man die Objekte unserer Begierden. Unsere Sammlerwut wurde zusätzlich geschürt durch die Tatsache, dass die Gemeindebehörde Maikäfer-Sammler mit einem lukrativen Angebot in Scharen anlockten. Für einen Liter gesammelter Maikäfer gab es sage und schreibe 50 Rappen, für damalige Zeiten und vor allem für uns Kindern recht viel Geld. Jedenfalls eine gute Möglichkeit, unser Taschengeld aufzubessern. So schüttelte der bärenstarke Ernst die Bäume, aus denen jede Menge Maikäfer wie aus einer schwarzen Wolke fielen. Meine Schwester und ich sammelten die auf dem ausgelegten Tuch krabbelnden Käfer rasch möglichst ein. Innerhalb kürzester Zeit waren unsere Sammelbehälter, Botanisierbüchsen, Papiertüten und Milchkessel randvoll mit noch lebenden Maikäfern. Nun war es an der Zeit, das Sammelgut bei der Chäferhütte abzuliefern. Nachdem Gewicht und Preis feststanden, händigte einer der Kaspar eine Gutschrift aus, mit der man beim Gemeindeverwalter das Käfergeld abholen konnte.

Köbi war der Sammlerkönig

In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass es zur selben Zeit in unserem Dorf einen Maikäfer-Sammler gab, der alle Rekorde schlug. Köbi Beeler hiess der ungekrönte König aller Maikäfersammler, wohnte an der Risi-Strasse vis-à vis des Motorhauses der NOK und war Betreiber eines Herren-Coiffeur-Geschäfts. Während unser Sammelgut im Schnitt etwa 10–15 Liter gesammelte Maikäfer ergab, brachte es der Coiffeur-Köbi aus der Risi locker bis auf 30–40–50 Liter. Fässerweise brachte er sein Sammelgut zur Chäferhütte. Gegen den Coiffeur-Köbi hatte jahrelang niemand eine Chance! Ein letztes Mal walteten die Netstaler Käfersieder Heinrich Weber und sein Gehilfe Hans Heel bei der Chäferhütte ihres Amtes. Am 9. Juni 1975 wurde das «Chäferen» aufgebeben.

… und es folgt der fünfte Streich!

Sogar Wilhelm Busch widmete in seinem Buch «Max und Moritz» eine kleine Geschichte dem geliebten, bei vielen aber verhassten Krabbeltier. Im 5. Streich der beiden Lausbuben schreibt Busch:

Jeder weiss, was so ein Mai-
Käfer für ein Vogel sei.
In den Bäumen hin und her
Fliegt und kriecht und krabbelt er.
Max und Moritz, immer munter,
Schütteln sie vom Baum herunter.

In die Tüte von Papieren
Sperren sie die Krabbeltiere.
Fort damit und in die Ecke
Unter Onkel Fritzens Decke!
Bald zu Bett geht Onkel Fritze

In der spitzen Zipfelmütze,
Seine Augen macht er zu,
Hüllt sich ein und schläft in Ruh.
Doch die Käfer, kritze, kratze!
Kommen schnell aus der Matratze.
schon fasst einer, der voran,
Onkel Fritzens Nase an.

«Au!», schreit er, «was ist das hier?»
Und erfasst das Ungetier.
Und den Onkel voller Grausen
Sieht man aus dem Bette sausen.
«Autsch!» – schon wieder hat er einen
lm Genicke, an den Beinen;

Hin und her und rundherum
Kriecht es, fliegt es mit Gebrumm.
Onkel Fritz, in dieser Not,
Haut und trampelt alles tot.
Guckste wohl, jetzt ist’s vorbei
Mit der Käferkrabbelei!
Onkel Fritz hat wieder Ruh
Und macht seine Augen zu.

 

 

Maikäfer-Suppen-Kaspar

Hier in Netstal war es in den 50er-Jahren so, dass bei einem Flug-Jahr die Gemeindebehörde in der Nähe des heutigen Fussballplatzes, ungefähr dort, wo heute der Spielplatz steht, jeweils eine Hütte aufstellen liess. Irgendwie sah die aus wie eine kleine Alphütte: In der Mitte brannte ein Feuer, an einer speziellen Tragvorrichtung hing ein altes „Sennechessi“, gefüllt mit heissem Wasser, in welches die eingesammelten Maikäfer hineingeschüttet wurden. Ganz in der Nähe, mitten in der Wiese, gab es ein Loch von etwa drei Meter Tiefe. Wir nannten dieses das „Chäferloch“. In dieses Loch hinein wurden die gesottenen Käfer später entsorgt. Es stank fürchterlich aus diesem Loch und dieser penetrante Geruch war je nach Windrichtung sogar im Dorf noch zu riechen. Während den offiziellen Betriebszeiten waren die beiden legendären Netstaler Originale „Chäpp und Chäpp“ die Obersieder und Chefs der ganzen Maikäfer-Suppen-Küche. Der eine der Protagonisten hiess Schmuckli und war nebenbei mein Götti, der andere hiess Weber und wohnte in der Nähe des Netstaler Schützenstandes. Die beiden Protagonisten waren ein eingespieltes Team und zu keiner Zeit verlegen, den Maikäfersammlern aus dem Dorf einen Bären aufzubinden. „Wetsch au ä chlä vu dener feine Maiächäfer-Suppä probierä“ frotzelte mein Götti. Allein schon der Gestank dieser Maikäfer-Brühe im „Chessi“ war alles andere als einladend, geschweige denn geniessbar!

