Der Glarner Zeugdruck - wissenschaftlich und revolutionär

Die Geschichte des Glarner Zeugdrucks (Tüechli usw.), der im 19. Jahrhundert seine Hochblüte erlebte, ist aussergewöhnlich spannend und bietet Stoff für die mannigfaltigsten Darstellungen, erfreut also das Forscher- wie das Leserherz. Glücklicherweise sind einige Firmenarchive erhalten geblieben. Eines davon befindet sich in der „Trümpyger“ in Ennenda, am Sitz der ehemaligen Bartholome Jenny & Cie, die noch heute als Daniel Jenny & Cie in Haslen eine Weberei betrieben wird.



Dr. Antoinette Rast mit dem vor ihr geschaffenen neuen Comptoir-Heft. (Bild: Jann Etter)
Dr. Antoinette Rast mit dem vor ihr geschaffenen neuen Comptoir-Heft. (Bild: Jann Etter)

Und das Archiv in Ennenda, das der 2007 verstorbene Daniel Jenny-Wipf geordnet hat, enthält Schätze, die wohl erst zum Teil wirklich gehoben worden sind. Aber zwei Komplexe sind nun bearbeitet und durch die Archäologin und Textilhistorikerin Dr. Antoinette Rast-Eicher, Ennenda, in Buchform, nämlich im rund hundertseitigen, reich illustrierten Comptoir-Blatt 4, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.

Ein technisches und eine „revolutionäres“ Kapitel

Das Werk, das am letzten Sonntag im Comptoir durch Ruth Kobelt-Jenny und die Autorin selber vorgestellt wurde, enthält einen technischenn und einen „revolutionären“ Teil. Im ersten Teil beschreibt Dr. Rast, speziell gestützt auf die Druckmustersammlung von Dr. h.c. Adolf Jenny-Trümpy (1855-1941), Teilhaber der Firma und verantwortlich für den technisch-koloristischen Teil der Baumwolldruckerei (und Historiker), die Druck- und Färbverfahren und die Farbenchemie. Dr. Adolf Jenny, aber auch andere Zeugdruckbesitzer, waren Tüftler und suchten nach steter Verbesserung ihrer Produkte, die Kostenfrage aber nie ausser Acht lassend. Die Glarner Tüechli aus Baumwolle waren im Vergleich zu den Seidendrucken wohlfeil und damit sozusagen ein Exportschlager.

Die insgesamt 22 Bände umfassende Druckmustersammlung enthält zu jedem Druck Angaben zur Drucktechnik und zu den Farben. Jenny sammelte auch Produkte von andern Firmen. Wir erhalten so auch einen Überblick zur Weiterentwicklung des Tüechlidrucks. Zahlreiche Abbildung und Tabellen ergänzen diesen ersten Teil des Comptoir-Heftes 4.

Tricolori

In eine sozusagen andere Welt entführt uns der zweite Hauptteil des Heftes, in die Produktion der für die italienischen Freiheitskämpfer oder Revolutionäre im Jahre 1848 hergestellten Tricolori-Mouchoirs. Im Archiv war zufällig ein Umschlag mit Papierzeichnungen zum Vorschein gekommen, mit dem Zusatz „wurden später verboten“, was natürlich die Neugier der Historikerin reizen musste. Und dann kam auch noch der Briefwechsel zwischen Ennenda und der Niederlassung in Lugano zum Vorschein. Das ermöglichte die Darstellung der revolutionären Ereignisse in Italien aus der Sicht der Firma.

1848/49 versuchten die Italiener, speziell die Lombarden, mit Hilfe und unter Führung des Königsreichs Sardinien-Piemont, die Österreicher, welche die Lombardei und Venetien beherrschten und in Parma, Modena und in der Toskana über eng verwandte Fürstenhäuser regierten, aus Italien hinauszuwerfen und ein Vereinigtes Königreich Italien zu bilden.

Führer der Italiener war der König von Sardinien-Piemont, Carlo-Alberto. Als Sympathisant galt auch der 1846 zum Papst gewählte Pius IX., der zu Beginn seiner Herrschaft - war als Inhaber des Kirchenstaates auch italienischer Landesherr - einige liberale Massnahmen ergriffen hatte, aber mitten im Kampf der Italiener zum militärischen wie politischen Rückzug blies und schliesslich als sehr konservativer Kirchenoberster in Erinnerung geblieben ist (bis hin zum Unfehlbarkeitsdogma). Der Aufstand der Italiener, die dann auch noch von Carlo-Alberto im Stich gelassen wurden, scheiterte schliesslich an Feldmarschall Radetzky, zu dessen Ehren Johann Strauss Vater gerade im Jahre 1848 den gleichnamigen Marsch komponierte.

