Kaffeesüchtige Bürgerstochter ohne gottesfürchtige Heuchelei

Der Glarner Chorleiter Kurt Müller Klusmann wählte für das Schlusskonzert von Freitagabend vier Kantaten von Johann Sebastian Bach aus, wobei zwei weltliche Themen von zwei geistlichen Chorwerken umrahmt wurden. Zuvor fand unter Leitung des Präsidenten Robert Jenny und Peter Wettstein, dem Vorsitzenden der Musikkommission, ein allumfassender Rückblick über alle zur Aufführung gebrachten Konzerte, Referate und den einen Workshop unter kritischer Beleuchtung statt.



dem erweiterten Amar-Quartett und Peter Freitag am Continuo
dem erweiterten Amar-Quartett und Peter Freitag am Continuo

Die grossartigen Chor- und Orgelwerke des Organisten und Komponisten Johann Sebastian Bach, wer kennt und verehrt sie nicht. Kommt es einer Seltenheit gleich, dass J.S. Bach in seinem durch Ernsthaftigkeit und Tiefe geprägten Charakter eine kleine Prise Humor und Ironie bewahrte und diese zum Ausdruck brachte durch die weltliche Kantate „Mer hahn en neue Oberkeet“?

Humorvoller Leipziger Thomaskantor

Jedenfalls war es erfrischend, die tänzerisch leicht gesetzte mit volkstümlichen Melodien angereicherte Komposition inmitten Bachs wohlbekannter Werke mit einem Lächeln zu geniessen. Die beiden Solisten, die Sopranistin Nicola Brügger und der Bariton Samuel Zünd, spotteten als Bäuerin und Bauer genüsslich über die zweifelhaften Machenschaften der Steuereinnehmer und gleichzeitig lobten sie die Sparsamkeit der Fürstin von Dieskau, deren Ehemann, der kurfürstlich-sächsische Kammerherr Carl Heinrich von Dieskau, der „Oberkeet“, zu seinem 36. Geburtstag dieses Werk bei Bach in Auftrag gab.

Der zweiten zur Aufführung gebrachten weltlichen Kantate liegt ebenso wie bei der Bauernkantate ein humoristisch-ironischer Text des bekannten Dichters Picander zugrunde.

Vater Schlendrian hadert mit seiner kaffesüchtigen Tochter Lieschen, die erst durch die Einwilligung des Vaters zur Heirat bereit ist, das tägliche Kaffeetrinken zu verschmähen. In einem wunderschönen, neckischen Dialog mit der Oboistin Barbara Tillmann lässt die Sopranistin Nicola Brügger als Lieschen heimlich unter der heiratswilligen Männerschaft verbreiten, dass sie nur einen Mann akzeptiert, der ihr auch als Ehefrau das Kaffeetrinken erlauben wird.

Ist die Bauernkantate wie üblich bei den weltlichen Kantaten Bachs eine Huldigung an die Obrigkeiten, ist die Kaffeekantate ein ironisches Abbild des zeitgenössischen Bürgertums, das im „Zimmermannschen Caffehaus“ zu Leipzig verkehrte, zu dessen Gästen auch Bach zählte und möglicherweise im Caffehaus auch zur Aufführung gelangte.

Mehrzweckhalle geeignet für Bachs Werke?

Liegt es an der vielfältig nutzbaren Tödi-(Turn)halle, dass die vor allem durch den Bariton Samuel Zünd sehr überzeugend zum Ausdruck gebrachten komischen bis spöttischen Szenerien das einzig wahrnehmbare Zeichen für das Publikum war, dass Humoristisches den beiden Kantaten zugrunde lag? Die beiden klanglich wie auch stimmlich ausdrucksstarken Solisten mochten nicht gegen die mehrheitlich im Fortissimo aufspielende kammermusikalische Besetzung bis zum Publikum vor allem in den hinteren Reihen durchzudringen. Nur in den Rezitativen war im Gegensatz zu den Arien der Text in Uebereinstimmung mit dem karikierenden Körperausdruck vereint verständlich, leider.

Bei allen Gesangssoli konnte der Ton sich nie raumfüllend ausbreiten, ganz im Gegensatz zum Chorgesang und dem Orchester und so blieb letztlich eben doch der Gesamteindruck haften, dass der Klang platt und ohne Brillanz wirkte, obwohl die Solisten, der Chor und die Musizierende überzeugend wirkten. Ob es an der Akustik der Tödihalle lag oder dass der Dirigent Kurt Müller-Klusmann diesen akustisch schwierigen Bedingungen vielleicht zu wenig Rechnung trug, lässt die Frage offen, ob es künftig nicht vorteilhafter wäre, den jeweilig zur Aufführung gelangenden Werken gerecht zu werden, indem die Schlusskonzerte nicht a priori immer in der Tödihalle zur Aufführung gelangen müssen.

Rückblick und Ausblick

In einer vorgängig zum Schlusskonzert sehr angeregten Diskussion hielten Gäste zusammen mit dem Präsidenten Robert Jenny und dem Vorsitzenden der Musikkommission, Peter Wettstein, Rückschau auf die vergangene Woche. Das Amar-Quartett wie auch Daniel Fueter als Artists in Residence boten Hochkarätiges in vielfältiger Weise und die in diesem Jahr zum ersten Mal zum Tragen kommende Möglichkeit, gleich mehrere Künstler während der ganzen Woche in Konzerten und Referaten erleben zu können, hat sich in jeder Hinsicht als erfolgreich bewiesen. Gleich mehrere Höhepunkte durfte das zahlreiche Publikum während der ganzen Woche geniessen, die nicht ausschliesslich dem Thema „Humor in der Musik“ zuzuschreiben sind, sondern auch dem qualitativ hochstehenden musikalischen Ausdruck der zahlreichen jungen und hochbegabten Musikerinnen und Musiker und dem brillanten Multitalent von Daniel Fueter als Referent und Pianist.

So ist der Vorstand mit grossem Engagement weiterhin versucht, auch im nächsten Jahr wiederum mit einem gewohnt anspruchsvollen Programm mit „Musik über Musik“ die Gäste zu überraschen. Im Sommer 09 soll dem Phänomen des „Plagiats“ nachgegangen werden, denn die wichtigste Inspirationsquelle eines Komponisten ist oftmals die Musik aus dem Kollegenkreis oder bekannte Satzungen aus Vergangenheit bis hin zur Gegenwart, die häufig unbewusst ins eigene Werk einfliessen. Und übrigens sind auch jetzt schon programmatische Arbeiten im Gange für die Musikwoche im Jahr 2010 zum 75-jährigen Bestehen des vermutlich ältesten schweizerischen Musikfestivals zum Thema „Musique sans Frontières – Wandel des musikalischen Geschmacks über Grenzen und Jahrhunderte hinweg“.