7. Mai 1967. Um 12.52 Uhr schliesst Landammann Hermann Feusi die Landsgemeinde, welche bei schönem Wetter abgehalten wurde. Der FDP-Magistrat wünscht den Landleuten eine gute Heimkehr.
Glarner Regierungsrat vor dem Einzug zur Landsgemeinde 1967, vlnr. Landammann Herrmann Feusi, Landesstatthalter Fritz Stucki, Walter Spälti, Fridolin Hauser, Abraham Knobel, Dietrich Stauffacher, Ratsschreiber Ernst Heer (verdeckt: Regierungsrat Hans Meier). Die Frauen waren noch Zaungäste. Doch nicht mehr lange • Foto: Landesarchiv
Prolog
Stunden zuvor: Landammann Feusi warnt in seiner Eröffnungsansprache vor der Gefahr des Materialismus als Folge der Hochkonjunktur, weist hin auf die Kritiksucht gegenüber dem Staat und die geistige Verarmung, welche durch die Sensationspresse immer mehr gefördert werde. Er kommt auch auf die Krisenherde im fernen und mittleren Osten und in Afrika zu sprechen und auf die Integrationsbestrebungen in Europa. Dann stellt der Landammann Land und Leute unter den Machtschutz Gottes und eröffnet die Landsgemeinde. Sie beschliesst unter anderem einen Kredit von 2 Millionen Franken an den Bau eines geschützten Operationsbunkers, wie sie in jener Zeit landauf, landab gebaut werden – zum Schutz vor einem Atombombenkrieg.
Und dann … die Frauen
Es geht schon gegen das Ende der 1967er-Landsgemeinde zu, als der Antrag eines Bürgers behandelt wird, der den Frauen das Stimm- und Wahlrecht gewähren möchte. Der Antrag beschränkt sich allerdings auf die Kirchen-, Schul-, Fürsorge- und Waisenbehörden in den Gemeinden. Als Begründung wird angeführt, dass die Frau in erzieherischer, fürsorgerischer und religiöser Hinsicht feinfühliger sei als der Mann.
Es ist nicht der erste Anlauf. 1921 verwirft die Landsgemeinde wuchtig einen Antrag, der den Frauen den Zutritt zu der Landsgemeinde zwar weiterhin verwehrt hätte, ihnen aber das Recht zugestanden hätte, Anträge an die Gemeindeversammlungen und die Landsgemeinde zu stellen. 1959 wird das Frauenstimmrecht auf eidgenössischer Ebene abgelehnt, in Glarus mit einen Neinstimmenanteil von über 80 Prozent besonders deutlich. 1961 fordert die Glarner Allgemeine Bürgerliche Volkspartei, den Frauen sei das Stimm- und Wahlrecht in den Schul-, Armen- und Kirchgemeinden zu erteilen. In seinem Bericht an den Landrat erteilt der Regierungsrat diesem Antrag eine gnadenlose Abfuhr, und verurteilt ihn als «revolutionären Akt». Er bleibt seiner männlichen Seele treu und fügt noch an: «Die Männer würden als Souverän ihre verfassunggebende Gewalt endgültig niederlegen». Immerhin; diesmal wird im Landsgemeindering lebhaft diskutiert, schliesslich wird aber auch dieser Vorstoss beerdigt.
Der Memorialsantrag, den die Glarner an diesem 7. Mai 1967 behandeln, ist also der x-te Anlauf. In seinen einleitenden Ausführungen rollt Landammann Hermann Feusi die Vorgeschichte nochmals ausführlich und wertungsfrei auf. Nur einmal kann er sich eine Schelte an jene Gemeinden nicht verkneifen, die auf die vorangegangene Vernehmlassung nicht reagiert haben: «Das sind wir uns sonst nicht gewöhnt. Wenn jemand anständig ein Brieflein schreibt, gibt man doch auch entsprechend eine Antwort». Die Rückmeldungen der antwortenden Behörden sind grösstenteils kritisch-ablehnend. Der Landrat aber – und das gab's vorher nie – spricht sich zuvor dafür aus, dass den Frauen das (auf ihre vermeintlich reduzierten Fähigkeiten beschränkte) Stimm- und Wahlrecht zu erteilen sei.
