Claudio Landolt – Lesung, Töne, Stille, Harmonie und Macht

Es bedarf einer gehörigen Portion Neugier und Vorfreude, um sich mit Claudio Landolts Aussagen zum Vorderglärnisch und dessen nächster Umgebung samt Tieren, Menschen, Flurnamen, Gesteinen, Pflanzen und anderem zu befassen. Claudio Landolt kommt nicht mit leicht Erfassbarem daher. Beginnt man in seinem Bergporträt zu blättern, hält man inne. Landolt ist nicht einer, der es seinen Lesern leicht macht.



Claudio Landolt – Lesung, Töne, Stille, Harmonie und Macht

Er ist stark fordernd; vielleicht, weil ihm der Vorderglärnisch über unzählige Stunden des Verharrens hinweg enorm viel abverlangt hat. So wuchsen Besonderheiten der ungewohnten Art. In der stadtglarnerischen Kulturbuchhandlung Wortreich machten er und die ihn befragende Maya Rhyner einiges klarer, was so geheimnisvoll, auf den ersten Blick unergründlich einherkam. Mit einem etwas mehr als eine halbe Stunde dauernden Konzert ab Tonband, dies im ausverkauften Tunnel (Holensteinareal), drückte Claudio Landolt aus, was er über zahlreiche Stunden hinweg an Tönen empfangen und musikalisch umgesetzt hatte.

Angekündigt war mit dem Titel «Nicht die Fülle nicht Idylle nicht der Berg» eine sinnlich-poetische Lese- und Hörreise, welche den Vorderglärnisch diesen unübersehbaren wuchtig – stolzen Steinklotz in den Glarner Alpen auf einzigartige Weise erfahrbar macht.

Claudio Landolt, 1984 geboren, lebt als Autor und Komponist in Glarus. Er studierte Kulturpublizistik und Elektroakustische Komposition an der Zürcher Hochschule der Künste. Unter anderem ist er als Musikredaktor bei Radio SRF tätig. Als Musiker trifft man ihn auf Schweizer Bühnen.

Begibt man sich selber in die Berge, erfolgen Hinwenden und Verweilen aus verschiedensten Gründen, die höchstwahrscheinlich kaum einmal etwas mit dem Erforschen, Erfassen, sprachlichen oder musikalischen Umsetzen in der Form zu tun haben, wie es Claudio Landolt in faszinierender Art fassbar, erfassbar gemacht hat.
Man geniesst Stille und Natur, freut sich an Pflanzen, fliegendem und rumkrabbelndem Getier, folgt dem Lauf des einhersprudelnden Wassers, nimmt Geräusche des Windes auf, lauscht in Tiefen, vernimmt ein Echo, hört vielleicht an- und abschwellende Rufe oder irgendwelche Jodler, träumt so dahin – und findet jene Form von Erholung, die man gesucht hat. 

Das sind nicht Weltanschauung und Erkenntnis von Claudio Landolt. Er verwöhnt die Leserschaft keineswegs mit auf den ersten Blick leicht Fasslichem. Wenn er von Requienien, Orbitolinen, Textularien oder Milioliden schreibt und das unter «Proviant» einordnet, hält man echt inne, gelangt bald zu Neuem, Fassbarem, vollzieht mit, wie die «Explosionszeichnung, gedreht» grafisch aussieht, was vor dem Hochklettern erforderlich ist. Man wird von alphabetisch geordneten Wortkaskaden beinahe überschwemmt, staunt ehrlich, wie differenziert sich Landolt mit einem «Bergruf» auseinandersetzt; um wenig später der optischen Gliederung eines «Echos» zu begegnen. Man sieht sich mit den Innereien eines toten Schafs konfrontiert, durchblättert – sich vorerst mal leicht hilflos fühlend – aneinandergereihte Buchstabenfüllen mit dem hineinführenden Titel «Gleiterbach», denen wieder unbeschriebene Seiten folgen. Das ist jene Ruhe, die man im Alltag zuweilen vermisst.
Landolts Auseinandersetzen mit dem «Seismischen Rauschen» birgt Konkreteres, Streifzug, Bergklangformanten, Touristen, Im Chäsgadewald, Störungen, Gugg, Sepp, Im Archiv, Ruhespuren sind Titel, sind Einführung in Inhalte, die durchaus Bekenntnisse sind. Die Wortfolgen sind zuweilen Akrobatik, Traumwelten nicht unähnlich. Landolt formuliert kenntnisreich, durchaus kreativ auswählend und Erfahrungen fixierend. Er tut das mit spürbarem Respekt, Achtung du hoher Sensibilität.

