Zum Lob des Differenzlers

Der Differenzler ist eine Disziplin beim Jassen, aber auch – ein bisschen – eine Zusammenfassung von Regierungsrat Rolf Widmers Finanzpolitik. Heute wurde der erfahrene Regierungsrat und Finanzpolitiker verabschiedet und man beriet insbesondere die neue Urnenabstimmungsverordnung und den positiven Rechnungsabschluss.



Zu Beginn der heutigen Sitzung wurde Andreas Luchsinger als neues Landratsmitglied ....
Zu Beginn der heutigen Sitzung wurde Andreas Luchsinger als neues Landratsmitglied ....

Doch das war nicht der Grund, warum die SP-Fraktion in ihrer Corporate Colour Rot erschien. Vielmehr freute man sich über den Regierungsrat aus den eigenen Reihen, über Markus Heer, der vom Parlament vereidigt werden konnte. Zuvor wurde – als Ersatz für René Marfurt – Andreas Luchsinger als neuer Landrat vereidigt, danach wählte der Landrat in geheimer Wahl Nicole Buner aus Mollis für den Rest der Amtsdauer 2018 bis 2022 als Staats- und Jugendanwältin mit 56 von 57 Stimmen.

Und es gibt sie doch …

… die allerletzte Möglichkeit, Landsgemeindegeschäfte an die Urne zu bringen, falls – wider Erwarten – die Landsgemeinde auch am 5. September 2021 nicht durchgeführt werden kann. Dies nämlich regelt der in 2. Lesung heftig umkämpfte Artikel 4 der Verordnung über ausserordentliche Urnenabstimmungen. Viel digitale Druckerschwärze beanspruchten schon der Beschluss der 1. Lesung (10 Seiten) und der Antrag an den Landrat (15 Seiten), und die fünf regierungsrätlichen Anträge hatten es in sich. Immerhin sollen sie – wenigstens bis zur nächsten Landsgemeinde – eine gewisse Rechtssicherheit schaffen, auch wenn im Glarnerland hier die Landsgemeinde das Sagen hat und es auch behalten soll. Allerdings kann der Landrat Gesetzgebungs- und Sachbefugnisse, welche üblicherweise der Landsgemeinde unterstehen, einer Urnenabstimmung unterstellen. Frau Landammann Marianne Lienhard erklärte Mathias Zopfi den genauen Ablauf sowie die Kompetenz des Landrates zur Rechtsetzung in dringlichen Fällen. Dieses Recht hat Gültigkeit bis zur nächsten ordentlichen Landsgemeinde. «Bezogen auf die Verordnung, die wir dem Landrat zur Beschlussfassung vorlegen, hat dies bis 5. September 2021 Gültigkeit oder – falls nicht – bis zum 1. Maisonntag im 2022.» Danach verliere sie automatisch ihre Gültigkeit. Mathias Zopfi bedankte sich, zeigte sich aber nicht ganz zufrieden. Das Dringlichkeitsverfahren sei für materielle Verfahren gedacht, aber: «Gilt es auch für formelle Änderungen der Spielregeln? Denn hier besteht die Gefahr, dass man das gesamte Landsgemeinde-System auf diesem Weg aushebeln könnte.» Thomas Tschudi stellte darauf den Antrag, den Artikel 4 der Verordnung zu streichen. Man müsse in Szenarien denken. Die Verordnung gebe zwar die Möglichkeit und weitreichende Kompetenzen zum Festlegen der Spielregeln, was begrüssenswert sei. «Denn wir können frei darüber bestimmen, wie vorgegangen werden soll. Die Kehrseite davon aber ist: Wir geben uns diese Rechte selbst – im direktdemokratischsten Kanton der Welt. Die Bürger/-innen können nur noch an der Urne ja oder nein sagen. Wir müssen uns fragen: Wollen wir – im äussersten Notfall – eine Urnenabstimmung bei Sachgeschäften?» Derzeit sei keine Not zu entscheiden und dem Bürger quasi auf Vorrat ein Recht zu nehmen. Man dürfe sich dem Virus nicht beugen. Also: «Kein voreiliger Entscheid mit langfristigen Folgen. Wir sollten auch keine Landesmütter und -väter werden, welche die Verfassung geben. Das ist definitiv eine Schuhnummer zu gross.»