D Frauä wänd das gar nüd. Das isch bombäsicher.
Als erster Redner steigt Landrat Jules Landolt auf das Podest. CVP-Politiker, späterer Gemeindepräsident von Näfels, Regierungsrat und Landammann. Obwohl er kein Gegner des Frauenstimmrechts sei, stellt Landolt einleitend klar, stelle er den Antrag, die Vorlage des Landrats sei abzulehnen. Es sei nicht an den Männern, über die Frauen zu entscheiden, sondern an den Frauen selbst. Es müsse sich die Minderheit der Mehrheit beugen. Und die Mehrheit der Frauen, Landolt kommt nun zum Kern der Sache, sei gegen das Stimmrecht der Frauen: «Das isch bombäsicher» (Lacher in der Landsgemeinde). Die zum Teil fanatischen Anhängerinnen des Frauenstimmrechts haben nicht mehr Rechte als die Gegnerinnen.» Vor allem aber, stellt der Redner noch fest, treibe ihn die Sorge um die Landsgemeinde um. Für ihn ist offenbar klar, dass eine Landsgemeinde mit Frauen nicht durchführbar wäre.
Landolt erregt Widerspruch. Zuallererst vom Antragssteller selbst, Max Ochsner, Oberurnen. Sämtliche Frauenorganisationen habe man angefragt, und alle seien sich einig: Wenn eine Frau nicht wählen könne, werde sie auch nicht gewählt. Also solle man seinem Antrag doch zustimmen. Und augenzwinkernd schliesst er: «Ich bin sicher, dass wir nachher für längere Zeit Ruhe haben vor diesem Frauenstimmrecht.» Er irrt sich. Weitere Redner unterstützen Ochsner. Werfen sich für die Sache der Frau ins Zeug. Man könne doch nicht in den Ring rufen, man sei nicht gegen das Frauenstimmrecht, wenn man eben dieses der Frau dann nicht gewähren wolle, ist zu hören. Schliesslich liest Regierungsrat Hans Meier dem Landrat Jules Landolt die Leviten. Er bezeichnet dessen Antrag als Farce und beschreibt die gesellschaftlichen Vorteile, wenn Frauen sich um Fürsorge- und Kirchenangelegenheiten kümmern würden. Er ist sich sicher – und die Geschichte wird ihn bald eines Besseren belehren – dass sich die bestehenden Grenzen zu Ortsgemeinde und Landsgemeinde für Frauen nie abreissen lassen. Also, so die versteckte Botschaft, könne man zu dieser Vorlage ruhig Ja sagen. Und das tut die Landsgemeinde nach zweimaligem Ausmehren dann auch.
Epilog
Was die Glarner ihren Glarnerinnen 1967 erlaubten, war zwar gemessen an den vorherigen Entscheiden ein Durchbruch. Mit der Einführung des Frauenstimmrechts auf eidgenössischer Ebene wurde dieser aber bald zur Makulatur. Zwar lehnte das Glarner Stimmvolk selbst die nationale Vorlage 1971 ab, zwar versuchte der Landrat noch verzweifelt, die Landsgemeinde vom Frauenstimmrecht auszuklammern, doch es nützte alles nichts: Die Landsgemeinde beschloss wenige Monate später das vollständige Frauenstimmrecht auf allen Ebenen. Glarus war damit ab 1972 der erste Landsgemeindekanton mit Frauenbeteiligung. Der Landsgemeindering wurde zwecks Vergrösserung oval gezimmert, die Durchführung der Landsgemeinde durch eine kleine bauliche Veränderung möglich.
3 Frauen im Regierungsrat
1998 wurde Marianne Dürst (FDP) als erste Frau in den Glarner Regierungsrat gewählt und 2008 zur ersten Frau Landammann. Mit Marianne Lienhard (SVP) führt gegenwärtig (2020 bis 2022) die zweite Frau dieses Amt aus. Christine Bickel (SP) gehörte dem Glarner Regierungsrat von 2010 bis 2014 an.