Zwischen Herbst 2019 und Frühling 2020 entstand und wuchs dieses Empfinden am Vorderglärnisch. Irgendwo steht: «Ich liebe dich, du alter Chlotz. Wie du so dasitzt und so tust, als wärst du gar nicht da.»

Ausverkauft, spannend, Kenntnisse erweiternd

Christa Pellicciotta, Geschäftsführerin der Kulturbuchhandlung Wortreich war spürbar begeistert, dass sie und ihr kreatives Team endlich wieder zu Veranstaltungen einladen durften. So waren die Hinweise auf Kommendes (Seniorenkino, Sprachcafés, Theater) einem bunten Blumenstrauss nicht unähnlich. Und wie gewohnt konnte verweilt und geplaudert werden.

Maya Rhyner, Berufsfotografin, Redaktorin, interviewte geschickt strukturierend. Dass Claudio Landolt als Teilnehmer an die Solothurner Literaturtage eingeladen ist, zeigt auf, dass er mit seinem ausdrucksstarken, weit erfassenden Schreiben gebührende, verdiente Beachtung gefunden hat.

Und nach der Lesung und der Wiedergabe kurzer Tondokumente, die aus über hundert Stunden Aufnahmen mit verschiedensten, differenziert erfassenden Mikrofonen an ausgewählten Standorten zusammengeschnitten worden sind, war man an diesen «Chlotz» herangeführt. Man wird definitiv anders an dieses machtvolle Gefüge herangehen, man wird an Personen denken, die hochgeklettert sind, Feuerwerke losgelassen haben, Schafe hüten. Man wird an eine wahre Sturzflut von Flurnamen denken. Man wird sich jener Warenseilbahn erinnern, die so holperig und ungemein lautstark einherkommt.

Diese Begegnungsfülle ist dem unermüdlich und kreativ tätigen Claudio Landolt zu verdanken, der über 35-mal irgendwo am Berg weilte, fünfmal ganz oben war, sich dem «Chlotz» auch von Schwändi her annäherte – grösstenteils wegen seiner Master-Arbeit. Er zog diesen Ort einer Studienreise in die südafrikanische Savanne vor. Drei Jahre wendete er auf, um alles so zu realisieren, wie es ihm richtig erschien.

Und dank Tondokumenten erfuhr man, weshalb es zuweilen grollt, donnert, rumpelt, pfeift, dröhnt, pfeift, schmettert, lockend pfeift, schrill einherkommt. Man drang zuweilen ins Innere der Gesteinsfülle ein, erfuhr beispielsweise auch, wie geheimnisvoll die Geräusche des Wassers sein können.

Bereitwillig gab Landolt preis, wie intensiv sein Suchen war, was aus Begegnungen wuchs, wie reizvoll das Auskomponieren von Texten sein kann. Es wurde eine Grafik gezeigt, auf der Geräusche in kunstvollste Gebilde umgesetzt waren. Für Landolt ist das nach eigenem Bekunden die «ultimativste Kommunikation mit dem Berg». So wurden Töne zu Gehör gebracht, die eigentlich ausserhalb unseres Hörbereichs liegen. Es war – aus dieser Perspektive – ein bewegendes akustisches Erfahren.

Es kam zum Dank an jene, die finanziell mitunterstützt und alles mit grossem Verständnis mitgetragen haben. Es folgten für die einen der Gedankenaustausch, für andere der Wechsel ins «Tunnel» im Holensteinareal, um sich der etwas mehr als eine halbe Stunde beanspruchenden Collage ab Tonband zu widmen Wieder andere kauften sich das nach diesen Erfahrungen entstandene Buch mit ganz besonderen Inhalten.