Grün-weiss-rot

Die Tricolori-Mouchoirs oder kurz „Tricolori“ hatten die Farben grün-weiss-rot, wie noch heute die italienische Nationalflagge. Dreifarbige Flaggen (und Kokarden) galten sei Jahrhunderten als Zeichen der Freiheit und der Revolution. Die berühmteste ist die französische Trikolore, aber auch die heutige deutsche Flagge (schwarz-rot-gold) ist eine Revolutionsflagge, und die Neuenburger änderten nach dem Verzicht Preussens auf die Fürstenwürde (1856) ihr Wappen in eine grün-weiss-rote Trikolore um.

Die Gegner der Österreicher und ihrer anverwandten „tirannischen Herzöglein“ in Parma und Modena, wie es in einem Brief aus Ennenda nach Lugano heisst, trugen die grün-weiss-roten Tüchlein als Bekenntnis zur Freiheit. Farbige Halstücher als Zeichen einer politischen Haltung sind ja noch heute in Mode, z.B. die orangen in der Ukraine. Bartholome Jenny lieferte diese Tüchlein in grossen Mengen nach Oberitalien. Sie trugen das Porträt von Carlo-Alberto und des Papstes, der beiden Hoffnungsträger der Italiener.

Spannender Briefwechsel

Um die Produktion in Ennenda, wo sogar Modell wegen starken Gebrauchs erneuert werden mussten, den mit dem Verlauf des Streites mit Österreich wechselnden Bedürfnissen anzupassen, korrespondierte Ennenda permanent mit der Niederlassung in Lugano, welche besonders gut über die kriegerischen Entwicklungen informiert war; sogar Brieftauben kamen zum Einsatz. Der Briefwechsel Ennenda-Lugano ist im Comptoir-Heft ebenfalls wiedergegeben und stellt eine besonders spannende Lektüre dar. Die Ennendaner hegten eine gewisse Sympathie für die Italiener, sorgten sich aber vor allem um die Zollbestimmungen, welche die Österreicher besonders restriktiv handhabten; man erhoffte sich von den Italienern mildere Tarife. Im Übrigen aber blühte der Schmuggel via Tessin und den Lago Maggiore, auch über den Splügen, notfalls über Frankreich oder über den Brenner. Es wäre also durchaus denkbar, einmal eine besondere Geschichte des Tüechli-Schmuggels Glarnerland-Italien zu schreiben. Der Schmuggel beschränkte sich ja nicht auf die grün-weiss-roten Tricolori und das Jahr 1848. Mit der Zollfrage beschäftigte sich auch die Eidgenossenschaft, und die Ennendaner hatten einen der Ihren, Caspar Jenny, Landammann, Tagsatzungsabgeordneter, Mitglied der Verfassungskommission und erster Glarner Nationalrat, sozusagen „vor Ort“ in Bern.

Das Comptoir-Heft stellte etliche Musterzeichnungen der tricolori vor, auch mit Texten (z.B. „Viva Italia“ oder „Italia Unita“), die doch wohl auch von viel Sympathie für die Freiheitsbewegung zeugte, die dann unter Vittoria-Emanuele II., dem Sohn von Carl Alberto, 1866/70 zum Erfolg gelangte.

Jede Geschichte ist ein Teil der Weltgeschichte. Hier haben wir einen besonders spannenden und aufschlussreichen Teil vor uns! Jann Etter

Antoinette Rast-Eicher, „Zeugdrucke der Firma Bartholome Jenny & Cie in Ennenda“, Comptoir-Blätter 4. Für 28 Franken erhältlich bei Daniel Jenny & Co in Haslen, in der Baumwollblüte in Ennenda und im Buchhandel.

Das Comptoir an der Fabrikstrasse 5 ist bis Freitag, 3. Juli, von 16.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Eine Ausstellung mit Originalen ergänzt das Heft. Es werden Handdrucke eines Blaufärbers, der nach alten Verfahren und Rezepten arbeitet, angeboten