Das Bild von sich

Ich ziehe mich gern schön an, schminke mich täglich und schaue meistens in den Spiegel, bevor ich aus dem Haus gehe.



Kolumne von Anita Blumer.
Kolumne von Anita Blumer.

Ich würde mich als in gewöhnlichem Mass eitel bezeichnen. Im gewöhnlichen Mass, weil ich Leute kenne, die übertrieben eitel sind; so, dass es negativ auffällt. Das Verwerflichste an eitlen Menschen ist ja, dass sie ihr Äusseres und sich selbst zu wichtig nehmen. Eine eitle Person wird sich zutiefst gedemütigt fühlen durch die nachträglich von ihr bemerkte Tatsache, dass ihr während einem Gespräch mit einer wichtigen Persönlichkeit ein Spinatresten zwischen den Zähnen hing. Eine weniger eitle Person wird sich darüber amüsieren. Ich glaubte immer, dass meine Selbstironie ausreiche, mich ab und zu vor anderen lächerlich zu machen. Letzthin wurde ich eines Besseren belehrt. Das war so: Eine Arbeitskollegin vom Kino fragte mich, ob ich ihr für die Coiffeur-Lehrabschlussprüfung Modell stehen würde. Ich willigte ein. Am Tag der Prüfung musste ich für meine Verhältnisse in aller Herrgottsfrühe aufstehen und mit dem Zug nach Wallisellen fahren. Nun ist Wallisellen oder zumindest der Teil, den ich davon gesehen habe, ein bemitleidenswertes, deprimierendes Agglomerationskaff, dessen architektonischen Missbildungen durchfurcht von Autobahnen und Autostrassen erst einmal einen üblen Eindruck auf mich machten. Während der Mittagspause hatte ich nochmals die Gelegenheit, die Hässlichkeit dieser Betonwüste auf mich wirken zu lassen. Den Rest des Tages verbrachte ich in einem stickigen Raum, in dem etwa 20 andere Lehrabgänger ihre Modelle frisierten. Ich las Schweizer Reportagen von Niklaus Meienberg, was mich leider nur mässig aufheiterte. Meine Stimmung wurde hauptsächlich durch zweierlei Dinge getrübt. Einerseits schien sich die Prozedur ewig hinzuziehen und andererseits hatte ich plötzlich platinblonde Strähnen in meinem dunkelbraunen Haar. Aber ich machte tapfer gute Miene zum bösen Spiel. Zum Schluss kam die Hochsteckfrisur, die leider vollumfänglich misslang. Weil ich aber bereits so entnervt war, schlug ich das Angebot meiner Kollegin, die Frisur (ein mit Haarspray, tausend Spangen und Lockenwicklern befestigter Turm auf meinem Kopf) wieder aufzumachen, aus, und wollte stattdessen lieber so schnell wie möglich verschwinden. Doch bereits auf dem Weg zum Bahnhof plagte mich der Gedanke an mein Äusseres. Ich fühlte mich gedemütigt durch diesen Haarturm auf meinem Kopf, der zunehmend verwilderte und verwucherte und dabei immer monströsere und furchterregendere Züge annahm. Ich wollte selbstbewusst und erhobenen Hauptes durch die Menge gehen. Stattdessen behielt ich die Sonnenbrille noch im Zug an, in der falschen Annahme, man würde mich so vielleicht nicht wahrnehmen. Den ganzen Heimweg schämte ich mich abgrundtief und wünschte mir, es möge mir niemand über den Weg laufen, den ich kenne. Zu Hause färbte ich als erstes meine blonden Strähnen mit ein bisschen Restfarbe, die mir meine Kollegin mitgegeben hatte. Bedenklich an der ganzen Geschichte ist, dass es mir offenbar ungemein wichtig ist, ein bestimmtes Bild von mir, das an gewisse äusserliche Merkmale geknüpft ist, wiederzugeben. Da ich mich manchmal ganz schön rausputze, dann aber wieder sehr nachlässig kleide, dachte ich illusorischerweise, ich würde auf das Bild von mir wenig Wert legen. In Wirklichkeit habe ich den Bilderrahmen ganz genau abgesteckt. Folglich gibt es gewisse äusserliche Symbole (z.B. platinblonde Strähnen), mit denen ich meine Persönlichkeit auf keinen Fall in Verbindung gebracht haben möchte. Ich gehe also von Anfang an von der Oberflächlichkeit der Gesellschaft aus, unterwerfe mich ihr und bin somit selbst oberoberflächlich. Mir fällt nur etwas ein, das ich tun könnte, um mich diesem Diktat zu widersetzen. Ich müsste meinen Mitmenschen in regelmässigen Abständen kommentarlos die ausgesuchtesten Hässlichkeiten und Geschmacklosigkeiten vorführen, ohne mich dafür zu schämen, denn es bin ja nicht ich. Es ist ja nur mein Äusseres.