«Faul gewinnt»

Sind Sie gut gerutscht? Haben Sie Vorsätze gefasst? Der «Beobachter» plädiert für mehr Nichtstun und Langeweile. Weil letztere die Kreativität beflügeln soll.



Wir tun uns immer schwerer damit
Wir tun uns immer schwerer damit

Wer mich näher kennt, staunt über den Titel dieser Kolumne. Ich bin ja ein sehr aktiver Mensch, immer auf Trab, gehe stetig voran. Ruhepausen gönne ich mir zwar auch, aber in begrenztem Mass. Einfach so, dass die berühmte «Work-Life-Balance» für mich stimmt.

Faul bin ich sicher nicht. Das Wort hat ja auch einen schlechten Beigeschmack. Wie heisst es doch? «Müssiggang ist aller Laster Anfang.» Trotzdem spricht mich die Schlagzeile im «Beobacher» vom 24. Dezember an. «Faul gewinnt», heisst es da. Und: «Ein Hoch auf die Langeweile.»

Gut, es könnte sein, dass mir der Artikel wegen meiner momentanen Situation ins Auge springt. Eine Knieoperation hat mich zum Liegen gezwungen. Ganz plötzlich bin ich vom aktiven Leben ausgeschlossen. Zum Glück gibt es liebe Menschen, die mich besuchen kommen, mir E-Mails, Briefe, Karten oder auf Whats App schreiben, die mir telefonieren. Ich bin ihnen unendlich dankbar und freue mich über jedes Zeichen von aussen.

Einige Kolleginnen sagen: «Du hast es schön. Kannst einfach liegen, lesen und dich ausruhen. Bist weg vom Gehetze des Alltags, das rund um die Feiertage besonders gross ist.» Ich aber würde gerne mit ihnen tauschen, denn das Leben in der Horizontale ist nicht sehr interessant. Das hat vielleicht während einem oder zwei Tagen seinen Reiz, aber nicht wochenlang.

Und doch: Entschleunigt bin ich. Die auferzwungene Musse hat mir gut getan. «Einfach mal nichts zu tun, schaffen viele nicht mehr», schreibt der stellvertretende Chefredaktor Matthias Pflume im «Beobachter». Es gehöre zum guten Ton, viel zu arbeiten und auch in der Freizeit möglichst aktiv zu sein: «Freie Zeit ist nicht mehr etwas, was man einfach geniessen kann, sondern ein Potenzial für weitere Aktivitäten.»

Und weiter: «Auch die Langeweile, die hässliche Schwester der Musse, ist besser als ihr Ruf. Studien zeigen, dass Langeweile die Kreativität fördert.» Erschreckend dabei ist ein Experiment, bei welchem es darum ging, sich entweder 15 Minuten zu langweilen oder sich selbst Stromstösse zu versetzen. Resultat: Die Mehrheit der Männer und ein Viertel der Frauen wählten die Stromstösse.

Nun, vor der Knieoperation hätte ich eventuell auch die Stromstösse gewählt. Jetzt aber, nach der ausgedehnten Ruhephase, würde ich die Langeweile wählen. Wir spüren ja selber, dass das ständige Herumhetzen uns nicht gut tut. Gesundheitlich nicht, aber auch allgemein: «Wer ständig auf das nächste Ziel fokussiert ist, dem entgeht eine Menge an kleinen Freuden und überraschenden Erkenntnissen», meint Matthias Pflume. So gesehen, hat mich das Leben in der Horizontale durchaus weitergebracht. Ich musste einige Gänge zurückschalten.

Was nun die Vorsätze zum Jahresbeginn angeht, hier meine Erkenntnis: «Faul gewinnt.» Ich werde versuchen, künftig nicht immer im grössten Gang zu fahren. Bin ja gespannt, ob mir dies gelingen wird.

Auf ein langweiliges neues Jahr!