«Ihre Umgangsformen sind manierlich!»

Wie halten Sie’s mit dem Duzen oder Siezen? Und wie hoch ist Ihre Benimm-Kompetenz?



Im Internet kann man seine «Benimm-Kompetenz» punktgenau ermitteln. (Bild: mb)
Im Internet kann man seine «Benimm-Kompetenz» punktgenau ermitteln. (Bild: mb)

Manchmal erlebe ich Überraschendes. Da bietet mir ein junger Mann oder eine junge Frau doch tatsächlich das Du an. Nun, ich bin ja nicht kompliziert im Umgang mit anderen Menschen und schlage jeweils lachend ein. Aber eigentlich wär es klar: Der Ältere bietet dem Jüngeren und die Frau dem Mann das Du an. Mindestens laut Knigge.

Nun lese ich aber, dass in den neuen «Coop-to-go-Läden» – die vor allem Produkte für die schnelle Verpflegung anbieten – die Kundschaft konsequent mit Du angesprochen werde. Wie bitte? Das kann nicht sein. Da bin ich konsequent dagegen. Soll mich ein wildfremder Lehrling einfach duzen dürfen, ohne mich zu fragen? Auf keinen Fall. Ich will noch selber bestimmen können, wer mir Du sagt und wer nicht.

Die Meldung hat denn auch einen wahren «Shitstorm» ausgelöst. Die Mehrheit der Kommentarschreiber ist klar gegen das automatische Duzen. Immerhin wird ein Coop-Verantwortlicher zitiert, wonach man rasch merke, bei wem das Du besser weggelassen werde. Vor allem «Leute über fünfzig» seien dem Duzen gegenüber «etwas skeptisch eingestellt». Na ja, der Altersgruppe gehöre ich an ...

Hoffnungsvoll stimmt mich eine Umfrage aus Deutschland, bei welcher «Der grosse Knigge» Leute unterschiedlichen Alters nach den zehn wichtigsten Umgangsformen gefragt hat. Die Antworten:

1. Sich stets rücksichtsvoll verhalten.
2. Gespräche richtig führen, andere ausreden lassen und zuhören.
3. Gutes Benehmen der jeweiligen Situation angepasst praktizieren (anstatt starre Regeln für Umgangsformen zu lernen).
4. Gute Manieren bei Tisch.
5. Höfliche Ausdrucksformen («Bitte», «Danke», «Entschuldigung»).
6. Pünktlichkeit.
7. Eintreten für andere, Zivilcourage zeigen.
8. Alten Menschen in öffentlichen Verkehrsmitteln seinen Platz anbieten.
10. Toleranz für die Gepflogenheiten anderer Kulturen und Völker entwickeln.

Das tönt doch gut. Wer sich so verhält, benimmt sich vorbildlich!

Apropos Benehmen: Im Internet kann man seine «Benimm-Kompetenz» punktgenau ermitteln. «Wie souverän bewegen Sie sich auf dem gesellschaftlichen Parkett?», fragt das deutsche «Manager-Magazin». Mit zwölf von 22 zu erreichenden Punkten sind meine Umgangsformen gerade mal noch «manierlich». Ich bewege mich selbstbewusst auf dem gesellschaftlichen Parkett, heisst es da. «Die Details der Business-Etikette vernachlässigen Sie allerdings von Zeit zu Zeit.»

Okay, dass ich «Guten Tag, Herr Professor von Schönburg» sage statt «Guten Tag, Professor Graf Schönburg», beunruhigt mich nicht sonderlich. Schliesslich begegne ich nicht jeden Tag einem Professor, der noch Graf ist. Oder dass ich die internationale Tischordnung nicht bis ins letzte Detail kenne, stört mich auch nicht. Und dass man erst nach dem Dessert um Erlaubnis zum Rauchen bitten darf und nicht immer zwischen den Gängen, lässt mich als Nichtraucherin ebenfalls kalt. Dass man allerdings bei einem Geschäftsessen frühestens nach dem Dessert über geschäftliche Themen sprechen darf, hat mich erstaunt. Meine Antwort war klar: «Über Geschäftliches kann man die ganze Zeit sprechen, schliesslich ist es ein Geschäftsessen.» Aber dem ist anscheinend nicht so.

Das Internet gibt mir nach Auswertung der Umfrage einen guten Rat: «Um auch in kniffligen Situationen einen peinlichen Fauxpas zu vermeiden, sollten Sie Ihre Benimm-Kenntnisse weiter vertiefen.» Heisst: Ich muss mich wohl mal zu einem Knigge-Kurs anmelden. Danach sind meine Umgangsformen nicht mehr manierlich, sondern top. Und vielleicht lerne ich ja auch noch Überraschendes betreffend Duzen und Siezen?