Fahrtsrede von Landammann Röbi Marti

Turnusgemäss hielt dieses Jahr Landammann Röbi Marti die Fahrtsrede im Schneisingen. Wie bereits im vergangenen Jahr, war das Wetter dem Gedenktag einmal mehr wohlgesinnt. Die wärmenden Sonnenstrahlen lockten viele Glarnerinnen und Glarner, aber auch Gäste aus nah und fern nach Näfels. Nachstehend nun der Originaltext der diesjährigen Festrede.



Landammann Röbi Marti bei seiner Fahrtsrede. (Bild: jhuber)
Landammann Röbi Marti bei seiner Fahrtsrede. (Bild: jhuber)

Im Namen des Regierungsrates begrüsse ich Sie zur heutigen Fahrts-Feier.

So wie wir heute ein friedliches Fahrts-Fest feiern, können wir uns nur schwer vorstellen, wie auf diesem Gelände die Schlacht am 9. April 1388 tobte. Jene Schlacht, in welcher der Feind – je nach Quelle – 1700 bis 2400 Tote zu beklagen hatte, während lediglich 54 oder 55 Glarner Kämpfer, die wir alljährlich mit der Verlesung des Fahrtsbriefes ehren, ihr Leben lassen mussten. Wir feiern jene Schlacht, mit der die Glarner die habsburgisch-österreichische Herrschaft endgültig hinter sich liessen.

Die alljährliche Fahrt ist eine einzigartige Geschichtsstunde – Einerseits Erinnerung an das Ereignis von 1388: Mit dem Sieg der Glarner wurde die Aufnahme des Landes Glarus in die Eidgenossenschaft erst möglich; Andererseits Ermahnung: Freiheit, Frieden, Gemeinschaft und Verantwortung auch in der Gegenwart zu bewahren.

Was können wir 624 Jahre nach der Schlacht von Näfels aus diesem Ereignis für unsere Zeit, für die Zukunft der Glarnerinnen und Glarner ableiten?

Sicher eines: Gewalt und Kriege bringen primär Leid und Verluste. Konflikte müssen anders gelöst werden. Dazu braucht es unabhängig vom Jahrhundert mutige, tatkräftige Frauen und Männer, die bereit sind, ihre/unsere Zukunft in die Hand zu nehmen. Es braucht Ziele und Werte, die sich zu erkämpfen lohnen.

Unsere Vorfahren kämpften für eine gemeinsame Schweiz mit einem grossen inneren Zusammenhalt, die offen ist gegenüber Neuem – Die «Neuen» im Bunde waren damals die Glarner. Sie hatten den Willen, die Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen, das Leben der ganzen Bevölkerung zu verbessern – als freiheitliches Land mit einem hohen Grad an Menschenwürde, Eigenständigkeit, Freiheit und demokratischen Mitspracherechten! Dieses Ziel haben sie erreicht und sie haben uns ein wertvolles Erbe hinterlassen. Wir dürfen heute stolz sein auf jahrhundertelang gelebte und gewachsene urdemokratischen Instrumente: sei es im Landsgemeindering oder an der Urne. Wir leben ein demokratisches System von gegenseitiger Kontrolle und partiellen Gleichgewichten – gerade weil wir wissen, dass der Mensch nicht nur Gemeinschaftswesen ist, sondern sich auch von Einzelinteressen leiten lässt.

Wohin mangelnde Kontrollen führen, haben wir in der letzten Wirtschaftskrise gesehen. Wohin blindes Vertrauen führt, sehen wir dort, wo Handlungsspielräume schamlos übernutzt und in einer unübersichtlichen Welt Konstrukte gebastelt wurden, um selber zum schnellen Geld zu kommen – immer auf Kosten Dritter. Mit konstruktiver Kontrolle sorgen wir für die dringend notwendige Übersicht – schaffen wir wieder Vertrauen. Vertrauen ist kein Gegensatz zu Kontrolle – sie bestärken und ergänzen einander.

Vertrauen ist auch kein Gegensatz zu Kritik. Kritisches Mitdenken fördert das Vertrauen in ausgewogene Lösungen. Vertrauen schaffen wir: wenn wir unterschiedliche Ansichten offen, aber auch hart ausdiskutieren; wenn wir die Suche nach dem gemeinsamen Nenner vor die Selbstprofilierung stellen; wenn wir fähig sind, Neues zuzulassen, statt uns Steine in den Weg zu legen. Dieses Miteinander – nicht als Einheit, sondern als Vielfalt – stärkt die Gemeinschaft.

Vertrauen, gepaart mit konstruktiver Kritik und mit dem Willen zur eigenen Gestaltung sind grundlegende Werte unserer politischen Kultur: Das ermöglicht uns, unser Handeln ständig zu hinterfragen, weniger Gutes zu optimieren, uns an Neues heranzuwagen. Vertrauen ist wichtig: Vertrauen in unsere Institutionen, Vertrauen in die Mitbestimmung durch jeden Einzelnen, Vertrauen darauf, gehört zu werden. Vertrauen bringt eine Gesellschaft weiter.

Den Zusammenhang zwischen Freiheit und Gerechtigkeit und die Notwendigkeit nach mehr Vertrauen hat kürzlich der neu gewählte – aus der DDR stammende – deutsche Bundespräsident Joachim Gauck, Theologe und Bürgerrechtler, bei seiner Wahlrede in beeindruckender Weise zum Ausdruck gebracht. (Zitat) «Freiheit ist eine notwendige Bedingung von Gerechtigkeit. Denn, was Gerechtigkeit, auch soziale Gerechtigkeit bedeutet und was wir tun müssen, um ihr näherzukommen, lässt sich nicht anordnen, nur in intensiver demokratischer Diskussion und Debatte klären.» Er mahnte weiter: «Wenn die Zahl der Menschen wächst, die den Eindruck haben, ihr Staat meine es mit dem Bekenntnis zu einer gerechten Ordnung in der Gesellschaft nicht ernst, sinkt das Vertrauen in die Demokratie.» Am Schluss seiner Antrittrede bittet Gauck um ein Geschenk: Um gegenseitiges Vertrauen aller Bewohner seines Landes.

Hochvertraute liebe Mitlandleute, geschätzte Gäste, Bundespräsident Gauck hat zum Ausdruck gebracht, was auch hierzulande immer mehr offenbar wird. Wir können zwar auf demokratische Instrumente zählen, auch die Freiheit ist längst mehr Gewohnheit als ein Privileg – so sehr, dass es Menschen gibt, die sich über alle Grenzen hinwegsetzen. Grundsätzliche Anliegen wie Gerechtigkeit geraten dabei etwas in Vergessenheit. Gemäss Gauck ist Freiheit eine notwendige Bedingung für die Gerechtigkeit. Freiheit ist der Nährboden für Gerechtigkeit. Freiheit zu leben bedeutet aber nicht zwangsläufig auch Gerechtigkeit zu leben.

Unsere Vorväter haben sich die Freiheit im Kampf erstreiten müssen – so wie dies heute bedauerlicherweise noch einige Völker tun müssen. Es ist ein Privileg, dass wir unsere Freiheit nicht mit Waffengewalt erkämpfen oder verteidigen müssen, sondern diese seit Jahrhunderten nach unseren Bedürfnissen gestalten können. Tun wir dies weiter – mit Bedacht, Toleranz und in gegenseitigem Vertrauen.

In diesem Sinn bitte ich für Land und Volk von Glarus um den Machtschutz Gottes.