Will ins Gefängnis

Freitagabend. Ein Mann steht vor der Theke. „Kann ich ihnen helfen?“ gleichzeitig taxiere ich ihn mit einem ersten Blick. „Ziemlich abgefuckt.“ Verlebtes Gesicht, schmutziges Etwas auf dem Kopf, das aussieht wie eine Mischung aus Käppi und Stirnband, die Kleider eines Menschen, der sich meist auf der Gasse befindet.


„Können sie bitte die Polizei rufen, ihr sagen, dass ich randaliere?“ fragt er mich ganz freundlich. „ was soll denn das?“ schiesst es mir durch den Kopf. „Sorry, aber aus welchem Grund soll ich das tun?“ „ Bitte. Oder sie können auch sagen ich verkaufe Drogen in der Beiz. Die Polizei muss mich einfach abholen.“ „Aber warum? Haben sie keine Bleibe? Ist es zu kalt draussen?“ Mein Hirn arbeitet, ich versuche abzuschätzen was das für ein Trip ist.
Er erzählt mir, dass er wohl eine Wohnung habe, aber er einfach vorzeitig in den Knast wolle, dort müsse er ja sowieso hin. Er halte es nicht mehr aus draussen. Vorhin sei er schon auf dem Posten gewesen, habe darum gebeten, aber die hätten ihn einfach wieder weggeschickt.
„Ok, ich sehe, was ich tun kann“, verspreche ich ihm und setz ihn erst mal mit einem Kaffee an einen Tisch.
Was mach ich mit ihm? Wie nah am Limit befindet er sich? Kann seine Stimmung plötzlich kippen?
Ich ruf auf dem Posten an, erkläre dem Polizisten die Situation. Sie versprechen vorbeizukommen und ihn halt doch mitzunehmen. „Sie werden kommen, aber es geht vielleicht eine Weile“ beruhige ich den Fremden.

In der Zeit, in der wir warten, ruft er seine Freundin an. Sie will ihm nicht glauben, dass er ins Gefängnis geht. Ich muss am Natel mit ihr reden und ihr alles erzählen. Etwas später gibt er mir sein Telefon, seine Hausschlüssel und sein Geld. Ich solle alles nehmen, er habe keine Verwendung mehr dafür. Tränen stehen ihm in den Augen. Acht Jahre müsse er in den Knast und danach sei das Leben eh vorbei. Vielleicht hat er recht. Ich schätze sein Alter gegen die fünfzig. Was macht er aus seinem Leben wenn er wieder draussen ist? Wer gibt ihm einen Job? Was sind seine Perspektiven?
Acht Jahre. „Das war ein gröberes Vergehen.“ denk ich für mich. Ich frag ihn nicht, was er angestellt hat. Will es nicht wissen. Ich hab ihn heute Abend als freundlich und anständig erlebt, seine Verzweiflung gespürt. Seine Erleichterung darüber, dass ich ihn ernst nehme.

Welche Ereignisse in seinem Leben haben ihn heute Abend hierher geführt? An welcher Kreuzung seines Lebens, hat er den vermeintlich falschen Weg eingeschlagen?
Eigentlich bin ich überzeugt davon, dass wir uns unser Leben selbst machen und wir gleich welcher Herkunft alle eine Chance haben. Doch in solchen Momenten stellt sich mir immer wieder die Frage, ob es nicht auch Menschen gibt, die Opfer ihrer Umstände sind. Die keine Möglichkeit finden, sich aus ihrem „Leben“ zu befreien.

Die Polizisten kommen, wissen auch nicht so recht, was sie mit ihm tun sollen.

Eine Stunden später werden sie zurückkehren, seine Sachen abholen. Sie haben ihm etwas zur Beruhigung gegeben und bringen ihn nach Hause. Dort wird er morgen früh aufwachen und nichts an seiner Situation hat sich geändert. Allein wird er wieder seinen Gedanken ausgeliefert sein, irgendwann nach draussen gehen und sich mit Alkohol betäuben. Immer auf der Flucht vor seinem Scheissleben. Er hat nichts anderes gelernt, irgendwie die Hoffnung aufgegeben. Vielleicht auch die Achtung vor sich selbst verloren. Mir bleibt nicht anderes als ihn mit Würde zu behandeln.