Antrittsrede Landratspräsidentin Regula N. Keller

Heute wurde Regula N. Keller zur Landratspräsidentin gewählt. Mit diesen Worten begann sie ihr Amt.



Antrittsrede Landratspräsidentin Regula N. Keller

Wörter

meine Fallschirme

mit euch

springe

ich

ab

 

Ich fürchte nicht die Tiefe

wer euch richtig

öffnet

schwebt

(Horst Bienek)

 

 

Als ich vor knapp 19 Jahren in den Kanton Glarus gezügelt bin, hätte ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht ausgemalt, dass ich einmal hier oben Platz nehmen darf und für ein Jahr die (zweit-) höchste Glarnerin sein darf.

Es ist ein sehr schöner Moment, ich empfinde grosse Freude, aber auch grossen Respekt. Und natürlich auch Dank: Ich bedanke mich bei Ihnen ganz herzlich für die Wahl zur 138. Landratspräsident/-in des Kantons Glarus – und danke für das Vertrauen in mich, das mit dieser Wahl einhergeht.

Ich fühle mich gut vorbereitet auf dieses Amt, habe ich doch als Büromitglied gewissermassen eine fünfjährige Lehrzeit absolviert. Dabei durfte ich mit fünf kompetenten Landratspräsidenten zusammenarbeiten, verschiedene Stile kennenlernen und insbesondere im letzten Jahr als Vizepräsidentin Luca Rimini eng begleiten und ihm über die Schulter schauen, bei Unklarheiten konnte ich nachfragen, lernen. Luca: Du hast den Rat klar, kompetent und zielsicher, in angenehmem Tempo und mit einem guten Mass an Gelassenheit geleitet. Dafür auch von mir nochmals ein herzliches Dankeschön.

Ich habe es eingangs erwähnt: Ich bin eine Zuzügerin, man könnte auch sagen eine Wahlglarnerin. Spätestens wenn ich in Mundart zu reden beginne, wird das klar.
Das erste Glarner Wort, das ich gelernt habe, war «Schamauchin»: Eine Bezeichnung, die auf mich zutraf (ob sie immer noch zutrifft, überlasse ich Ihnen): In Domat/Ems in Graubünden aufgewachsen, als Tochter einer Zürcherin und eines Thurgauers, was mich auf dem Papier auch zu einer Thurgauerin macht, dann während des Studiums in Winterthur wohnhaft, später für einige Jahre in Chur, lebe ich nun seit 2004 in Ennenda. Dass eine Wahlglarnerin den Glarner Landrat präsidieren darf, sehe ich nicht einfach als Selbstverständlichkeit – schön, dass das hier möglich ist. Danke für diese Offenheit. Und es macht auch deutlich: Wer im Kanton Glarus was werden will, schafft das auch als Zugezogene.

Die zweite für mich sehr auffällige sprachliche Glarner Besonderheit war und ist das «es» bei ds’Vreni, ds’Marlis oder eben ds’Regula. Ich gebe es zu, das hat mich irritiert – und ich habe es bewusst nicht in meinen Wortschatz aufgenommen. In gewisser Weise auch irritierend ist, dass ich erst die fünfte Frau in diesem Amt bin. Statistisch gesehen gab es also seit Einführung des Frauenstimmrechts im Kanton Glarus pro Jahrzehnt eine Frau – das ist wenig. Umso mehr freue ich mich, dass ich in meinem Jahr als Präsidentin eine Vizepräsidentin (Wahl Daniela Bösch vorausgesetzt) an meiner Seite haben werde und auch ein Büro leiten darf, das in Bezug auf die Geschlechter mit drei Frauen paritätisch aufgestellt ist. In den nächsten fünf Jahren wird sich die Statistik betreffend Präsidentinnen des Glarner Landrates somit beträchtlich verbessern. Und ich hoffe sehr, dass diesauchmehr Frauen motiviert, sich politisch zu engagieren, für Ämter zu kandidieren und Leitungsfunktionen anzustreben.

Das dritte Glarner Wort, das ich gelernt habe, war «frii»: zuerst vor allem im Sinne von «frei haben», rund um Schüler/-innen nicht unbedingt überraschend. Dann aber rasch im Sinne von «s’Wort isch frii». Und auch wenn ich weiterhin in Mundart «frei» sage, hat mich doch das Glarner «frii» beeindruckt. Beindruckt in Bezug auf die politische Freiheit resp. die Mitbestimmungsrechte /-möglichkeiten, die der Kanton Glarus mit der Landsgemeinde für seine Stimmbürgerinnen und Stimmbürger bereithält. So viel «Freiheit» ist aussergewöhnlich.

Ich fühle mich sehr geehrt und werde mein Bestes geben, als Präsidentin ein Jahr lang diesen Rat so zu leiten, damit an der nächsten Landsgemeinde 2024 dem Glarner Stimmvolk gut vorbereitete Geschäfte vorgestellt und gut beratene Anträge gestellt werden können, zu denen es dann heisst «S’Wort isch frii».

Und damit komme ich zu den traditionell geäusserten Wünschen der frisch gewählten Landratspräsidentin, wobei ich mich auf einen (dafür auf einen grossen!) beschränke: Die Freiheit – oder eben das «frii sii».  

«Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.» So Immanuel Kant, der grosse Aufklärer aus dem 18. Jahrhundert, aus der Zeit also, in der die modernen Menschenrechte (und zeitweilig auch explizit Frauenrechte) «erfunden» worden sind.  
Bei aller Liebe zur Freiheit – wir müssen uns bewusst sein, dass unsere Freiheit nicht auf Kosten der Freiheit anderer Menschen ausgelebt werden darf. Ich hoffe, dass wir hier im Rat bei all unseren Vorstössen und Entscheiden auch daran denken und mitberücksichtigen, welche Folgen unsere Entscheide für andere haben werden – im Glarnerland und global. Und lassen Sie uns bei den «Anderen» nicht nur an die Gegenwart denken, sondern auch an die Zukunft: Entscheide treffen, die dafür sorgen, dass auch für die kommenden Generationen eine Welt mit genügend Ressourcen vorhanden ist, in der Freiheit und Gestaltung noch möglich sein werden.  

Ich freue mich auf das vor mir liegende Jahr und die Zusammenarbeit mit Ihnen. Auch darauf, den Landrat und den Kanton Glarus an diversen Anlässen vertreten zu dürfen: Ich werde sicherlich ganz viele spannende Menschen (Glarner/-innen und Schamauch/-innen) und neue, mir bislang unbekannte Seiten des Kantons kennenlernen.

Ich hoffe, ich werde im kommenden Jahr die «Wörter richtig öffnen», mit Ihnen zusammen «schweben», die möglichen Untiefen der Politik nicht fürchten und in einem Jahr eine möglichst punktgenaue Landung hinbekommen.  

In diesem Sinne: Für Sie und für mich – guten Flug!