Eine Versicherung

Kommissionspräsident Bruno Gallati beantragte den Artikel zu belassen. «Ohne Artikel 4 fehlt ein wichtiger Teil dieser Verordnung. Diese ist für mich eine Art Versicherung.» Gallati wunderte sich, dass man vor allem mit der Landsgemeinde argumentiere und die Gemeindeversammlungen zu wenig bedenke. «Die Urnenabstimmung ist die letzte Möglichkeit, dort brauchen wir Rechtssicherheit.»

Mathias Zopfi unterstützte Thomas Tschudi. «Sie fällen hier sonst einen Entscheid für die Landsgemeinde, das steht Ihnen nicht zu. Artikel 3 und 4 sind gut gemeint, aber es zeigt das Problem. Es ist das Recht des einzelnen Bürgers, an der Landsgemeinde auch gegen etwas zu votieren, was wir hier als problemlos anschauen. Es kommt mir so vor, als würden Sie eine Versicherung abschliessen, bevor Sie das Auto kaufen.» Die Gemeindeversammlungen seien eine materiell andere Situation. Er gebe zu, dass das Notrechtsverfahren zu Rechtsunsicherheit führen könne, aber: «Unser Verfassungsgeber hat uns dies geben.» Emil Küng rief zur Raison: «Wir führen hier nicht diese Diskussion über die Abschaffung der Landsgemeinde.» Auch Frau Landammann Marianne Lienhard beantragte Belassen von Artikel 4. «Der Regierungsrat will die Landsgemeinde abhalten, aber er weiss nicht, wie sich das Virus entwickelt. Da dieses den Takt vorgibt, müssen wir die Optionen haben, wie wir vorgehen können, wenn es uns links überholt im Sommer. Es geht nicht darum, die Spielregeln zu ändern oder die Landsgemeinde abzuschaffen, sondern darum, wie wir in dieser schwierigen Situation die Volksrechte bewahren. Wenn wir den Artikel streichen, können wir die Stimmbürger/-innen über längeren Zeitraum nicht anfragen. Das ist eines Landsgemeindekantons mit direkter Demokratie nicht würdig.» Darauf beliess der Landrat den Artikel in der Verordnung.

Motion überwiesen

Auch die restlichen Anträge der Regierung gaben zu reden. Zwar wurde der Auftrag an den Regierungsrat, eine Vorlage zur Ergänzung der Kantonsverfassung auszuarbeiten, nicht verbindlich auf die Landsgemeinde 2022 festgelegt, wie dies Samuel Zingg forderte, hingegen setzte sich Barbara Rhyner namens der SVP-Landratsfraktion mit dem Antrag durch, die Motion der SVP «Ausserordentliche Landsgemeinde zur Wiedereinführung der politischen Rechte des Glarner Souveräns» zu überweisen. «Offenbar wissen wir nicht, wie der Landrat eine a.o. Landsgemeinde ins Leben rufen könnte. Das möchten wir gerne genauer wissen. Zudem möchten wir die Original-Landsgemeinde durchführen, wir sind jetzt schon beim 3. Verschiebungsdatum. Im Sinne einer Rückversicherung möchten wir den Regierungsrat veranlassen, einen Termin im Spätherbst wahrnehmen zu können.» Sabine Steinmann sprach von den Irrungen und Wirrungen einer Motion und kündigte Unterstützung der SVP-Motion an, ebenso Mathias Zopfi namens der Grünen. Die SP will allenfalls die Geschäfte auf zwei Tage verteilen. Laut Kommissionspräsident Bruno Gallati wurde die Motion ausführlich in der Kommission diskutiert, doch war die Abstimmung dazu knapp, und Marianne Lienhard sagte, der Regierungsrat habe «den Druck, eine Landsgemeinde durchzuführen, sehr wohl wahrgenommen. Wir haben die ordentliche Landsgemeinde, die wir im September abhalten wollen. Sollte sich während der Behandlung der Geschäfte abzeichnen, dass die Endzeiten nicht eingehalten werden, könnte der Landammann die Landsgemeinde ja dann für eine Verschiebung des Geschäftes auf die Landsgemeinde 2022 anfragen.» Trotzdem wurde die Motion mit knappen 28:27 Stimmen überwiesen.

