Frauenrollen zur Reformationszeit

Die Reformation vor 500 Jahren war eine reine Männersache. So steht es in den Geschichtsbüchern. Welche Rolle die Frauen bei den fundamentalen religiösen und gesellschaftlichen Umwälzungen spielten, kommt erst jetzt langsam ans Licht.



Die Theologin Rebecca Giselbrecht hat sich intensiv mit Frauenleben zur Zeit der Reformation auseinandergesetzt. Temperamentvoll hat sie im Rathaus Glarus über ihre Forschungsarbeit berichtet. (Bild: Peter A. Meier)
Die Theologin Rebecca Giselbrecht hat sich intensiv mit Frauenleben zur Zeit der Reformation auseinandergesetzt. Temperamentvoll hat sie im Rathaus Glarus über ihre Forschungsarbeit berichtet. (Bild: Peter A. Meier)

«Schnappschüsse auf Wybsbilder» präsentierte Rebecca Giselbrecht, Dozentin am Theologischen Seminar der Universität Zürich, an einer weiteren Veranstaltung zum Reformationsjubiläum, die die Reformierte Landeskirche am Freitagabend im Rathaus Glarus organisiert hatte. Durch intensives Studium zeitgenössischer Quellen untersucht Giselbrecht die Rolle der Frauen in der Reformationszeit. Damit sollen Lücken in der traditionell männerzentrierten Geschichtsschreibung gefüllt werden. «Der Begriff ‹Wybsbild› war vor 500 Jahren durchaus nicht despektierlich gemeint, sondern eine gängige Redensart», erklärte Giselbrecht. Auch Ulrich Zwingli pflegte Frauen als «Wybsbilder» zu bezeichnen, seine eigene Frau Anna Reinhard eingeschlossen.

Unterordnung unter den Mann


Laut Rebecca Giselbrecht brachte die Reformation den Frauen noch keine Befreiung von ihrer angestammten dienenden Geschlechterrolle. Selbst Erasmus, der fortschrittliche Humanist aus Basel, hielt «Keuschheit, Seelenstärke, Frömmigkeit und Mässigung» für hervorragende weibliche Eigenschaften. Der deutsche Reformator Martin Luther verbat sich das Erscheinen seiner Frau Katharina von Bora in der Öffentlichkeit. Katharina, die aus sächsischem Landadel stammte und gebildet war, fügte sich. Sie begnügte sich damit, Luthers Haus und Hof zu leiten und ihm sechs Kinder zu gebären, «obwohl sie sogar Bier brauen konnte», wie Giselbrecht schmunzelnd anmerkte.

Auch von Heinrich Bullinger, dem Nachfolger Zwinglis in Zürich, ist überliefert, dass er es nicht duldete, wenn seine Frau Anna ohne Erlaubnis das Haus verliess: «Eine Frau hält sich nicht auf der Strasse auf, gafft nicht aus dem Fenster oder sitzt herum …», gab Bullinger den Tarif durch. Bullinger war übrigens ein Vielschreiber und damit ein wichtiger Zeuge des Zeitenwechsels, der mit der Einführung der Reformation einherging. Er pflegte mit vielen gebildeten Frauen einen intensiven Briefwechsel. «Die Reformation änderte an der grundsätzlichen Unterordnung der Frau unter den Mann nichts», hielt Giselbrecht zusammenfassend fest. Ihre wissenschaftliche Arbeit, in die sie an der Veranstaltung im Rathaus temperamentvoll Einblick gab, macht aber auch deutlich: bereits zur Reformationszeit gab es Paare, die partnerschaftlich zusammenlebten und auf Augenhöhe miteinander redeten und arbeiteten.

Eigenständige Klosterfrauen


Die Referentin räumte ein, dass schriftliches Quellenmaterial rar ist, das über die Rolle der Frauen in der Reformationszeit Auskunft gibt. Das erstaunt auch nicht, denn die wenigsten Frauen (und Männer) konnten im 16. Jahrhundert lesen oder schreiben, schon gar nicht in den unteren gesellschaftlichen Schichten. Zeugnis abgegeben über ihr Leben und ihre Lebensumstände haben fast ausschliesslich Frauen aus dem Adel oder aus gutem und begütertem Haus. Eine Sonderrolle spielten Nonnen, die hinter Klostermauern ein von der Männerwelt abgeschottetes selbst bestimmtes Leben führten. Ein gutes Beispiel dafür ist Katharina von Zimmern, die als letzte Äbtissin im Zürcher Fraumünster eine politische Machtposition einnahm. Dieser Position als Stadtherrin ging sie verlustig, als die reformationsfreundliche Zürcher Obrigkeit den neuen Glauben für allgemein verbindlich erklärte und die Aufhebung der Klöster verfügte. 1524 übergab die Äbtissin das Fraumünsterstift der Stadt Zürich. Ein Jahr später heiratete die adlige Nonne, die ebenfalls zum evangelischen Glauben wechselte, standesgemäss einen Mann aus dem Schaffhauser Patriziat. Das Beispiel von Katharina von Zimmern zeige, so Giselbrecht, dass Frauen ausserhalb von Klostermauern nur an der Seite eines Mannes und Gebieters ein christliches Leben als Ehefrau und Mutter führen konnten.

*Literaturhinweis:
Rebecca Giselbrecht, Sabine Scheuter (Hrsg.): «Hör nicht auf zu singen – Zeuginnen der Schweizer Reformation», Theologischer Verlag Zürich, 268 Seiten, Fr. 39.80.