Wo Berge das Sagen haben und der Riese Martin gastiert

Beginnen Berge zu reden, muss das so seine Gründe haben. Naturliebhaber sind sich gewohnt, an Bergen emporzuschauen, sie zu besteigen, mit Gleichgesinnten über Berge zu reden, sich in irgendwelchen Medien über Berge zu informieren. Kaum jemand kommt auf die Gedanken, dass sich Berge an die Menschen wenden, um mal damit dem rauszurücken, was sie im Laufe von Jahrhunderttausenden und darüber hinaus erlebt haben, was in ihren klotzigen steinharten Hirnwindungen geblieben ist, was vielleicht mal gesagt sein muss. Ganz gewiss ist ein grosses Mass an Erlebnissen zusammengekommen. Wer sich damit befassen wollte, tat gut daran, am vergangenen Sonntag – kurz vor der Mittagsstunde – den Weg ins Dekanenhaus Mollis einzuschlagen, um sich mit Sagen und eben auch Aussagen von Bergen auseinanderzusetzen, die dem Klöntal entstammen.



Maria Thorgevskaja und Dan Wiener (Bilder: peter meier)
Maria Thorgevskaja und Dan Wiener (Bilder: peter meier)

Es müssen redselige Berge sein, mit denen sich Maria Thorgevskaia getroffen hat und die ihr Unerwartetes bereitwillig anvertraut haben. Es sind wundersame Geschehnisse, leicht versponnen, verwirrlich, munter, mit unerwarteten Wendungen. Sie verleiten zum Schmunzeln, zum Genuss mannigfaltiger Munterkeit, fernab von Weltgeschichtlichem, das momentan so verstörend, belastend und unbegreiflich einherkommt.

Die Klöntaler Berge, dessen ist sich die märchenhaft schildernde Autorin sicher, konnten dank scharfem Beobachten und kombinatorischem Geschick eine reichhaltige Fülle miterleben. Dank Thorgevskajas Ideenreichtum ist gänzlich Unerwartetes ins kurzzeitig helle Rampenlicht gerückt worden. Dan Wiener hat alles aus dem Russischen übersetzt und dafür gesorgt, dass sich nicht nur Glarner und Freunde des Klöntals mit beinahe Unglaublichem befassen können – sofern sie das auch wollen. Vieles kommt so versponnen, machtvoll, dann wieder eigensinnig einher, nimmt unerwartete Wendungen, fördert die persönliche Kreativität ungemein, muntert zum Weiterspinnen geradezu auf. Dank der Lesung in diesem historischen Gemäuer – das Dekanenhaus mit Baujahr 1700 – wurde man in Welten zurückgeführt, die es so nie gegeben hat und die vielleicht gerade deshalb so wirblig, wuchtig, riesig versponnen waren. Man darf sich getrost ins Klöntal begeben, «Originalschauplätze» aufsuchen und ein klein wenig rumforschen, fündig wird man nicht – es sind schliesslich «Berge, die das Sagen» haben.

Man staunt wirklich, wenn man sich mit den Schicksalen zu befassen beginnt. Man erfährt vieles – sofern man es erfahren will. Schliesslich war es die verdienstvolle, erklärte Absicht von baeschlin littéraire dieses ganz spezielle Wissen unter die «interessierte Öffentlichkeit» zu bringen.

Da wären beispielsweise die zwei Dinosaurier, die um einen Föhrenzapfen kämpften und so «Happyend -like» näher kamen; es ist zu vernehmen, wie der Neid die unglückliche Maria ins Verderben stürzte; wie der Krieg einst durchs Klöntal zog; wie das Klöntal zu seinem Zahnarzt kam; wie ein russisches Fräulein viele Andenken hinterlassen hat; wie der dicke Richi einem Hasen hinterherjagte; wie gefährlich Neugierde sein kann oder warum das Richisau überhaupt Richisau heisst. Es war beispielsweise zu erfahren, wie Ueli aus dem Muotatal leicht beschwipst zurückkehrte, die Klöntaler die Glarner reinlegen wollten, wie sich ganz besondere Pilze aufs Wesen von Hotelgästen auswirken, die Grusel, Schreie, Schluchzen und Stöhnen – mannigfaltig Kribbeliges echt lieben, sogar Übernachtungen buchen. Maria Thorgevskaja schilderte bewegend, mit viel Schalk, klug dosierter Dramatik und Leidenschaft.

Dan Wiener entführte ins Sernftal, erweckte das sagenhafte Geschehen um den Riesen Martin, dessen Grossmutter Martina und weitere Martins aus diesem liebenswürdigen Clan zu willkommenem Leben. Alles wuchs zu sagenhaften Grössen, samt Dinosaurier-Sandwiches, mündete in echt riesige Mützen, führte zu heute noch gültigen, an jene Geschehnisse erinnernde Namen. Wiener zeigte fantasievoll auf, wie riesig auch Tassen und Teller und welche Portionen beliebt, willkommen waren. So wurde die Frage gestellt, weshalb das Sernftal «Chliital» genannt werde – bei ehemals derart riesigem Bewohner.
Es wuchs ein riesenhaft vergnügliches Leben. Weil die Riesen zuweilen gar grob waren, aufeinander losgingen. hämmerten sich einig nach wuchtigen Streitereien derart tief in den Boden, dass sie bis heute geblieben sind.

In reizender, wechselvoller Art wurde einiges besungen, formschön, gekonnt, textbezogen sagenhaft weit gespannt.

Maria Thorgevskaja und Dan Wiener lernten sich 1989 in Zürich kennen. Ihr umfassendes Schaffen wurde unter anderem mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet.        
Darüber und anderem wurde im Dekanenhaus Mollis, einem ganz besonderen Ort, informiert. Alle wurde gleichermassen gastfreundlich empfangen.