In höchsten Tönen

Vor der Pause – welche der Landratspräsident dank der geöffneten Terrassen auf 30 Minuten ausweitete – begann die Debatte zur Rechnung und damit das Lob des scheidenden Finanzdirektors und seiner Fähigkeit zum «Differenzler». Obwohl nämlich – je nach Erfolg der Schweizerischen Nationalbank – bis zu 3 Prozent mehr in die Kassen gespült werden, schaffe er es, bei einem regelmässig roten Budget jeweils einen knappen Überschuss (2020 waren es 1,2 Millionen Franken) zu erwirtschaften. Zuerst lobte Samuel Zingg die Rechnung, der Selbstfinanzierungsgrad liege – trotz budgetierter 25 Prozent – immer noch bei 63 Prozent. Nur das negative Betriebsergebnis gebe zu denken. Dann referierte er auch zwei Minderheitsanträge aus der Kommission. Die Budgetierung solle genauer werden, aber es sei schwer, 5 Prozent Budgetgenauigkeit einzuhalten, wenn allein die Ausschüttung der Nationalbank das Ergebnis um 3 Prozent beeinflusse. Und man solle die Folgen der Pandemie abwarten, bevor man die Steuern senke. Hier halte er es mit dem scheidenden Finanzminister und plädiere für eine langfristige Finanzpolitik. Danach begann der Reigen der lobenden Eintretensvoten: Martin Laupper stellte namens der FDP fest: «Zum Glück ist das düstere Budget keine Realität geworden und wir haben zum x-ten Mal ein positives Ergebnis. Dem Tüchtigen – dem Finanzdirektor – sei das Glück gegönnt.» Und er nannte Widmer den Harry Potter der Glarner Finanzwelt. Ruedi Schwitter beantragte namens der BDP/glp-Fraktion Annahme der Rechnung. «Die Latte für den zukünftigen Finanzminister liegt hoch, so hoch, dass man bequem darunter durchgehen kann.» Es folgte, namens der SVP-Fraktion Markus Schnyder mit dem Motto «Spare in der Zeit, so hast du in der Not». «Die Krise wird uns noch lange verfolgen», so Schnyder, «und wir dürfen uns vom guten Resultat nicht blenden lassen. Wir sollten uns aber auch nicht von der Angst leiten lassen.» Schnyder attestierte dem Finanzdirektor dann die Fähigkeit, den Differenzler zu beherrschen, also das relativ genaue Vorhersagen des eigenen Ergebnisses. Auch Karl Stadler plädierte namens der Grünen für Eintreten und Zustimmung und verwies auf das Privileg in einem politisch und wirtschaftlich stabilen Kanton eines stabilen Landes zu leben. Als Wort zum Sonntag an den neuen Finanzdirektor wünschte er sich, dass dieser manchmal etwas mehr ausgebe. Christian Büttiker stellte fest: «Der Kanton steht gut da, die politischen Verantwortlichen sollten auch im Budget Zuversicht zeigen.»

Lob seiner Verwaltung

Regierungsrat Rolf Widmer bedankte sich für die Blumen, stellte aber fest: «Die Finanzen sind keine One-Man-Show, auch die Verwaltung hat eine wichtige Rolle.» Auf den zweiten Blick gebe es Kennzahlen, die zum Nachdenken anregen. Widmer nannte den tiefen Selbstfinanzierungsgrad, was bedeute, dass er Kanton seine Investitionen nicht aus den Steuereinnahmen finanzieren könne. Trotzdem seien – so Widmer – die Aussichten für ein gutes Ergebnis auch 2021 – also in schlechten Zeiten – gut. In der Detailberatung nach der 30-Minuten-Pause begrüsste Regula Keller den Bonus fürs Pflegepersonal und Fridolin Luchsinger regte seine Bedenken zu den vorsorglichen Einsprachen des Glarner Heimatschutzes an. Regierungsrat Kaspar Becker nahm eine Anfrage von Kaspar Krieg zur späten Auszahlung von Beiträgen an Wärmepumpen gerne entgegen mit den Worten: «Die Idee ist, dass man vorwärts macht.» Danach wurde die Jahresrechnung genehmigt, der Landrat nahm von den Kreditüberschreitungen Kenntnis. Ebenfalls Kenntnis nahm er – ohne Wortmeldung – vom Geschäftsbericht der glarnerSach. Deren Verwaltungsratspräsident Martin Leutenegger bedankte sich für das Vertrauen.

