Die Kunst der Gastfreundschaft

Sind wir Glarnerinnen und Glarner gastfreundlich? «Ja», meinten kürzlich Gäste aus Wien – allerdings mit Erstaunen.



Landschaftliche Schönheiten und gepflegte Dörfer genügen nicht – Gastfreundschaft ist ebenso wichtig
Landschaftliche Schönheiten und gepflegte Dörfer genügen nicht – Gastfreundschaft ist ebenso wichtig

Angereist war eine ganze Gruppe aus Österreich, um silberne Hochzeit zu feiern. Die Trauung hatte vor 25 Jahren im Glarnerland stattgefunden, weil die Braut von hier stammte. Sie war dann mit ihrem Mann nach Wien übersiedelt. Die Feier nach 25 Jahren Ehe wollten die beiden wieder bei uns begehen – was wir natürlich gerne annahmen.

Das verlängerte Festwochenende war sehr schön. Es kam zu bereichernden Begegnungen, und es wurden viele alte Erinnerungen aufgefrischt. Beim letzten Beisammensein vor der Abreise in unserem Haus meinten die österreichischen Gäste, sie hätten mit Erstaunen festgestellt, wie gastfreundlich die Glarnerinnen und Glarner seien. Sie seien in den verschiedenen Gaststätten sehr freundlich aufgenommen worden.

Einerseits freute mich diese Aussage, denn ich bin auch der Meinung, dass Glarus ein gastfreundlicher Kanton ist. Anderseits irritierte mich die Bemerkung, sie hätten mit Erstaunen festgestellt, dass ... Nun ja, Österreich geniesst sicher einen besseren Ruf bezüglich Gastfreundlichkeit als die Schweiz. Aber so ungastlich sind wir nicht, wie manche glauben. Ich bin überzeugt, dass auch bei uns die Bereitschaft, Gäste freundlich aufzunehmen, hoch ist. Vor allem bei Gastbetrieben ist dies ja ein Muss, sonst bleiben die Gäste bald einmal aus.

Gastfreundschaft wurzelt in der Religion, sie zeigt sich in sämtlichen Kulturen als religiös fundierte Praxis. Früher war damit die freundliche Gesinnung gemeint, die einem Besucher bei seiner Beherbergung, Bewirtung und Unterhaltung im eigenen Zuhause entgegengebracht wurde. Man erhoffte sich im Gegenzug selber gastfreundliche Aufnahme unter ähnlichen Bedingungen. Man hatte ein «offenes Haus», in welchem sich Freunde wie Fremde spontan wohl und willkommen fühlten. Heute gilt dieses Prinzip – mindestens für Freunde – immer noch, doch meint man mit Gastfreundlichkeit eben auch die freundliche Aufnahme in kommerziell geführten Gastbetrieben. Diese prägen das Bild heute mehr als die privaten Haushalte.

Die von unseren österreichischen Gästen besuchten Glarner Betriebe haben ihre Sache gut gemacht. Sicher waren die Gäste auch angenehm und freundlich – solche bedient man ja lieber als mürrische, reklamierende oder hochnäsige Leute. Trotzdem: Den Betrieben gebührt Dank. Sie haben den Österreichern gezeigt, dass auch wir Glarnerinnen und Glarner die Kunst der Gastfreundschaft beherrschen.