Daneben gab es noch die Theorbe, die einen mehr als überlangen Hals hat und ins All zu gucken scheint. Mit derartigen Tatsachen konfrontiert sahen sich alle, die sich am vergangenen Sonntag in der Kirche Ennenda – einem prachtvollen Konzertraum – eingefunden hatten, um sich mit «Les Amusements» – französischer Gambenmusik und einem kleinen chirurgischen Eingriff – zu befassen hatten. Für hochstehend Musikalisches aus der Zeit des Sonnenkönigs Louis XIV zeichneten sich Magdalena Mattenberger und Jenny Berg (Gamben), Reymond Huguenin Dumittan (Theorbe, Laute und Barockgitarre) und die Cembalistin Naoko Matsumoto in gar überzeugender Weise aus.
Einen kecken, nach der Lektüre des verheissungsvollen Konzertprogramms mit einiger Neugierde erwarteten Kontrapunkt, gepaart mit charmantesten Ausführungen, sprachhistorischen Halb- und Ganzwahrheiten und medizinisch Tiefgründigem, oft Verblüffendem setzte Dr. Pietro L`Abate. Er hatte sich in die Kleidung aus jener Zeit der stark Gepuderten, blasiert Flanierenden und gelangweilt Rumguckenden, in der Üppigkeit der Kulinarik versinkenden Gesellschaft reinbegeben, sich charmante Wortwendungen zu eigen gemacht und sich mit dem Stande der Chirurgie und Medizin in jener Barockzeit spürbar intensiv befasst. Und so erfuhren die «lieben Gambenfreunde einiges über den höfischen Absolutismus, die verschwenderische Vergnügungssucht und den immensen Reichtum, den man heute als Finanzblase oder – beim Scheitern – als Grounding bezeichnen würde. Und Pietro L`Abate dozierte mit tiefster Überzeugung – den Schalk nie verbergend – über die tiefgreifenden Änderungen in den Bereichen Wissenschaft, Philosophie und Religion. Er tat das gekonnt, witzig, mit französisch angehauchtem Charme, mit einem feinen Bückling. Von Marin Marais (1656 – 1728) stammte die erste der sechs zumeist mehrsätzigen stimmungsvollen Kompositionen. Der Beginn war von festlich Verhaltenem erfüllt. Feine Töne verwoben sich zu wundersamem Tanz, verharrten in markanten Forti, entschwebten ins Irgendwo. Markant machte sich die von Reymond Hugenin Dumittan bespielte Theorbe mit energischem rhythmischem Akzentuieren breit. Spielerisch und gestalterisch sehr Anspruchsvolles wurde mit viel Klugheit und Einfühlungsvermögen ausgedrückt. Vor den Sätzen aus Charles Dollé (um 1710 – 1755) Deuxième Suite kam Pietro L`Abate auf die auffallend gesunde Atemtechnik und Sitzhaltung der Interpretierenden und die Theorbe zu sprechen, die sooo lang sei und in den Orbit zu reichen scheine.Und schon wieder wünschte der Maitre de plaisir Vergnügliches. Mit innerer Behaglichkeit lebte man in Momenten, die Eile, Fragerei, Neugierde, Tänzerisches und Erhabenes in sich bargen und gar adrett ausgespielt wurden. Gamben und Theorbe schienen sich mit ihren Klängen zu verweben.
Man spürte zuweilen, wie fordernd das Bespielen der Gambe ist. Die Klänge des Cembalos wurden zuweilen beinahe überdeckt. In den ersten zwei Sätzen aus der IV. Suite von Antoine Forqueray (1672 – 1745) entfaltete die Cembalistin ihr Können mit Eleganz und spielfreudigem Reichtum. Vor diesem Werk zeigte Dr. L`Abate nachhaltig auf, wie eine Suite zur «Stubete» werden kann oder wie markant sich Elemente aus der französischen Sprache im Glarnerischen erhalten haben. Witzig setzte er den «Tout – de – suite», «toujours» oder «partout» in Befindlichkeiten von Patienten ein, zeigte auch auf, wie französische Truppen einst in die Ennetberge vorgestossen seien und dort Spuren hinterlassen hätten. Forquerays Komposition erforderte hohes gestalterisches Können. Wechselnde Tempi, ausdrucksvolles Gestalten der schnellen Sätze mit gar diffizilen hohen Lagen führten zu Kurzweil, die Magdalena Mattenberger im Prélude eines Werks von Monsieur de Sainte-Colombe (um 1640 – 1695) gar beeindruckend weiterspannte.
Und dann startete Dr. L`Abate mit seinem humorgespickten Wortreichtum zu Geschichten über Leiden, Operationstechniken und Chirurgischem. Marin Marais hatte mit einer auskomponierten ernsten Geschichte über allzu Ausschweifendes im damaligen Alltag eine Grundlage geliefert, die Worte und Interpretation trefflichst verbanden. Es seien in jenen Zeiten Chirurgen auf die Stör gegangen und hätten so von «„Haus zu Haus» operiert. Fachleute hätten sich kaum mit Narkotisieren, weit lieber mit der Inneren Medizin und Körpersäften befasst. Es sei das alleinige Verdienst zweier glarnerischer Ärzte gewesen, dass Narkosen möglich wurden. Und deshalb sollte nach Meinung des Verfassers für den Netstaler Elmer und den Ennendaner Jenny ein Narkose-Denkmal posthum erstellt werden, geeigneter Standort wäre der Eingangsbereich des Kantonsspitals. Und als Pietro L`Abate über die Steinschnittlage, das Besteigen der Operationsliege durch den Patienten und den Verlauf der leicht blutigen, dramatische Blasensteinoperation sprach und das Messer hurtig ansetzte – alles mit adretter Livemusik untermalt – kamen schon ein leises Schaudern und in ferne Jahrhunderte zurückreichendes Mitgefühl auf. Die Verknüpfung von Musik und Chirurgie bewährte sich bestens, war bemerkenswert vergnüglich und wurde mit verdientermassen grossem Beifall verdankt.
Amüsantes und Hochmusikalisches in der Kirche Ennenda
Bis eine Gambe in Stimmung, das heisst wohlgestimmt ist, dauert es seine Zeit. Und wer meinte, dass bei dieser «Warterei» gar Langeweile aufkäme, sah sich beim konzertanten Begegnen mit diesen wahrlich schwierig zu bespielenden, diffizilen Instrumenten schwer getäuscht.