Olivenernte in der Toscana

„Il Raccolto quest’ anno dobbiamo fare molto più presto!“ ruft Pasquale ins Telefonino. Und tatsächlich, als ich im Oktober für ein paar Tage in der Toscana bin, sehe ich überall schon die Netze ausgelegt und viele schicken sich an die Ernte in Angriff zu nehmen .



Olivenernte in der Toscana

Gino, unser achtzigjähriger Nachbar, nuschelt aufgeregt: „Devi torna’ subito. Son’ maturi!“ Also gut, fahren wir bereits Anfang November, eine Woche früher als geplant, wieder über den Appennin, Farnetella, unserem Dorf, entgegen. Normalerweise beginnt man in unserer Gegend, der Zone zwischen Siena und Montepulciano, nicht vor dem 11. November, dem Tag des heiligen Martin, mit der Ernte. Doch dieses Jahr, so scheint es, ist eine panische Hektik unter den Ölbaumbesitzern ausgebrochen. Man könnte meinen die Frantoi, die Ölmühlenkooperativen die unsere Oliven pressen, schliessen, kaum haben sie geöffnet gleich wieder ihre Tore und nicht erst Anfang nächsten Jahres, wie üblich.

Je krummer und knorriger, desto besser der Ertrag

Auf unserem Grundstück befinden sich zirka 30 Olivenbäume. Es sind kleinere und grössere Exemplare darunter. Vier davon sind noch sehr jung, das heisst so fünf bis sieben Jahre alt. Also wäre zu erwarten gewesen, dass diese nur ein paar vereinzelte Früchte tragen, wenn überhaupt. In Italien sagt man, dass man einen Ölbaum für seine Enkel pflanzt. Er benötigt viel Zeit zum Wachsen, kann jedoch mehrere hundert Jahre alt werden. Das älteste bekannte Exemplar Italiens wird auf 1700 Jahre geschätzt. Am ertragreichsten ist ein Baum nach ca. 20 Jahren. Dabei gilt die althergebrachte Regel, je krummer und knorriger, desto besser der Ertrag. Normal wäre auch, dass die Bäume, die letztes Jahr viele Früchte getragen haben, dieses Jahr eher eine magere Ernte ergäben, das Phänomen der Alternanz also, wie dies bei Fruchtbäumen genannt wird. Doch dieses Jahr ist anscheinend nichts „normal“. Wo man hinsieht Oliven. Die Äste biegen sich unter der Last der reifen Früchte. Nur ein einziges Bäumchen hat gestreikt und steht ganz nackt da.

Grosse Netze sind ein Segen

Also los! Kisten, Netze, Baumschere und Säge hervorgeholt. Wir haben zwei Olivennetze, ein kleineres und ein Grosses. Diese feinmaschigen, quadratischen Gewebe haben auf einer Seite einen langen Einschnitt, damit man sie bequem um die Stämme am Boden ausbreiten kann. Die Netze müssen so gross sein, dass sie auf dem Gelände mehr als den Umfang des Baumes abdecken. Beim Ernten spicken die Oliven manchmal sehr weit und es gibt nichts Mühsameres, als sie im Gras einsammeln zu müssen. Speziell auf unserem Grundstück ist ein möglichst grosses Netz ein Segen. Lediglich zwei Bäume stehen auf einer relativ ebenen Fläche. Alle Anderen, entweder auf dem Steilteil des terrassierten Geländes oder eingekeilt zwischen Gebüschen und Zaun. Meine Mutter fand in den letzten Jahren nämlich immer wieder ein neues Plätzchen um noch einen Ginster, noch einen Oleander oder noch eine Zypresse zu setzten. Das büssen wir nun bei der Ernte und müssen uns mitunter als Cristo konkurrenzierende Verpackungskünstler beweisen.

Traditionelle Ernte von Hand

Wir pflücken die Oliven traditionell von Hand. In manchen Gebieten Italiens bedeckt man den gesamten Boden mit Netzen und wartet bis die Früchte heruntergefallen sind. Mit unserer bewährten Eichenleiter steigen wir ins Geäst. Die Olivenbäume werden regelmässig beschnitten. Dies hat den Vorteil, dass sie klein bleiben und so die Ernte etwas leichter fällt. Es ist nämlich ziemlich ungemütlich in den hohen Ästen zu hängen, wenn gleichzeitig der Tramontana vom Appennin her bläst und man die Hände noch frei haben sollte, um die Oliven von den Zweigen zu streifen. Ganz fiese Äste, deren Früchte wir kaum erreichen, sägen wir kurzerhand ab und ernten am bequem am Boden. Abends sind die Hände rissig, Muskelkater macht sich in den Fingern bemerkbar und unsere Haut und die Haare sind mit einem öligen Staub überzogen. Wir trösten uns damit, dass wir sicher keine teuren, mit Olivenöl angereicherten, Kosmetikprodukte mehr kaufen müssen.