Furchtlos auf die Bäume geklettert

Das Maikäfersammeln erforderte ein geschicktes Vorgehen. Man könnte sagen, es war ein Zeremoniell. Erst wurden Tücher rund um einen Baum gelegt, gerade so, dass ja kein Maikäfer beim Herunterfallen danebenfiel. Dann umschlangen die kräftigsten der Knaben die Baumstämme, schüttelten diese mit aller Kraft oder kletterten furchtlos sogar bis in die obersten Baumwipfel, damit der Schütteleffekt noch effizienter war. Für das Bodenpersonal waren meistens die Mädchen zuständig, welche die heruntergefallenen Maikäfer flugs einsammelten, damit diese nach ihrem jähen Erwachen nicht einfach davonflogen. Einmal in den Behältern gelegt, gab es für die Nimmersatts kein Entrinnen mehr.

50 Rappen pro Liter

Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen. Ich war mit meiner Schwester Käthi und ihrem gleichalterigen Schulkamerad Ernst schon frühmorgens um halbsechs Uhr unterwegs in den Buchwald. Um diese Zeit hingen die Maikäfer noch schlaftrunken und festgekrallt auf Blättern und Zweigen und ahnten nichts vom Schicksal, welches sie in den nächsten Stunden ereilte. Mit Tüchern, Botanisierbüchsen und Milchkesseln bewaffnet ging es schnurstracks in den Wald. Schon von weitem sah man die Objekte unserer Begierden. Unsere Sammlerwut wurde zusätzlich geschürt durch die Tatsache, dass die Gemeindebehörde Maikäfer-Sammler mit einem lukrativen Angebot in Scharen anlockten. Für einen Liter gesammelter Maikäfer gab es sage und schreibe 50 Rappen, für damalige Zeiten und vor allem für uns Kindern recht viel Geld. Jedenfalls eine gute Möglichkeit, unser Taschengeld aufzubessern. So schüttelte der bärenstarke Ernst die Bäume, aus denen jede Menge Maikäfer wie aus einer schwarzen Wolke fielen. Meine Schwester und ich sammelten die auf dem ausgelegten Tuch krabbelnden Käfer rasch möglichst ein. Innerhalb kürzester Zeit waren unsere Sammelbehälter, Botanisierbüchsen, Papiertüten und Milchkessel randvoll mit noch lebenden Maikäfern. Nun war es an der Zeit, das Sammelgut bei der Chäferhütte abzuliefern. Nachdem Gewicht und Preis feststanden, händigte einer der Kaspar eine Gutschrift aus, mit der man beim Gemeindeverwalter das Käfergeld abholen konnte.

Köbi war der Sammlerkönig

In diesem Zusammenhang ist noch erwähnenswert, dass es zur selben Zeit in unserem Dorf einen Maikäfer-Sammler gab, der alle Rekorde schlug. Köbi Beeler hiess der ungekrönte König aller Maikäfersammler, wohnte an der Risi Strasse vis-à vis des Motorhauses der NOK und war Betreiber eines Herren-Coiffeur-Geschäfts. Während unser Sammelgut im Schnitt etwa 10-15 Liter gesammelte Maikäfer ergab, brachte es der Coiffeur-Köbi aus der Risi locker bis auf 30-40-50 Liter. Fässerweise brachte er sein Sammelgut zur Chäferhütte. Gegen den Coiffeur-Köbi hatte jahrelang niemand eine Chance! Ein letztes Mal walteten die Netstaler Käfersieder Heinrich Weber und sein Gehilfe Hans Heel bei der Chäferhütte ihres Amtes. Am 9. Juni 1975 wurde das «Chäferen» aufgebeben.

…und es folgt der fünfte Streich!

Sogar Wilhelm Busch widmete ins seinem Buche „Max und Moritz“ eine kleine Geschichte dem geliebten, bei vielen aber verhassten Krabbeltier. Im 5. Streich der beiden Lausbuben schreibt Busch:

Jeder weiß, was so ein Mai-
Käfer für ein Vogel sei.
In den Bäumen hin und her
Fliegt und kriecht und krabbelt er.
Max und Moritz, immer munter,
Schütteln sie vom Baum herunter.

In die Tüte von Papieren
Sperren sie die Krabbeltiere.
Fort damit und in die Ecke
Unter Onkel Fritzens Decke!
Bald zu Bett geht Onkel Fritze

In der spitzen Zipfelmütze,
Seine Augen macht er zu,
Hüllt sich ein und schläft in Ruh.
Doch die Käfer, kritze, kratze!
Kommen schnell aus der Matratze.
schon fasst einer, der voran,
Onkel Fritzens Nase an.

"Au!" schreit er ", was ist das hier?"
Und erfasst das Ungetier.
Und den Onkel voller Grausen
Sieht man aus dem Bette sausen.
"Autsch!" – schon wieder hat er einen
lm Genicke, an den Beinen;

Hin und her und rundherum
Kriecht es, fliegt es mit Gebrumm.
Onkel Fritz, in dieser Not,
Haut und trampelt alles tot.
Guckste wohl, jetzt ist’s vorbei
Mit der Käferkrabbelei!
Onkel Fritz hat wieder Ruh
Und macht seine Augen zu.