Heiteres, Freches, Gesang und Wortschwall

Ordentlicherweise schreibt man über ein «volles Haus», wenn verfügbare Sitzgelegenheiten nicht mehr ausreichen, um alle Besucher platzieren zu können. In diesem Falle ist der Ausdruck «voller Stall» schon treffender, handelt es sich doch um einen komfortablen Ziegenstall im schwandnerischen Grüt, der von Trix und Martin Lehmann und tatkräftig Mithelfenden in eine Theaterstätte samt Verpflegungsangebot in aufwendiger Arbeit umfunktioniert worden ist.



«Beziehungsweise» – Theater im Ziegenstall. (Bilder: p.meier)
«Beziehungsweise» – Theater im Ziegenstall. (Bilder: p.meier)

Beim Eintreffen der vielen Besucherinnen und Besucher kamen die Ziegen kaum nach mit Begrüssen, Rumgucken und Empfangsmeckern. Die freuten sich über viele herzliche Begrüssungen, standen gar artig auf die Hinterbeine und waren riesig neugierig. Sie konnten mitverfolgen, wie sich die vielen Gäste mit einem bodenständigen Znacht verpflegten, an den vielen Tischen angeregte Gespräche führten und sich in den Raum begaben, der normalerweise nur langweiligem, sprach- und emotionslosem Gras und Stroh Gastrecht auf Zeit gewährt. Da standen – für die Aufführung mit den Urstimmen namens Rita Bänziger, Daniel Koller, Tiziana Sarro und Stefan Schaberl – Scheinwerfer, Leinwand, zuweilen aufleuchtende überdimensionierte Lautsprecherboxen und ein Diaprojektor mit schaurig eigenwilligem Innenleben. Das genügte für die vier Künstlerinnen und Künstler, die so erfrischend variantenreich loslegten und zum begeisterten Publikum ganz schnell Kontakt hatten. Das, weilt auf leicht wackeligen Strohballen, die treppenförmig anstiegen und allen gute Sicht auf die kleine Bühne garantierten.

Gespielt wurde eine veritable Beziehungskiste, reichhaltig gefüllt mit Unerwartetem, das sich zu schwungvollsten, brillant vorgetragenen Gesangsnummern, Tanz, Gesprächen mit zuweilen Tiefgründigem, dann wieder elend Oberflächlichem, ganz leicht Anzüglichem, Kurzweiligem und riesig Vergnüglichem fügte. Eigentlich leuchtet jedem ein, dass zwischenmenschliche Beziehungen nie reibungslos funktionieren. Das Konfliktpotenzial ist naturgegebene Tatsache. Man mag es singend bedauern, hochjubelnd vortragen, der Traurigkeit verfallen, beim Fremdgehen neue Impulse holen, Nächte durchzechen, über den Sinn der Beziehung philosophieren, Erkenntnisse – seien sie noch so banal – allen kundtun. Und mit dem Rumwühlen in einem wundersam reich garnierten Beziehungsbrei waren die Darsteller in ihrem Element. Sie sangen mit viel Leidenschaft, kraftvoll, dann wieder verhalten, innehaltend, munter, bewunderungswürdig variantenreich. Auf Backgroundbegleitungen wurde verzichtet, was die Ausgestaltung der vielen Weisen anforderungsreich machte. Kein Problem für derart Begabte, die sich so witzig und humorvoll in Dialoge aller Art reinbegeben, die andern kommentieren, das Publikum in herzlicher Art in ganz kurzen, geschickt gesetzten Sequenzen einbeziehen, den Inhalt ihrer Beziehungskiste ganz gründlich auskundschaften und übers Geschehen auch mal mitlachen.

Beziehen, anziehen, wegziehen, ausziehen, reinziehen, durchziehen, umziehen, geradeziehen, losziehen und rumziehen, grossziehen, nachziehen, vorziehen, zurückziehen – alles lässt sich deuten, vieles ist Basis für ein kurzes, intensives Spiel mit Wort, Tanz und Musik. Mit Diaprojektionen wurde man mit der Jugendzeit der Darstellenden bekannt, das ging rassig, war riesig amüsant und unterhaltend.

Wen wunderts, dass der Diaprojektor – total gestresst und spürbar überlastet – den Geist kurzzeitig aufgab und sich mit einer veritablen Rauchwolke aus dem wirbligen Geschehen verabschiedete. Nach der Pause hatte er sich dann erholt und vermochte bei Bezügen zu James Dean, Marylin Monroe, Superman und andern Filmgrössen und dem Einblenden kurzer Merksätze die notwendige Präsenz zu markieren So erfuhr man gar Wissenswertes über verschiedenste Beziehungskiller, die durchnummeriert waren und von einiger Kreativität zeugten. Worte wie Besessenheit, Pep, Polybeziehung, Swinger, Sünde und Kommunikationsstau fielen. Der Abschied fiel schwer, Zugaben waren unvermeidlich.

Schwanden war Ort der Premiere, viel schöner hätte es für die Organisatoren und Darsteller kaum ausgehen können. Die Familie Lehmann war eine gar routinierte, liebenswürdige Gastgeberin – nicht zum ersten und wohl auch nicht zum letzten Mal. Und die Verantwortlichen des schweizerischen Kulturprojekts Hoftheater werden das Grüt in ihrer Agenda dick eintragen. Mit «Beziehungsweise» werden die Urstimmen da und dort loslegen, verdientes Gastrecht geniessen und viele zu begeistern wissen.