Tribut an den Vogelgott

Ist ein Baum abgeerntet, bewegt man die Steinfrüchte mittels ziehen und heben des Netzes zu einem Haufen. Zweige und ein Teil der Blätter werden herausgelesen. Anschliessend leert man das Ganze in die bereitgestellten Kunststoffharrasse. Ein paar Oliven bleiben immer am Baum zurück. Die überlassen wir den Vögeln. Wir nennen es „unseren Tribut an den Vogelgott“. Darüber hinaus nehmen wir es bei einer so reichen Ernte wie dieses Jahr, nicht mehr so genau mit ablesen wie die vergangenen Jahre. Nach acht Stunden schmerzt der Rücken, man ist ja nicht mehr zwanzig, und vor lauter Bäumen, respektive Oliven, sieht man den Wald nicht mehr.

Der Ölbaum liebt trockenes Klima und ist sonnenhungrig

Der Ölbaum ist eine immergrüne Pflanze, er verliert zu keiner Jahreszeit all sein Laub, sondern mehrere Jahre alte Blätter werden abgeworfen. Die kleinen, ledrigen Blätter sind oberseits graugrün und an der Unterseite silbrig glänzend. Hier haben sie kleine Härchen, die den Baum vor dem Austrocknen schützen, indem sie aus den Spaltöffnungen austretendes Wasser wieder einfangen und dem Blatt erneut zufügen. Der Baum liebt trockenes Klima und ist sehr sonnenhungrig. Im Frühjahr, wenn der Boden noch nicht so stark verhärtet ist, haken wir mit der Zappa den Boden rund um den Stamm, häufen die Erde an, damit das Wasser, wenn es dann mal regnet, durch die lockere Erde zu den Wurzeln gelangt und nicht nur an der Oberfläche wieder verdunstet oder von Gräsern und Unkraut aufgesogen wird. Jede Jahreszeit ist wichtig. Zu frühe Trockenheit beeinflusst die Blüte, stürmische Gewitter ab August können die halbe Ernte zu Boden befördern. Fünf Tage nach unserer Ankunft haben wir den letzten Baum abgeerntet. Zusätzliche Harrasse mussten ausgeborgt werden. Mit leisem Stolz betrachten wir nach all dem Krampf die prall gefüllten Kisten. Die Chromstahlfässer stehen bereit und in ein paar Tagen werden die Oliven, in Form von Öl, aus der Mühle zu uns zurückkehren.

Der Ölzweig das Zeichen des Friedens

Seit etwa 4000 v. Chr. wird der Ölbaum kultiviert. Es wird vermutet, dass es einigen wenigen Stämmen im Nahen Osten gelungen ist die Olive zu züchten. Sie gaben den Olivenbaum anderen Stämmen weiter und so wurde er schnell zu einem Zeichen des Friedens. Besiegte, die um Frieden baten, trugen Ölzweige in den Händen. Im 6. Jahrhundert v. Chr. kam der Olivenbaum nach Italien. Unzählige Generationen vor uns haben auf die gleiche Weise wie wir, Jahr für Jahr über all die Jahrhunderte, das kostbare Öl gewonnen.

Der Lohn in Form von Öl

Ich rufe bei der Frantoio Sant’Andrea an und mache einen Termin für unser fünf Quintale e Mezzo aus. Wir bringen unsere Harasse in die Mühle. Auf der Auffahrt zur Halle des alten Gebäudes hat sich schon eine kleine Schlange von Fahrzeugen gebildet. Grosse, voll beladene Lastwagen, überfüllte Privatautos, dazwischen alte Männer mit ihren Ape’s, auf die sie ihre paar Kisten gestapelt haben. Die Wartezeit wird genutzt um sich über die aktuelle Ernte und natürlich über den neuesten Klatsch auszutauschen. Die Oliven werden von Mitarbeitern der Mühle in einen grossen Behälter gefüllt und auf die Waage gefahren. Am Anfang der Halle steht eine Abschrankung, die verbietet sich im hinteren Teil, wo sich die Pressen und Zentrifugen befinden, aufzuhalten. Aber wir wären ja nicht in Italien, wenn die Leute sich daran halten würden. Der grösste Teil der verbliebenen Blätter wird mittels Gebläse entfernt. Danach werden die Oliven, möglichst nur durch das Eigengewicht der Früchte, gepresst und am Schluss wird in der Zentrifuge das Öl vom Wasser getrennt. Während der Haupterntezeit ist die Mühle oft Tag und Nacht geöffnet und es herrscht immer ein hektisches Treiben. Die Halle ist voller Menschen die begutachten, fachsimpeln und mit Stolz die ersten Tropfen des frisch gepressten Öles degustieren. Der Anblick des „flüssigen Goldes“, das in die Chromstahlfässer fliesst, entschädigt für die Mühsal der letzten Tage.