WM der Emotionen


Die WM ist vorbei zum Leid der einen, zur Freude der anderen. Mit meinem nicht mehr so jungendlichen Alter, habe ich schon manche Fussball Weltmeisterschaft miterlebt, doch noch nie empfand ich sie so emotionsgeladen. Es gab nur noch ein Thema, worüber gesprochen, debattiert und manchmal sogar gestritten wurde. Überall wo man hinkam, in der Beiz, an der Ladenkasse, beim Tankwart, nicht mal zu Hause bei der Dentalhygiene, mein Sohn besitzt die wundersame Gabe gleichzeitig sprechen und Zähne putzen zu können, wusste ich, wie ich mich dem Thema entziehen konnte. Die WM beherrschte für Wochen unseren Alltag. Essenzeiten wurden verschoben, Sitzungen in der Zeit zwischen zwei Spielen abgehalten, Kinder durften länger aufbleiben, Freundinnen versetzt oder vor den Fernseher geschleppt. Jeder Mann und jede Frau war während dieses Turniers zum Experten mutiert. Beim weiblichen Geschlecht ging es in den Diskussionen einmal nicht nur darum, welcher Spieler die schönsten Beine, den knackigsten Arsch oder das süsseste Lächeln hatte. Nein, es ging um Freistösse, Schwalben, rote Karten, Trainerentscheide und strategische Spielführung.Auch ich habe wie immer mitgefiebert mit „meiner“ Squadra und natürliche mit den Schweizern. Dies ist nebenbei ein Vorteil der Doppelbürgerschaft, man hat immer zwei Optionen. Das Faszinierendste an der WM war für mich jedoch, dass der totale, allüberwältigende Glücksmoment des Gewinnens so nah beim Tränenreichen, verzweifelten Begreifen des Verlierens stand. Hoffnungsvolle Gesichter, die ihre Favoriten anspornten, spiegelten im nächsten Moment resignierte Traurigkeit.Am Spielfeldrand und auf den Zuschauerrängen fand ein zweites Spiel statt: Das Spiel der Mimik. Diese wunderbare Gabe, die bei der Spezies Mensch wohl am ausgeprägtesten ist. Diese unwillkürliche Art der Kommunikation, welche in intensiven Momenten eine Eigendynamik entwickelt, der wir uns kaum entziehen können.Mimik ist die erste Form der Mitteilung zwischen Eltern und Kind. Ein Lächeln, ein Blick sagt uns oft einiges mehr, als viele Worte. Jeder Mensch hat seine ureigene Mimik und doch verstehen wir bei jedem ganz genau, was sie jeweils ausdrückt.Während normalerweise neunzig Minuten Spiel konnte man die ganze Bandbreite der Gefühle auf den Gesichtern ablesen. Die Freude nach einem Treffer, die Wut nach einem vermeintlich unfairen Schiedsrichterentscheid, die Anspannung während einem Elfmeter, das befreite Aufatmen wenn der Ball nicht ins Netz ging, Trauer über einen verlorenen Match. Nach Spielende habe ich meist noch eine Weile weitergeschaut, sofern nicht zu diesem gar nicht lustigen Komiker im Sportstudio des Schweizer Fernsehens umgeschaltet wurde. Ich beobachtete fasziniert die Gesichter der Zuschauer und Spieler. Sah zu, wie sich die Emotionen auf ihren Gesichtszügen abzeichneten. Ich freute mich mit den Gewinnern. Vergnügte mich an ihrer Glückseligkeit. Ich fühlte mit den Verlierern. Sah wie sich ihre Träume in Tränen auflösten.Immer nahm ich sie noch eine Weile mit in den Alltag, diese Gefühle und Eindrücke, diese Gesichter. Glücklich darüber, dass es sie gibt. Nachdenklich darüber, wie nah Freud und Leid sich stehen. Dankbar für die Emotionen, die auch mich mitgerissen haben.