Tragik und Lebensfreude

Oft ist es so, dass sich Tragik und Lebensfreude in der Schwebe halten. Das Programm des Glarner Kammerorchesters am vergangenen Samstag meisterte diese Gratwanderung mit Bravour – in einem schlicht genialen Konzert.



Tragik und Lebensfreude

Gerade mal 19 Jahre alt war Franz Schubert, als er seine vierte Sinfonie schrieb. Er gab ihr den Namen «Tragische». Am letzten Samstag spielte das verstärkte Glarner Kammerorchester unter Dirigent Christoph Kobelt dieses Werk, das eine noch stark der Klassik verhaftete Form hat, das aber mit seiner expressiven Musiksprache bereits auf die kommende Romantik und auf das Spätwerk Schuberts hinweist. Zwar wurde die Sinfonie erst 20 Jahre nach dem frühen Tod Schuberts uraufgeführt, aber dafür hatte sie in der Zeit von Brahms und Dvorak starke Resonanz. Christoph Kobelt interpretierte das Werk mit feinem Gespür für die Tempovarianten und die tragischen Untertöne, das Glarner Kammerorchester zeigte, dass es in den 26 Jahren der Zusammenarbeit mit Kobelt zu einem unglaublich feingliedrigen Ensemble geworden ist. So konnte eine Musik geschehen, welche einen allumfassenden Bogen spannte, so wie das kurze Leben Schuberts auch alle Höhen und Tiefen umfasst.

Vor der Pause erklang einer der Hits, der klassischen Konzertliteratur: Das Klarinettenkonzert von W.A. Mozart in A-Dur (KV 622). Die hohe Köchel-Verzeichnis-Nummer verrät, es ist ein Spätwerk Mozarts. Interpretiert wurde das Konzert von Ricardo Gatzmann auf der Bassett-Klarinette, einem Instrument, welches in der Schweiz sehr selten zu hören ist. In diesem Konzert liefen alle Parteien zu Höchstform auf: Der Dirigent, weil er sein Orchester mit dem Solisten führten und dessen Interpretation im reinen Sinn des Wortes «Concertare» (also Wettstreiten) übernahm, weiterspann und an den Solisten zurückgab. Das Orchester, weil es selbst in den langsamen Passagen des Adagio lebendig spielte, weil es präzise war, in der Lautstärke perfekt angepasst, weil es eine unglaubliche Dynamik bewies, eine Wachheit, die einen sprachlos werden liess. Und schliesslich Ricardo Gatzmann, der mit seinem Temperament befreit losspielte, der über ein ungeheuerliches Repertoire an Klängen und Stilen verfügt, der niemals auftrumpft, dafür immer eine Musik macht, der man einfach stundenlang zuhören könnte. Nach dem Konzert – das Publikum gab Ovation um Ovation – spielten Gatzmann und das Kammerorchester einen kleinen Schalk, den sich Komponist Kobelt mit dem A-Dur-Konzert gemacht hat. Quasi rückwärts erklangen die Themen der drei Konzertsätze, dazwischen spielte Gatzmann mit dem Orchester jeweils Stücke der Polka «Birewegge, Chäs und Brot». Atemberaubend und witzig.