Beitrag an die Vorburg

Namens der Motionäre empfahl Martin Laupper die Motion für einen Beitrag an die Konservierung der Vorburg wie vom Regierungsrat vorgeschlagen zur Überweisung. «Man kann hier nicht mehr lange zuwarten. Die Vorburg ist der eigentliche Schlüssel zur Glarner Geschichte.» Vielleicht finde man ja später – bei archäologischen und bautechnischen Untersuchungen – wichtige Informationen zur Geschichte der Glarner, deshalb sei die Bedeutung der Burg hoch. Derzeit kümmere sich eine private Stiftung um den Erhalt, aber die Burg sei gefährdet und müsse gesichert werden. «Ein Volk, das die Kenntnis über seine Geschichte verliert, verliert die Seele und wird heimatlos.» Auch Priska Müller Wahl verlangte namens der Grünen die Überweisung. «Es ist eine der wenigen erhaltenen Burgruinen im Kanton. Wir Grünen würden die zusätzliche Erforschung der Geschichte begrüssen, um die Bedeutung der Burg noch stärker zu erfahren.» Matthias Schnyder dagegen stellte den Antrag, die Motion nicht zu überweisen. «Die Vorburg wurde geschleift, weil dort die Vögte lebten, welche fremde Richter waren. Wäre es nicht besser, das Geld in den Fortschritt zu investieren?» Beat Noser wies auf den möglichen direkten Zusammenhang mit der Schlacht von Näfels hin und auf die grosse Fronarbeit der Stiftung beim Versuch, den Zerfall aufzuhalten. Zudem mache es Sinn, die Burg zu pflegen und weitere Stiftungen und der Bund würden ebenfalls Gelder sprechen. Landesstatthalter Benjamin Mühlemann forderte: «Man soll sich auch mit kritischen Kapiteln des Landes Glarus auseinandersetzen. Es wurden bereits grosse Mittel von Fronleistungen investiert, jetzt geht es um den grossen Brocken der Konservierung, was mehrere Hunderttausend Franken braucht, das kann die Stiftung nicht allein stemmen.» Es sei, so Mühlemann, eine ausserordentliche Unterstützung, nicht eine im Rahmen der gewöhnlichen Denkmalpflege. Anschliessend wurde die Motion mit grossem Mehr überwiesen.

Antworten auf die Antwort

Es folgten die – teilweise länglichen – kurzen Stellungnahmen der jeweiligen Interpellantinnen und Interpellanten zu insgesamt neun Anfragen. Ein grosser Teil war der Corona-Pandemie geschuldet. Eindrücklich war Franz Freulers Zusammenfassung: «Gesellschaftlich bleibt die Unsicherheit, die Interpretation der Fallzahlen führt zur Spaltung in unserem Umfeld, das ist fast gefährlicher als das Virus selbst.» Ruedi Schwitter griff aufs Märchen von Dornröschen zurück – bei der Antwort zur psychiatrischen Grundversorgung des Kantons – Thomas Tschudi hielt beim Fahrtsweg fest, der Regierungsrat habe sich wohl der anti-autoritären Erziehung verschrieben. Und Hans Jenny zeigte sich nicht ganz zufrieden mit der Antwort zur Wirtschaftsentwicklung während der Pandemie. «Was geschieht, wenn Kurzarbeit und Hilfsgelder auslaufen? Kommt es nachher zu einer Konkurswelle?» Die Covid-Tests seien gut angelaufen, stellte Franz Landolt befriedigt fest. Der Schutz der Bewohnenden in Alters- und Pflegeheimen sei nach wie vor nicht genügend, monierte Priska Müller Wahl unbefriedigt. Mit Blick auf den Bau des Sicherheitsstollen verwies Emil Küng auf die Lärmproblematik und darauf, dass es keine Gesamtbetrachtung des Lärms, sondern nur eine für jede einzelne Quelle gebe. Susanne Elmer Feuz beklagte den Formularsalat bei der Administrativen Unterstützung wirtschaftlicher Härtefälle und Stephan Muggli forderte dazu auf, die First-Responder-Strategie nicht ganz am Ende der Prioritätenliste sterben zu lassen. In einer kurzen Laudatio würdigte der Landratspräsident die Leistungen von Regierungsrat und alt Landammann Dr. Rolf Widmer und schenkte ihm roten Zweigelt von Schwarz. «Rolf ist für mich Schwarz-Rot, das Budget war immer rot, die Rechnung immer schwarz.» Widmer bedankte sich und mahnte: «Wir dürfen die Gabe nicht verlieren, den anderen zuzuhören. Legislative und Exekutive sollten einen Dialog führen – dies als kleiner Wunsch. Schenken Sie der Regierung Wohlwollen und Vertrauen, Vertrauen ist die Basis.» Danach ehrte Hans-Rudolf Forrer noch Landratsjournalistin Claudia Kock Marti, welche in Pension geht. Die nächste Sitzung findet am Mittwoch, 23. Juni 2021, statt.