Zwei starke - liberale - Frauen

Die Historikerin Elisabeth Joris (Zürich) hat vor dem Historischen Verein des Kantons Glarus am Dienstag letzter Woche im „Glarnerhof“ Glarus in einem temperamentvollen Vortrag zwei bemerkenswerte, starke Frauen aus dem 19. Jahrhundert vorgestellt, die vor allem im Bildungs- und Erziehungswesen einen wichtigen Beitrag zum liberalen Aufbruch unseres Landes geleistet haben.



Die Historikerin Elisabeth Joris (Zürich)
Die Historikerin Elisabeth Joris (Zürich)

Die eine dieser Frauen war Emilie Paravicini-Blumer (1808-1885), die in Mollis (und Glarus) lebte, die andere die Zugerin Josephine Stadlin (1806-1875), die im Aargau und in Zürich wirkte.
Elisabeth Joris widmet diesen Frauen, beides Arzttöchter, ein biographisches Werk, das demnächst erscheinen wird.

Emilie Paravicini

Elisabeth Joris hat über Emilie Paravicini vor fast genau drei Jahren schon einmal vor dem Historischen Verein referiert. Sie war schon in jungen Jahren von ihrem erblindeten Vater Johann Jakob Blumer regelrecht mit Bartholome Paravicini, dem geistig erheblich beeinträchtigen Sohn von Johannes Paravicini, verkuppelt worden. Sie nahm das „Opfer“ aus Liebe zu ihrem Vater auf sich; im Haus Paravicini fühlte sie sich aber als Sklavin. Schwiegervater Johannes muss ein wenig angenehmer Zeitgenossen gewesen sein.
Emilie Paravicini, die kinderlos blieb, begeisterte sich für die liberalen Ideen, die spätestens seit 1830 die Schweiz politisch zu neuen Ufern führten und in der Gründung des Bundesstaates von 1848 gipfelten. In der gerade aus familiären Gründen engen glarnerischen Welt begeisterte sie sich für die aufständischen Polen (1830) und organisierte für sie ein Unterstützungskomitee. Sie setzte sich für die Frauenbildung ein und organisierte 1861 nach dem Brand von Glarus die Verteilung der Hilfsgüter, stets argwöhnisch beobachtet von den Männern, welche ja die politischen Rechte für sich allein beanspruchten. Später wandte sie sich der Homöopathie zu und wirkte als Armenärztin in Mollis, wobei sie Ärger mit den Schulmedizinern bekam, doch dank ihres segensreichen Wirkens beschloss die Landsgemeinde 1873 die Freigabe der medizinischen Tätigkeit, was durchaus auch als Zeugnis der ja schon mehrfach (und bis heute) erwiesenen glarnerischen Fortschrittlichkeit bezeichnet werden kann.

Josephine Stadlin

Josephine Stadler entstammte einer regimentsfähigen, liberalen Zuger Familie. Sie genoss eine pädagogische Ausbildung im Pestalozzi-Institut in Yverdon und war alsdann als Lehrerin am Lehrerinnenausbildungszentrum in Aarau tätig, sodann als Gründerin eines Töchterinstituts, und sie betrieb auf privater Basis in Zürich ein Lehrerinnenseminar, das allerdings nicht offiziell anerkannt wurde und in Konkurs ging. Sie heiratete 1858 den Zürcher Bürgermeister und Regierungsrat Ulrich Zehnder, der 1861 eine führende Rolle bei den Hilfeleistungen für das abgebrannte Glarus spielte. Sie arbeitete dann an einer unvollendet gebliebenen Pestalozzi-Biographie.

Beziehungspunkte

Es gab etliche Beziehungspunkte zwischen Emilie Paravicini und Josephine Stadlin. Beide waren im Erziehungs- und Bildungswesen tätig, und am bemerkenswertesten ist wohl das Jahr 1861, als Stadlins Mann Zehnder die Hilfe für Glarus organisierte und Emilie Paravicini in Glarus für die Verteilung sorgt.

Abenteuerliche Brief-Suche

Elisabeth Joris widmete den zweiten Teil ihres Vortrages den Briefen der beiden Damen, die oft sehr schwer zu finden sind, denn Archivwürdigkeit billigte man in der Regel nur den Briefen der Männer zu. Die beiden Damen - und vor allem Emilie Paravicini - waren aber eifrige Briefschreiberinnen, und ihre Briefe wurden auch gebündelt aufbewahrt. Sie zu finden und damit als historische Quelle benützen können, erfordert aber Scharfsinn und den Aufbau eines Beziehungsgeflechts mit Archiven und mit der Nachkommenschaft, bei der oft überraschenderweise solche Dokumente zum Vorschein kommen. Auch auf philatelistischer Basis (in Angeboten alter Briefe) kommen solche Dokumente zum Vorschein. Sie sind für die historische Forschung von unschätzbarem Wert.

In den Briefen schrieben die Damen über alles, was sie bewegte, und es kommen darin viele Personen (die wir heute nur noch zum Teil kennen) vor. Die Briefe enthalten auch viel Emotionales aus der besondern Welt der Frauen und ihren Seelenverwandtschaften.