Wie gut, dass ich so schön bin

Wenn ich morgens aufstehe, gehe ich zuerst ins Bad und schaue in den Spiegel. Und jedes Mal muss ich zu mir selber sagen: Mein Gott, sehe ich heute wieder gut aus.



Wie gut, dass ich so schön bin

Doch wenn ich das Licht einschalte, werde ich unweigerlich mit der bitteren Realität konfrontiert. Über Nacht hat der Bart wieder mächtig gespriesst. Das sich langsam bildende Doppelkinn lässt sich auch nicht mehr länger verleugnen. Mein Body Mass Index ist auch um einige Prozent-Punkte zu hoch. Und das Gesicht breitet sich immer weiter über die Stirn aus. So langsam schwindet bei mir die Hoffnung, dass ich es doch noch erlebe, es einmal auf die Titelseite eines Hochglanzmagazins zu schaffen. Da wo all die Schönen und Erfolgreichen abgebildet werden. Obwohl 99.9% der Menschheit keine Traummasse aufweisen können und auch nicht noch gleichzeitig erfolgreich sind, richtet sich unsere Gesellschaft immer mehr danach aus. Heute ist es doch leider so, dass man mehr Erfolg hat, wenn man gut aussieht. Das wird einem Tag täglich in den verschiedensten Medien vorgeführt. Die schöne Sängerin hat wundervoll gesungen. Der gut aussehende Top-Manager hat ein super Geschäft gemacht. Man muss gestylt, herausgeputzt und erfolgreich sein, um in der heutigen Gesellschaft akzeptiert und wahrgenommen zu werden. Man schaut zu ihnen auf. Man bewundert sie. Es sind Idole. Manchmal wird einem das Gefühl vermittelt, dass nur sie echte Menschen sind. Wir richten uns also nach den 0.1 % Doch die meisten von uns könnten sich einen massgeschneiderten Armani Anzug oder ein Prada Kleid gar nicht leisten. Wo bleibt da der Sinn?

Langsam bewegen wir uns in die Richtung einer Zwei-Klassen-Gesellschaft: Die Schönen und Erfolgreichen und da gibt es halt noch die anderen.

Ich frage nun mal ganz provokativ: Sind diejenigen die nicht so schön und nicht so erfolgreich sind in unserer Gesellschaft weniger wert? Haben die 99.9% nicht auch das Recht, für ihr Geleistetes geschätzt und bewundert zu werden? Geht da nicht die Menschlichkeit, eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Leben, langsam verloren? Man könnte es meinen, wenn man ein wenig aufmerksam durch das Leben geht. Sieht man nicht so aus, wie es verlangt wird, wird man belächelt. Wenn bei jemandem der Erfolg ausbleibt, wird die Nase gerümpft und er wird nicht wahrgenommen. Doch kann man sich sicher sein, dass es nicht gerade diejenigen sind, die die Gesellschaft stützen? Das gerade diejenigen das Leben lebenswert machen und Menschlichkeit ausstrahlen?

Ich überlasse es nun ihnen, liebe Leserinnen und Leser, sich weiter Gedanken darüber zu machen. Ich jedenfalls werde mich auch in Zukunft im Spiegel betrachten können - ohne Vorbehalte. Ich zaubere ein Lächeln in mein Gesicht, schaue mich an und bin glücklich und zufrieden mit dem was ich sehe.
In diesem Sinne
Ihr Martin C. Mächler